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Treptow-Köpenick ist kein Wahlkreis wie jeder andere.

© picture alliance / ZB/euroluftbild

Wahlkreis Treptow-Köpenick: Hinterm BER geht´s weiter

In Treptow-Köpenick brummt zwar nicht der Großflughafen, aber dafür so manches andere. Das Hauptproblem ist und bleibt der Verkehr. Kein Wunder in diesem Bezirk, dessen Ortsteile bis zu 20 Kilometer auseinanderliegen.

Dass der Wahlkreis Treptow-Köpenick kein normaler ist, weiß man schon, bevor man die Kandidaten kennt. Es reicht, sich mit ihnen zu verabreden: Auf der Internetseite von Matthias Schmidt (SPD) – etwas mühsam zu googeln wegen des Allerweltsnamens – steht neben seiner Privatadresse auch eine Telefonnummer, an die er sofort rangeht. Den CDU-Mann Fritz Niedergesäß erreicht man übers Kreisparteibüro. Wenn man aber bei Gregor Gysi von den Linken auf „Kontakt“ klickt, öffnet sich ein Formular zum Ausfüllen, das erst nach Eingabe eines Sicherheitscodes verschickt werden kann.

Gysi wohnt auch nicht im Bezirk. Beim Lokalkolorit verweist er deshalb auf seine Jugend in Adlershof und seine Schwester in Johannisthal. Aber als er 2005 erstmals in der SPD-Hochburg im Berliner Südosten direkt kandidierte, gewann er trotzdem mit 40,4 Prozent. Vier Jahre später holte er mit 44,8 Prozent mehr Erststimmen als die Kandidaten von SPD, CDU und FDP zusammen.

Fritz Niedergesäß kritisiert den BER-Standort

Angesichts dieser Ausgangslage strich der CDU-Mann Niels Korte bereits vorab die Segel. Fritz Niedergesäß, der 73-jährige Kreischef, sprang für ihn ein. Er wohnt in Bohnsdorf in der Einflugschneise des Flughafens BER, dessen Standortwahl er „eine Scheißentscheidung“ nennt. Zum Treffen hat er eine Chronologie mitgebracht, die die maßgebliche Verantwortung von SPD, Grünen und Linken dafür zeigen soll. Auf einem weiteren Zettel stehen die größten Verdienste aus seinen 16 Jahren als Abgeordneter im Landesparlament: Überleitung der Akademie der Wissenschaften der DDR in die inzwischen bekanntermaßen brummende Wissenschaftsstadt Adlershof („Auch wenn die Sozen so tun, als hätten sie das alles gerissen.“), Gesetz zum Schutz der „redlichen Erwerber“, also DDR-Bürger auf Grundstücken mit unklarer Eigentümergeschichte, sowie große Infrastrukturprojekte: Als Bauleiter im DDR-Autobahnkombinat habe er sämtliche schon gebauten und noch geplanten Entlastungsstraßen im Bezirk bei den zuständigen Stellen „laut rinjebrüllt“. Deshalb „müsste ick ja 80 Prozent kriegen, wenn ick gegen den Gysi antrete. Der hat ja nun wirklich nüscht für den Bezirk jetan.“€

Der Bezirk, das sind – zumindest bis zur BER-Eröffnung – einerseits sehr ruhige Wald- und Wasserlagen, andererseits das dank der Hochschule für Technik und Wirtschaft nicht mehr ganz so triste Schöneweide. Dazwischen die idyllische, aber wenig belebte Altstadt, mehrere neue Wohnungsbauprojekte zu durchweg gehobenen Preisen und das reizend um die Bölschestraße am Müggelsee gelegene Friedrichshagen, dessen Ureinwohner manchmal klagen, es werde hier wie in Prenzlauer Bioberg. Einig sind sie sich mit den Neuen in ihrer Wut auf den drohenden Fluglärm durch die Müggelsee-Route. Wer wissen will, wie sich Politikverdrossenheit gut situierter Leute anfühlt, kann das hier erleben.

Für ein paar andere Verdrossene gibt es im Bezirk die Bundeszentrale der NPD, solange die Neonazitruppe nicht verboten ist. Die fällt im Alltag zwar wenig auf, aber ohne sie wäre der Bezirk für die meisten doch noch sympathischer.

Matthias Schmid hat 3000 Haushalte besucht

Wie die kleine Politik mit der großen zusammenhängt, kann Matthias Schmidt besonders gut erklären. Der SPD-Kandidat arbeitet tagsüber im Bundesinnenministerium und abends als Fraktionschef in der Bezirksverordnetenversammlung. „Ich präsentiere mich bewusst als Gegenmodell zu Herrn Gysi“, sagt der 50-jährige Diplom-Verwaltungswirt. Er wohnt in Grünau, wo das SPD-geführte Bezirksamt nach dem Eindruck mancher Bewohner nur in Gestalt von Knöllchenschreibern präsent ist. Rund 3000 Hausbesuche habe er mit seinem Team schon absolviert. „Zu 80 Prozent geht es um die Probleme vor der Tür“, resümiert er.

Der Haustürwahlkampf sei effektiv: Da könne man den Leuten erklären, dass sie den heiß ersehnten Regionalbahnhof in Köpenick nur bekommen, wenn jemand dem Verkehrsminister als Eigentümer der bockbeinigen Bahn auf die Nerven gehe. Ähnlich sei es bei der vom Bund bezahlten Verlängerung der Stadtautobahn: Die müsse unbedingt zur Frankfurter Allee weitergeführt werden, weil der aktuelle – auch von der SPD beschlossene – Stummel mit seinem Ende vor der Elsenbrücke für sich genommen „eine Katastrophe“ sei. Dass seine Chancen gegen Gysi mau sind, bestreitet Schmidt nicht. Als Wahlziel nennt er, mehr Erst- als Zweitstimmen für die SPD zu holen.

Gregor Gysi will wieder ein Direktmandat für die Linke holen

Am Abend treffen sich dann alle Kandidaten zur Podiumsdiskussion in einer Lounge des von Fans und Sponsoren so grandios erneuerten Stadions an der Alten Försterei. Gysi kommt eine Viertelstunde zu spät, aber kann dafür in knapp eineinhalb Minuten sowohl sein lokal- als auch weltpolitisches Programm darlegen: Wegen des Regionalbahnhofs habe er den Bahnchef schon angeschrieben, beim Fluglärm „steht Gesundheit vor Wirtschaftlichkeit“, im Bund gelte „immer gegen Krieg“ und die Rettung des Euro, solange sie nicht Griechenland & Co. ruiniere. Rente wieder ab 65, gleiche Bildungschancen „für das dritte Kind einer Hartz-IV-Empfängerin wie für das Kind eines Professors“, kalte Steuerprogression dämpfen, „Punkt!“ Die restlichen zehn Sekunden von Gysis Redezeit bleiben für den Beifall.

Es geht dann wieder vor allem um Verkehrsprobleme. Kein Wunder in diesem Bezirk, dessen Ortsteile bis zu 20 Kilometer auseinanderliegen und nur durch ein dünnes Hauptstraßennetz verbunden sind, in dem man immer irgendwo hängen bleibt. Irgendwann sind die Kandidaten beim leider nicht genehmigungsfähigen Querparken an der Wuhlheide als Rezept gegen das Verkehrschaos vor und nach Union-Spielen. Gysi fordert ein Parkhaus, Schmidt verspricht mehr Straßenbahnen dank einer neuen Wendeschleife ab 2014 – und muss sich von dem Piraten belehren lassen, dass die BVG diesen Plan gerade als unrealistisch verworfen habe.

Niedergesäß vertritt wieder fast ausschließlich sein Autobahnkombinat und sagt: „Wir im Osten kannten ja so’n Scheiß von Planfeststellung nicht. Wir ham einfach jebaut, dit is’ janz einfach!“ Im Übrigen gehöre er als Ingenieur in den Bundestag, weil die vielen Juristen dort „doch ihren Verstand versoffen“ hätten. Schmidt guckt ein bisschen traurig, Gysi hält seine Fassade überwiegend intakt. Es ist die siebte Runde der Kandidaten – und nicht ihre letzte. Am Ende plädiert einer im Publikum für eine Koalition aus FDP und Linken, weil deren Leute doch eindeutig die vernünftigsten hier gewesen seien.

Wenn der FDP-Kollege sein Ergebnis hält und Gysi noch einen Prozentpunkt mehr holt, würde das Erststimmenergebnis in Treptow-Köpenick tatsächlich für Tiefrot-Gelb reichen.

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