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Walter Momper heute.

© Mike Wolff

Walter Momper im Interview: „Die Alternative Liste war noch verrückter als die Grünen heute“

Heute vor 25 Jahren wurde Walter Momper zum Regierenden Bürgermeister gewählt. Ein Gespräch über Koalitionskrach, Autorität und Frauen im Senat.

Von Sabine Beikler

Herr Momper, die Sozialdemokraten sitzen seit 1989 in jedem Berliner Senat. Seit 25 Jahren. Den Anfang haben Sie mit Rot-Grün gemacht. Hätten Sie sich das träumen lassen?

Das weiß man ja nie vorher. Das merkt man erst, wenn es soweit ist.

Die Parolen im Wahlkampf 1989 waren relativ abstrakt. „Berlin ist Freiheit“ bei der SPD, „Frohes Neues Berlin“ bei der CDU und ein „Frohes 1993“ bei der FDP. Die Alternative Liste (AL), also die heutigen Grünen, griff offensiv Themen auf. Haben Sie mit deren Vertretern damals schon Geheimgespräche geführt?

(Momper lacht). Nein, das stand überhaupt nicht zur Diskussion. Es gab Kontakte, aber das war’s auch.

Nach der Wahl war die FDP nicht mehr im Parlament, SPD und CDU hatten je 55 Mandate, die AL kam auf zwölf Prozent.

Keiner hatte dieses Ergebnis erwartet.

Schauen wir uns das getrennte Berlin von damals an. Amerikaner, Briten und Franzosen hatten seit Kriegsende im Westen bei wichtigen politischen Entscheidungen ein Wort mitzureden. Die waren nicht gerade amüsiert, als Sie mit der Alternativen Liste ankamen, oder?

Ach, damit hatten die Alliierten schon aufgrund des Wahlergebnisses gerechnet. Dann haben die Amerikaner und Engländer mich befragt, was so eine Koalition für den Status der Stadt bedeuten könnte. Da habe ich ihnen gesagt, dass sie keine Befürchtungen haben sollten. Sollte es eine Koalition geben, würde das geregelt sein.

Und wie haben Sie der Alternativen Liste ein Bekenntnis zum Gewaltmonopol des Staates, zur Präsenz der Alliierten Mächte und den Bindungen Berlins an den Bund abgerungen?

Auch die linken Kräfte haben sich darauf eingelassen. Das war völlig klar. Ohne diese Essentials hätte es keine Koalition gegeben. Die Punkte waren für die Sicherheit und Lebensfähigkeit der Stadt unabdingbar. Ich hatte aber auch die große Koalition in Erwägung gezogen.

Vieles umgingen Sie damals im Koalitionsvertrag. Kritische Punkte waren plötzlich zu Prüfaufträgen umformuliert …

… das macht man immer in Koalitionsverträgen. Wenn man sich nicht verständigen kann, gibt es Prüfaufträge.

Aber es waren sehr viele Prüfaufträge.

Das hing damit zusammen, dass erstmals ein Koalitionsvertrag gemacht wurde, der vom Anspruch her alles regeln wollte. Normalerweise postulierte ein Vertrag, dass man gemeinsam regieren will und sich auf notwendige Kompromisse einlässt.

Am 16. März 1989 wählte die rot-grüne Mehrheit im Abgeordnetenhaus den 13-köpfigen Momper-Senat. Acht Frauen, fünf Männer. Die erste deutsche Landesregierung mit Frauenmehrheit. Wie haben Sie sich als Mann gefühlt?

Ich habe mich nicht anders als vorher gefühlt. Froh und stolz war ich, dass ich diese Senatszusammensetzung so hingekriegt hatte. Wir wollten politisch damit zum Ausdruck bringen, dass die Hälfte der Gesellschaft genauso viel wert ist wie die andere Hälfte. Wir hatten damit keine Probleme. Jede Senatorin war doch am Erfolg der Sache interessiert. Die machten zwar ihr Hexenfrühstück …

… die Senatorinnen beider Parteien trafen sich vor jeder Senatssitzung bei Heide Pfarr, der SPD-Senatorin für Bundesangelegenheiten zum sogenannten Hexenfrühstück. Waren Sie mit dabei?

Nein. Aber nach allem, was ich gehört habe, haben die Frauen schon auch über die Tagesordnung im Senat gesprochen. Aber die haben über alles andere auch geredet. Denn viele der Senatorinnen hatten keine Politikerfahrung. Wenn man so ein Leben als Senator oder Senatorin führt, muss man viele Dienstleistungen abgeben, weil einfach keine Zeit mehr da ist. Darüber waren die Frauen mehr verwundert als die Männer, die das eher gewohnt waren, haushaltsunabhängig zu leben. Die Frauen damals noch nicht so.

"Die Öffentlichkeit glaubte nicht mehr an die Autorität dieser Koalition und an meine Autorität."

Die Koalition war brüchig. Aus jedem Problem wurde ein Koalitionskonflikt. Die Grünen können kompliziert sein. Und die Alternative Liste als Vorgängerin …

… war noch verrückter als die Grünen heute.

Sind Sie da nicht manchmal ausgerastet?

Nein, eigentlich nicht. Damals hat man immer versucht, einen Kompromiss hinzubekommen. Es war eine streitbare Koalition. Keine Frage. Richtigen Streit gab es um die wirklich großen Dinge wie zum Beispiel eine Olympia-Bewerbung oder den Bau von Stromtrassen. Ich verhandelte mit der AL einen Kompromiss, gehe aus den Gesprächen raus. Und dann hieß es plötzlich: Nö, der Kompromiss reicht uns nicht aus. Dann wurde wieder nachverhandelt. Das war ermüdend. An der Kompromissfindung mangelte es den Grünen am meisten. Sehr problematisch war es nach dem Mauerfall, als es politisch um die Wiedervereinigung ging. So wollten die Grünen eine Resolution zur Deutschen Einheit nicht mitunterzeichnen. Und an die Adresse der SPD gerichtet sagten sie: Besorgt euch doch die Mehrheiten bei der CDU.

So hat die SPD den Kaufvertrag mit Daimler-Benz für den Potsdamer Platz mit den Stimmen der CDU verabschiedet.

Ja, so muss das gewesen sein. Aber die Grünen wollten dann den Forschungsreaktor am Hahn-Meitner-Institut nicht mehr genehmigen. Die zuständige Grünen-Senatorin Michaele Schreyer ging massiv gegen mich als Regierenden Bürgermeister vor. Nach irgendeiner unangenehmen Verhandlung traten wir vor die Presse und dann sagte Frau Schreyer: Der Regierende Bürgermeister sagt die Unwahrheit, er lügt. Da können Sie als Regierender Bürgermeister nur eines machen: die Senatorin rausschmeißen, was verfassungsrechtlich nicht möglich war, oder selbst zurücktreten. So saß ich nun da. Das alles bewirkte, dass die Öffentlichkeit an die Autorität dieser Koalition und an meine Autorität nicht mehr glaubte.

Obwohl Sie damals nach dem Mauerfall weltberühmt wurden: der Mann mit dem roten Schal. Hat Ihnen das geschmeichelt?

Natürlich, man fühlt sich geschmeichelt, wenn man internationalen Erfolg und einen gewissen Bekanntheitsgrad hat.

Haben Sie den Schal von 1989 noch?

Ja, den habe ich noch. Ich habe die anderen roten Schals immer zwei bis drei Jahre getragen und sie dann für einen guten Zweck zur Verfügung gestellt.

Die rot-grüne Koalition zerbrach 1990 an der nicht abgesprochenen Räumung der besetzten Häuser in der Mainzer Straße.

Das war vordergründig. Die Berliner Grünen-Senatorinnen wollten die Koalition nicht platzen lassen. Der damalige Parteivorsitzende, Hans-Christian Ströbele, hatte von Bonn aus angeordnet, dass die Grünen die Koalition platzen lassen sollten. Es war ja Wahlkampf. Und so erhoffte man sich ein gutes Ergebnis. Tja, und was passierte? Die Grünen erreichten nur noch fünf Prozent.

Sie waren von 2001 bis 2011 Präsident des Abgeordnetenhauses. War das eine schöne Zeit, als Rot mit Rot regierte?

Ja, das war eine gute, problemlose Zeit. Traf man mit den Linken eine Absprache, dann hielten sie diese auch ein. Da waren sie viel disziplinierter als die Grünen.

Was wäre heute Ihre Lieblings-Koalition?

Mit den heutigen Grünen würde das gehen. Aber auch mit der Linkspartei. Das ist mir ziemlich egal.

Wie finden Sie aktuell die große Koalition?

Die große Koalition läuft problemlos. Und ein Innensenator Henkel von der CDU lässt den Oranienplatz auch nicht mehr räumen. Henkel sieht auch die Grenzen der politischen Spielräume, um den Frieden in der Stadt zu wahren.

Am Montag feiern Sie das Jubiläum: 25 Jahre Momper-Senat. Treffen Sie Ihre früheren Senatoren regelmäßig?

Ja, wir machen einmal im Jahr ein kleines Treffen. Und ich freue mich sehr auf das Wiedersehen am Montag.

Das Gespräch führte Sabine Beikler.

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