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Berlin: Wannsee wird neu besiedelt

Bauboom für Eigenheime in der alten Kolonie Alsen: Großprojekt soll in Kürze genehmigt werden

Werner Klinski wohnt ruhig in Sichtweite des Großen Wannsees. Er wird die Ruhe bald vermissen. Dann rollen Baulaster in der Straße zum Löwen vorbei, fahren die schmale Zufahrt zum großen hügeligen Nachbargelände herauf. Arbeiter werden dort auch die Kirche abreißen, die Architekt Klinski vor rund 50 Jahren entworfen hat. „Das schmerzt.“

Aber die Investoren, die hier auf dem Gelände des einstigen Don-Bosco-Heims 155 Wohnungen in Einfamilien-, Doppel- und Reihenhäusern bauen wollen, können mit der Kirche nichts anfangen. Sie ist wie andere alte Gebäude schon eingezäunt, verbotenes Terrain.

„Es tut sich viel in Wannsee“, sagt Baustadtrat Uwe Stäglin (SPD). Vorbote für den Bau vieler weiterer Eigenheime auf der Halbinsel ist der hohe Kran, der sich nur wenige Meter entfernt vom Denkmal des Flensburger Löwen dreht. Der Wald ist gelichtet, Sandberge sind aufgehäuft, die Firma Kondor Wessels bereitet den Bau von sieben Doppelhäusern der Marken „Nikolassee“ und „Wannsee“ vor.

In der nahen Straße Zum Heckeshorn wird noch an einer Siedlung mit 20 Doppelhaushälften und weiteren Reihenhäusern des Investors NCC gebaut, und hundert Meter weiter, wo Architekt Klinski wohnt, kündigt sich nun die größte Baustelle in Wannsee an. Die amerikanische Immobiliengesellschaft Apellas will eine noch größere Siedlung errichten. Die Baugenehmigung wird in diesem Monat erwartet. Die Firma hatte das Gelände mit vereinzelten Häusern, Sportplätzen und dem Reit-Therapie-Zentrum vor zwei Jahren vom Salesianer-Orden gekauft. Damit war das Ende des Don-Bosco-Heims für jugendliche „Problemfälle“ besiegelt. Der Orden konnte das Gelände, auf dem Werner Klinski etliche Bauten errichtet hatte, nicht mehr unterhalten. Das Reitzentrum, das Untermieter der Salesianer gewesen war, wird nicht angetastet. Apellas kündigte seine Baupläne 2006 an, eine Bürgerinitiative um den Juraprofessor Horst Baumann reagierte, sammelte Protestunterschriften. Sie sei nicht gegen Neubauten, fürchte aber zu viele Häuser und zu viel Autoverkehr in der „einmaligen Kulturlandschaft“ der alten Kolonie Alsen.

Sie war Berlins erste Villenkolonie, 1863 vom Bankier Wilhelm Conrad gegründet, der später auch die Wannseebahn bauen ließ. Die Kolonie zog damals viel Prominenz aus Kreisen der Hochfinanz und der Kunst an, Siemens, Sauerbruch, Oppenheim, Liebermann oder Begas sind nur einige Beispiele. Die Landschaft wurde wegen ihrer Hügel auch die „Schweiz“ genannt.

Mit der derzeitigen Aufgabe des Klinikgeländes Heckeshorn aber wachsen auch die Begehrlichkeiten von Investoren, Eigenheime auf großen, frei werdenden Arealen zu errichten. Für das einstige Don-Bosco-Gelände wurden inzwischen Verkehrs- und Landschaftsgutachten vorgelegt, um „einvernehmliche Lösungen“ zu erzielen, etwa über schonende Abstandsflächen. Einstimmig lehnte die Bezirksverordneten-Versammlung eine Verbreiterung des Don-Bosco-Steigs ab. Das hätte Bäume gekostet. Auf dem Gelände bleiben einige alte Gebäude wie eine einstige Bankiersvilla erhalten, die Kirche aber hat sich nach Ansicht von Apellas nicht in das Konzept eingliedern lassen. Ein Pförtnerhäuschen könnte eventuell zum Kiosk werden. Die Siedlung werde auf Verkaufsnachfrage gebaut, so dass der Fertigstellungstermin noch offen sei. Es werde ein „traumhaft schönes Quartier“, sagt Geschäftsführer Veit Fischer.

Von Seiten der Anwohner kam der Vorschlag, zwischen der Anlegestelle Wannsee und dem Flensburger Löwen eine Personenfähre einzusetzen. Baustadtrat Stäglin spricht von einer „spannenden Idee“, zumal das Haus der Wannsee-Konferenz oder die Liebermann-Villa immer mehr Besucher nach Wannsee locken. Der Bezirk denkt auch über zusätzliche Parkplätze nach. Der Bund für Umwelt und Naturschutz beobachtet das Baugeschehen kritisch, versucht immer wieder zu vermitteln. Es fehle ein übergeordneter Entwicklungsplan, ein Verkehrskonzept, sagt die Berliner BUND-Sprecherin Carmen Schultze. Stets gehe es auch um den Baumbestand. Der Charakter von Wannsee dürfe nicht gefährdet werden.

Über den „Umgang mit Naturwerken in Wannsee“ wollen der BUND und Stadtrat Stäglin heute um 19 Uhr in der evangelischen Kirchengemeinde am Schuchardtweg 5 in Wannsee öffentlich diskutieren.

Christian van Lessen

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