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Berlin: Warme Worte im kalten Zelt

Wie der Wirtschaftssenator und streikende Arbeiter des CNH-Werks sich gegenseitig Mut machen

Vor dem Werkstor pfeift ein eisiger Wind, die Arbeiter wärmen sich vor Ölfässern, in denen Feuer brennen. In dem weißen Partyzelt nur ein paar Meter weiter kriecht einem klamme Kälte schnell unter die Haut. Dort sitzen Männer, die Hände tief in ihre Jackentaschen gegraben. Sie warten. Sie hoffen. Auf wärmende Worte. Auf eine Zukunft. Auf einen Mann.

Die rund 200 Männer, die in dem Zelt warten, sind Arbeiter des CNH–Werkes in Spandau. CNH, eine Tochterfirma des Fiat-Konzerns und weltweit drittgrößter Hersteller von Baumaschinen, will Ende Juli die Produktion in Berlin dichtmachen. Die Männer streiken, es geht um 400 Arbeitsplätze, es ist der zweite Streiktag. Der Mann, auf den sie warten, ist Harald Wolf, der Wirtschaftssenator von der Linkspartei. Von ihm wollen sie hören, dass es Möglichkeiten gibt, die Schließung zu verhindern.

Wolf betritt die Bühne an der Kopfseite des Zeltes, jemand reicht ihm ein Mikrofon. Wolf bestellt „solidarische Grüße“ des ganzen Senats. Er spricht einen Moment in komplizierten Sätzen über Unternehmen und deren soziale Verantwortung. Dann sagt er, der Senat werde von CNH rund 70 Millionen Euro Zuschüsse und Vergünstigungen zurückfordern, wenn die Firma das Werk schließt. Die Männer fassen das als Drohung auf. Lauter Jubel, Trillerpfeifen, Tuten. Wie im Fußballstadion.

Wolf verteilt Schuld. Erst Samsung und JVC, jetzt CNH; die Schließungen hätten nichts mit dem Standort Berlin zu tun. Managementfehler! Falsche Unternehmenspolitik! Wolfs Stimme überschlägt sich. Seine Empörung wirkt ehrlich. Wieder jubeln die Männer.

„Der Kampf, den Sie führen, ist ein Kampf um den Industriestandort Berlin“, fährt Wolf fort. Jetzt scheint Wolf derjenige zu sein, der warme Worte hören möchte. Der Betriebsrat, der den Streik organisiert, tut ihm den Gefallen. Er sichert Kampfbereitschaft zu, auch wenn der Streik mehrere Wochen dauern sollte. Dann stellt er einen Mann vor, der verdeutlichen soll, wie ernst das gemeint ist: Reiner Peters-Ackermann. Er hat Erfahrung mit Streiks, die mehrere Wochen dauern. Er macht die Pressearbeit für die Streikenden in Nürnberg, die sich gegen die Schließung des AEG-Werks stemmen. Er soll nun die Pressearbeit in Spandau übernehmen. In der kommenden Woche sollen 50 AEG-ler nach Spandau kommen, um die CNH-Werker bei ihrem Arbeitskampf zu unterstützen. Der Wirtschaftssenator klatscht. Er beantwortet noch ein paar Fragen.

Als der Senator aufsteht, erheben sich die Arbeiter, stehend gibt es Ovationen. Wolf verlässt das Zelt durch ein Spalier applaudierender Arbeiter. Sind die Männer zufrieden? „War gut für die Moral“, sagt Eberhard Scholtyssek, 51 Jahre alt, seit sieben Jahren im Werk. „War okay“, sagt Frank Reinke, 48, Montageschlosser. Er ist skeptisch, ob sie gleich den gesamten Industriestandort Berlin retten können.

Vorerst, sagt er, sei er stolz, dass sie die CNH-Produktion in Spandau zum Erliegen gebracht haben.

Marc Neller

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