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Berlin: "Warschau liegt eben näher an Berlin als Bonn"

Der Stadtentwicklungssenator fordert eine Orientierung der Berliner Politik nach Mittel- und OsteuropaPeter Strieder: Als "Supersenator", der für Stadtentwicklung, Bauen und Verkehr zuständig ist, hat der SPD-Landesvorsitzende im vorigen Jahr vorerst sein politisches Ziel erreicht. Aber ihm werden auch noch höhere Ziele zugetraut.

Der Stadtentwicklungssenator fordert eine Orientierung der Berliner Politik nach Mittel- und Osteuropa

Peter Strieder: Als "Supersenator", der für Stadtentwicklung, Bauen und Verkehr zuständig ist, hat der SPD-Landesvorsitzende im vorigen Jahr vorerst sein politisches Ziel erreicht. Aber ihm werden auch noch höhere Ziele zugetraut.

Hat die SPD ein halbes Jahr nach der Abgeordnetenhauswahl das Wahlergebnis schon wieder vergessen? Die Sozialdemokraten wollten sich doch profilieren und reformieren, nichts davon ist zu spüren...

Einspruch. Wir sind auf dem Weg, den wir einschlagen wollten. In der Regierungspolitik stehen wir zur sozialdemokratischen Fahne, zu den Grundwerten von Gerechtigkeit und Solidarität. Das neue Stadtprogramm wird zurzeit in innerparteilichen Regionalkonferenzen erarbeitet. Die Modernisierung der SPD lässt sich nicht so nebenbei, von oben nach unten, durchsetzen. Es muss einen Diskussionsprozess von unten nach oben geben, und der findet statt. Aber klar ist: Wir müssen uns bewegen. Wir öffnen die Fenster. Das Profil der SPD wird wieder deutlich, als Partei, nicht nur als Regierungsteil oder Parlamentsfraktion.

Welches Profil?

Es geht um neue Leitbilder: die soziale Stadtentwicklung, die Stadt des Wissens und der Kultur, es geht um die Einheit und um Berlin als Zentrum eines wieder erstehenden Mitteleuropas. Die SPD muss Abschied nehmen von der Vorstellung der Allmacht und der Allzuständigkeit des Staates. Den Menschen müssen größere Chancen eingeräumt werden, ihre Angelegenheiten selbst in die Hand zu nehmen, nicht alles den Verwaltungskörperschaften zu überlassen. Dabei können wir uns auf basisdemokratische Traditionen der SPD berufen. Mehr Offenheit für wirtschaftliche Fragen, mehr Wertschätzung für Risikobereitschaft und Unternehmertum gehören auch dazu. Für die SPD wird die Frage entscheidend sein, wie ihr soziales Profil mit der Kompetenz verbunden wird, Zukunftsfragen zu lösen. Insgesamt muss sich die Berliner Politik noch mehr nach Mittel- und Osteuropa orientieren. Warschau liegt eben näher an Berlin als Bonn. Hier braucht die Stadtpolitik mehr Offenheit für Neues. Berlin hat sich vieles erarbeitet, was sich sehen lassen kann in Europa. Es gibt keinen Grund, gebückt und mit hoch gezogenen Schultern herumzulaufen. Der Prozess der Modernisierung und Transformation Berlins ist ein wichtiger Erfahrungsschatz für andere Städte.

Und was hat die Berliner SPD nach zehn Jahren deutscher Einheit noch zur Einheit zu sagen?

Die soziale Lage und die Lebenschancen orientieren sich nicht mehr nach Ost und West. Friedrichshain und Kreuzberg haben vergleichbare soziale Probleme, die sich von denen in Steglitz ebenso unterscheiden wie von denen in Hellersdorf. Gleichwohl wird dies noch anders wahr genommen. Dass die PDS 38% Stimmenanteil im Ostteil Berlins hat und die CDU 40% im Westteil, bedeutet doch, dass sich mental noch ganz wenig in Richtung Einheit entwickelt hat. Die alten politischen Reflexe aus der Zeit vor der Wende drücken sich im Wahlverhalten aus. Das heißt für die SPD auch, dass wir uns mit der PDS viel intensiver als bisher inhaltlich auseinander setzen müssen, um Trennendes und Gemeinsames auszuloten. Jenseits von überflüssigen Koalitionsdebatten. Ich kann allerdings gut verstehen, dass manche Sozialdemokraten, die aus der DDR stammen, einen dicken Hals kriegen, wenn sie mit der PDS-Basis diskutieren, dabei unterbrochen und angebrüllt werden. Das erinnert einige Genossen stark an die Zeit vor 1989. Was öffentlich wahrgenommen wird, sind doch häufig nur die cleveren, flexiblen Führungsleute der PDS. Unterhalb dieser Führungsebene hat sich längst nicht so viel geändert in der PDS, wie es den Anschein hat.

Wie fügt sich die Berliner SPD künftig in die Parteienlandschaft ein - zwischen CDU, PDS und Grünen?

Die Abgrenzung zu den jeweils anderen Parteien wird für alle Parteien immer schwieriger. Die Milieus lösen sich auf. Zum Beispiel: In Berlin haben wir 50% Single-Haushalte mit steigender Tendenz. Familienpolitik tangiert also einen kleiner werdenden Teil der Bevölkerung. Die Bedeutung der Kirchen nimmt ab. Die Industriearbeiterschaft ist nicht mehr da. Die Parteien werden sich in Zukunft mehr durch die Qualität ihrer Führungsleute unterscheiden, die in der Lage sein müssen, Politik überzeugend zu managen und Vertrauen zu bilden.

Der erbitterte innerparteiliche Streit, den Ex-Finanzsenatorin Fugmann-Heesing mit ihrer sehr entschiedenen Spar- und Privatisierungspolitik provozierte, ist ausgestanden, vergeben und vergessen?

Wir konnten in den vergangenen vier Jahren leider nicht das Missverständnis ausräumen, dass Finanzpolitik kein Selbstzweck ist. Hinter der notwendigen Haushaltskonsolidierung steht die Frage, welchen Handlungsspielraum sich die Politik wieder erarbeiten kann. Deshalb halten wir an Ausgabendisziplin und der Absenkung der Nettoneuverschuldung fest. Innovation und Gerechtigkeit ist unser Motto. Die zweite Hälfte dieses Mottos haben wir in der vergangenen Wahlperiode aber nicht ausreichend vermitteln können.

Der SPD-Landesverband ist derzeit sehr mit sich selbst beschäftigt: Mit Kreisvorstandswahlen und der Neugliederung der bezirklichen Verbände.

Bei der Fusion der Kreisverbände bricht viel Altes auf - und hoffentlich auch weg. Althergebrachte Parteistrukturen und Denkmuster werden in Frage gestellt. Die Parteigliederungen formieren sich neu, unterschiedliche Verhaltens- und Politikmuster stoßen aufeinander. So mancher muss auf einen Posten verzichten. Zum Beispiel fusioniert die SPD Kreuzberg, in der einige seit 20 Jahren die selben Schlachten schlagen, nun mit einer SPD Friedrichshain, die 1990 gegründet worden ist. Der Kreisverband Wedding schwankt zwischen dem Stolz, bald zum Hauptstadtbezirk zu gehören, und der Trauer, demnächst nicht mehr eigenständig zu sein. Aus den traditionellen Gesprächskreisen - Donnerstagskreis, Britzer Kreis usw. - sind inzwischen Freundeskreise geworden, die leider kaum noch inhaltliche Debatten führen.

Wenn es nicht mehr die alten Freundeskreise und Gruppierungen sind, wer bestimmt dann die innerparteiliche Diskussion?

Das ist interessant: Zu den Regionalkonferenzen kommen nicht die mittleren Funktionäre, sondern vorwiegend einfache Mitglieder. Sogar solche, die sonst nicht einmal zu Abteilungsversammlungen gehen und die das Angebot, wieder eine inhaltliche Debatte in der SPD führen zu können, begierig aufnehmen.

Auch die junge Generation in der SPD hat offenbar das Gefühl, zu kurz zu kommen. Welche Themen verbinden die Jüngeren mit sozialdemokratischer Politik?

Das hat sich noch nicht so richtig herausgeschält. Unumstritten ist das Thema "Soziale Stadtentwicklung", bei dem die Jusos Vorreiter waren. Ich hoffe sehr, dass die Jüngeren wichtige Impulse geben, wenn es um den Weg Berlins in die Informationsgesellschaft geht. Da liegen wir in Berlin, in Deutschland, weit hinter anderen Ländern zurück.

Was sagt der Alt-Linke Strieder zu dem merkwürdigen Streit, wer den linken SPD-Flügel in die Zukunft führen darf? Angeblich will Walter Momper diesen Job übernehmen.

So ein Quatsch. Momper will nicht die Linke führen, sondern hat nur öffentlich begründet, warum er Sozialdemokrat ist. Weil er auf der linken Seite der Gesellschaft seine Heimat sieht. Es gibt sicher den Versuch, eine pragmatische Linke innerhalb der SPD wiederzubeleben. Aber es ist noch nicht absehbar, wer diese Parteilinke koordinieren wird. Es ist mir nicht so wichtig, wer das macht. Wichtig ist, dass neue politische Anstöße geliefert werden. Wenn es nur ein Freundeskreis wird, um ein paar Bundesparteitags-Delegierte durchzusetzen, ist das Projekt verzichtbar.

Wie verstehen Sie sich mit dem SPD-Fraktionschef Klaus Wowereit, der ja auch politischen Ehrgeiz hat?

Sehr gut. Wir sind eine Generation, kommen persönlich gut miteinander aus. Jeder hat seine Rolle. Die Fraktion besorgt das Alltagsgeschäft, der Landesvorstand und Landesparteitag sollten sich davor hüten, Aufsichtsrat der Fraktion sein zu wollen. Die Partei ist zuständig für die Leitlinien, an denen muss sich dann auch die Fraktion orientieren. Diese Arbeitsteilung funktioniert jetzt besser.

Manche behaupten, der Super-Senator Strieder habe zu wenig Zeit für die Parteiarbeit. Ist das nur ein übles Gerücht?

Es ist doch von Vorteil, wenn der gegenwärtige SPD-Landesvorsitzende als Senator in die politischen Entscheidungsprozesse der Stadt eingebunden ist und dadurch den Einfluss der SPD stärkt. Wenn der Parteivorsitzende nicht im Senat oder in der Fraktion verankert ist, kann er zwar kräftig auf den Tisch hauen, aber das beeindruckt nicht einmal den Tisch. Warum diskutieren denn die Grünen so leidend und leidenschaftlich über die Trennung von Amt und Mandat?

Sie wollen im Juli wieder für den SPD-Landesvorsitz kandidieren. Wenn Sie einen Wunsch frei hätten: Wen würden Sie aufnehmen in das künftige Führungsteam der Berliner SPD? Außer Klaus Riebschläger und Christine Bergmann?

Wir müssen jetzt mit dem personellen Umbau der Führungsgremien beginnen. Erfahrene und junge Leute sollen dort zusammen kommen. Wir müssen den Jüngeren die Chance geben, in die Vorstandsarbeit hinein zu wachsen und Erfahrungen zu sammeln. Dafür werde ich werben und wirken. Wenn wir nur den Platzhirschen Platz geben, käme die notwendige Verjüngung der Parteispitze nicht voran.

Wird Annette Fugmann-Heesing zum neuen Team gehören?

Ich möchte nicht öffentlich über einzelne Personen spekulieren. Mit Peter Strieder sprach Ulrich Zawatka-Gerlach.

Hat die SPD ein halbes Jahr nach der Abgeordnetenh

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