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Berlin: Warten als Lust und Last

Abschied der Franzosen: Anstehen gehört zum Event Auch gestern gab es noch einmal lange Schlangen

Die Menschenschlange wand sich bis hinter die Nationalgalerie: Zum Abschied der „Schönsten Franzosen“ kamen die Besucher noch mal zahlreich. Hinter der Kasse haben die beiden Berlinerinnen Susanne und Antje die begehrten Eintrittskarten schon in der Hand. Sie lächeln erleichtert. So sehen sie die Wartezeit wieder ganz entspannt: „Für die Franzosen kann man schon mal ’ne Stunde stehen“, sagt Susanne. Ob es ein Wiedersehen gibt, ist schließlich ungewiss.

„Wer weiß, ob ich nach New York komme“, sagte Besucherin Sylvia Chopurian. Im dortigen Metropolitan Museum of Arts sind die Franzosen eigentlich beheimatet. Chopurian wartete bis zum letzten Tag, um den 147 Meisterwerken französischer Künstler des 19. Jahrhunderts „Au révoir“ zu sagen. Still und heimlich reisen die schönen Franzosen in der nächsten Woche ab. Wie und wann ist streng geheim.

Rund 680 000 Besucher zählte die Nationalgalerie in vier Monaten. Gestern Abend wurde das Ende der Ausstellung mit einem Feuerwerk gefeiert. Am Tag allerdings standen die Besucher etwa eine Stunde bis zum Ticketschalter an. Danach mussten sie noch einmal zwei Stunden warten, bis sie die Ausstellung betreten durften. Für die Schlange am Ticketschalter hatte sich Sylvia Chopurian zum Zeitvertreib den preislich heruntergesetzten Ausstellungskatalog geholt. Ihre beiden Kinder nutzten den Vorplatz für ihre Fahrten mit dem Einrad. Auf blau- weiß-roten Sitzkissen hatte es sich ein Schweizer Ehepaar gemütlich gemacht. Sie haben in fünf Tagen so viel gesehen, dass ihnen die Wartezeit jetzt auch nichts mehr ausmacht. Die Berlinerin Kathrin Bommaschk hatte einen Klappstuhl mitgebracht. „Natürlich wäre es schön, wenn man sofort reinkommt. Aber jetzt heißt es tapfer sein“, sagt sie. Dem Ansturm kamen die Organisatoren auch mit der durchgehend geöffneten Nacht von Samstag auf Sonntag entgegen. Kathrin Bommaschk weiß ihr Glück zu schätzen: „Ich bin erleichtert. Am letzten Tag hatte ich es mir schlimmer vorgestellt.“

Irgendwie gehört das Warten auch dazu. Das war bei der MoMA-Ausstellung 2004, die insgesamt 1,2 Millionen Besucher in sieben Monaten sahen, ebenso. „Die Leute wollen das so. Das gibt dem Ganzen etwas Spezielles“, sagt Projektleiter André Odier vom Verein der Freunde der Nationalgalerie. Aber auch, wenn das Warten Teil des Events ist, zwölf Stunden sollten es diesmal nicht wieder sein. „Wir können nicht so ein Event wiederholen und keine Verbesserungen bringen.“ Deshalb dachte man sich einen SMS-Service aus, über den die Eintrittszeiten bekannt gegeben wurden, um so Wartezeiten zu vermieden. Matthias Jekosch

Matthias Jekosch

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