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Berlin: Warten auf die Sahara-Geisel

Ein Finanzfachmann und Motorrad-Begeisterter: Der Berliner Christian Grüne spielte in den letzten Tagen des Dramas eine wichtige Rolle: Er war Dolmetscher der Entführer

Monika Klich fährt mit ihrem Zeigefinger über den Kofferraum des roten Alfa Romeo Spider und schnipst den Staub weg. Eine dicke Schicht hat sich seit dem 22. Februar auf dem Sportwagen ihres Nachbarn Christian Grüne gebildet. An diesem Tag war der 37-Jährige zur Motorrad-Tour in die Sahara aufgebrochen. Aber erst, nachdem er entführt worden war, hatten die Hausbewohner mitbekommen, dass Christian Grüne die „Berliner Sahara-Geisel“ ist.

„Wir hoffen, dass er heute frei kommt und freuen uns, wenn er wieder hier ist“, sagt die 48-jährige Nachbarin. Zusammen mit ihrem Mann Lothar (62) steht sie in der Tiefgarage des Wohnhauses in der Rheinsberger Straße in Mitte und schaut auf den roten Sportwagen, der mit einer Plane abgedeckt ist. „Seit Herr Grüne verschwunden ist, passen wir auf, dass niemand an den Wagen geht“, sagt Lothar Klich.

Wie jetzt bekannt wurde, soll der 1,85 Meter große und braunhaarige Christian Grüne die entscheidenden letzten Tage des Geiseldramas in der Sahara getrennt von den übrigen entführten Touristen verbracht haben. Grüne soll dem Chefunterhändler der Entführer als Dolmetscher gedient haben: eine wichtige Rolle, schließlich ging es um die Verhandlungen über die Freilassung. Sein Vorteil: Er spricht gut französisch.

Das Nachbarehepaar Klich hatte bislang keinen engen Kontakt zu Grüne, der sein Geld als selbstständiger Finanzfachmann verdient. Ab und zu aber hätten sie sich auch mit Grünes Freundin Esther unterhalten. Sie sei Französin und arbeite, wie man hörte, als Lehrerin. Zeitweise habe Christian Grüne sogar mehr bei ihr gelebt als in seiner Eigentumswohnung mit Dachterrasse im 6. Stock. Frankophil wie er ist, reiste er immer wieder ins französischsprachige Ausland.

Zum einen brachte das sein Job mit sich: Bis August 1999 war der promovierte Wirtschaftsexperte Finanzvorstand des Berliner Consulting-Unternehmens bmp. Zum anderen suchte Grüne, der leidenschaftlich gern Motorrad fährt, das Abenteuer während seiner Urlaubsreisen. „Der hat sich ja, wie ich hörte, vor seiner Abreise noch genau erkundigt, ob es dort gefährlich ist, wo er hinfahren wollte“, sagt Monika Klich. Bei seinem Motorradhändler holte sich Grüne wenige Tage vor Reisebeginn noch Tipps für die Sahara-Fahrt und ließ seine Maschine wüstentauglich machen.

„Als wir hörten, was passiert ist, waren wir natürlich geschockt“, sagt Frau Klich. Klar, in der Hausgemeinschaft habe man immer mal wieder darüber gesprochen, wie es Christian Grüne wohl ergehen mag und ob er bald wieder zurückkommt. Grünes Mutter Ursula, die in Braunschweig lebt, habe das Ehepaar seit der Entführung nicht gesehen. „Ich frage mich manchmal, wie das alles funktioniert seit einem halben Jahr: Wer zahlt denn den Strom, die Miete, die ganzen Rechnungen und erledigt die Post?“

„Und, kommt er frei?“, fragt Farisada Kölm. Die 50-Jährige wohnt mit ihrer Familie ein Stockwerk unter Christian Grüne. Sie hat damals über Journalisten, die an ihrer Tür geklingelt haben, erfahren, dass ausgerechnet ihr Nachbar die Berliner Geisel ist. „Danach habe ich natürlich jeden Bericht verfolgt. Aber jetzt sieht es ja so aus, als wenn es endlich klappt mit der Freilassung“, sagt sie. Ihren Nachbarn hätte sie nämlich gern wieder im Haus. „So einen wie Herrn Grüne kann man sich nur wünschen als Miteigentümer: immer höflich, immer korrekt.“

Ihr Sohn kannte den entführten Berliner „nur flüchtig“. Ihn habe vor allem das Foto irritiert, das in allen Zeitungen verbreitet ist: Dort lächelt Grüne mit Brille, langem Haar und Bart in die Kamera. „Ich hab’ den bankermäßig in Erinnerung: Ohne Brille und mit kurzen Haaren“, beschreibt er den Entführten.

Nachbarin Klich erzählt, dass einige Hausbewohner Grünes Abenteuerlust beim Reisen nicht nachvollziehen können und arg verwundert gewesen seien: „Musste der denn auch ausgerechnet dorthin fahren?“, hätten sie sich gefragt.

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