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Berlin: Warten kostet nichts

Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner (PDS) will keine unmittelbaren politischen Konsequenzen aus dem von ihr am Mittwoch vorgelegten Armutsbericht ziehen. Sie habe lediglich „einen Diskussionsprozess im Senat anstoßen“ wollen, sagte Knake-Werner gestern.

Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner (PDS) will keine unmittelbaren politischen Konsequenzen aus dem von ihr am Mittwoch vorgelegten Armutsbericht ziehen. Sie habe lediglich „einen Diskussionsprozess im Senat anstoßen“ wollen, sagte Knake-Werner gestern. Kein Sofortprogramm also? „Nein, es hat keinen Sinn, etwas aus dem Ärmel zu schütteln“, sagte die Senatorin.

Die Untersuchung über „Armut und soziale Ungleichheit“ sei eine „Pilotstudie“ für den in der rot-roten Koalitionsvereinbarung angekündigten Berliner Armutsbericht. Den soll ein externes Institut bis 2004 erstellen. Kosten: bis zu 250 000 Euro. Nach den vorläufigen Zahlen lebt, wie berichtet, jedes vierte Kind in Berlin in Armut. Mit der Zahl der Kinder wächst für Familien das Armutsrisiko – vor allem für Alleinerziehende. Besonders viele ausländische Familien leben in ärmlichen Verhältnissen.

Für diese Problemgruppen gebe es bereits Programme, sagte die Sozialsenatorin: Mehr Sprachkurse und die geplanten Integrationskurse für Migranten, damit diese Arbeit finden sollen; das Senatsprogramm für mehr Ganztagsschulen, damit sich Mütter Arbeit suchen können. Zumindest auf die Ganztagsschulen muss Berlin noch warten: 30 zusätzliche sollen frühestens 2003 eröffnet werden.

Unmittelbar sieht die Sozialsenatorin kaum finanziellen Handlungsspielraum. Man müsse vorhandene Kiezstrukturen stabilisieren. Im Haushalt 2002/2003 sei es gelungen, den Etat der Stadtteilzentren mit drei Millionen Euro jährlich zu erhalten. Verarmte Familien müssten aber erst einmal dazu gebracht werden, die unentgeltlichen Kultur- und Freizeitangebote zu nutzen. Sozialarbeiter sollten die „soziale Ausgrenzung in den Familien aufbrechen“.

Die Wohlfahrtsverbände und die Kirchen sehen akuten Handlungsbedarf vor allem, was die Beratung verarmter Familien angeht. Zum Beispiel bei der Sozialhilfe: „Man konzentriert sich nur noch darauf, dass der Zahlungsfluss flutscht“, sagt Rainer Lachenmayer vom Paritätischen Wohlfahrtsverband. Das direkte Gespräch sei aber mindestens genauso wichtig. Allein würden die Leute aus ihrer Misere nicht herauskommen. Mehr Beratung wünscht sich Lachenmayer auch in den Kitas und Schulen. In kleineren Kita-Gruppen und Ganztagsschulen könnten Kinder mehr Anregungen bekommen und intensiver sprachlich gefördert werden. Ziel der Ganztagsschulen dürfe aber nicht sein, die Kinder von ihren Eltern zu trennen.

In Charlottenburg läuft seit zwei Jahren ein Pilotprojekt, in dem die Eltern in die Kita einbezogen werden. Vorbild ist das englische „Green Pen“-Modell, das sich in sozialen Brennpunkten rund um London bewährt hat, sagt Sigrid Ebert, die Direktorin des Pestalozzi-Fröbel-Hauses, die das Projekt gestartet hat. Nicht nur die Kinder werden betreut. Die Erzieher versuchen, arbeitslose Eltern aus ihrer Resignation zu locken, indem sie diese in die Kitaarbeit einbeziehen und ihnen helfen, eine Arbeit zu finden. „Man sollte das Projekt auf andere Bezirke übertragen“, sagt Ebert. Für jeden Kiez müsse man eine eigene, auf dortige Probleme zugeschnittene Variante enwickeln. Von Standardprogrammen hält sie nichts.

Hermann Pfahler vom Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche kritisiert ebenfalls, dass Sozialhilfe-Empfänger immer mehr sich selbst überlassen werden: „Wenn ich jemand umfassend berate, entfällt auch der Missbrauch“, sagt Pfahler. Gespräche seien effektiver als die Bewilligungspraxis immer rigider auszulegen. Dafür brauche man aber mehr Personal. Anstatt Mitarbeiter in den Bezirksverwaltungen zu entlassen, könne man sie zu Sozialberatern umschulen. -ry/clk

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