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Berlin: "Warten Sie nur mal ab! Ich bin Optimistin"

Sie will in die Offensive gehen - und nicht nur sparen, sondern Qualität fordern: Berlins neue Kultursenatorin über Verkrustungen und Befreiungsschläge.Neue Zeiten: Die Berliner Schaubühne wechselt an diesem Wochenende mehr als nur Stücktitel und ein Stück Fassade.

Sie will in die Offensive gehen - und nicht nur sparen, sondern Qualität fordern: Berlins neue Kultursenatorin über Verkrustungen und Befreiungsschläge.

Neue Zeiten: Die Berliner Schaubühne wechselt an diesem Wochenende mehr als nur Stücktitel und ein Stück Fassade. Die Zäsur am Lehniner Platz ist erst der Anfang möglicher und nötiger Veränderungen in der Hauptstadt-Kulturszene.

Frau Thoben, kommen Sie als Mitglied des CDU-Präsidiums zur Zeit noch dazu, sich auf das Amt der Berliner Kultur- und Wissenschaftssenatorin zu konzentrieren?

Eine schlimmere Situation habe ich als Mitglied dieser Partei noch nicht erlebt, das schlägt sich auch im Arbeitsalltag nieder. Es ist belastend, aber nicht in dem Maß, dass ich nicht mehr als Senatorin tätig wäre. Hatten Sie denn mit einer so schwierigen Erbschaft gerechnet, wie sie Ihnen Ihr Amtsvorgänger hinterlassen hat?

Überrascht worden bin ich allenfalls vom Ausmaß des Sparzwangs. Die strukturellen und personellen Probleme waren ja bekannt, wenn auch nicht der Grad der Verkrustung: etwa in den Intendanten- und Arbeitsverträgen an einigen führenden Institutionen. Da ist vieles nicht mehr zeitgemäß. Aber ich glaube, dass es für Veränderungen eine Zeit der Reife gibt. Vielleicht habe ich die Chance, manches zu realisieren, was schon von meinen Vorgängern versucht wurde. Jetzt ist das Geld nicht mehr nur knapp, es ist alle!

Sie haben in Berlin die Auswahl an härtesten Nüssen. Welche wollen Sie zuerst knacken?

Zu den schwierigsten Dingen gehört der Versuch, bei Verlängerung von Verträgen auch eine Vertragsänderung zu erreichen - was ich in vielen Fällen für erforderlich halte. Beispiel Daniel Barenboim: Bei dessen Vertragsverlängerung wird mitzuverhandeln sein, ob er seine eigene Ballett-Kompanie an der Staatsoper zugunsten eines alle drei Opernhäuser integrierenden Berlin-Balletts aufzugeben bereit ist oder ob er dauerhaft Nein sagt.

Heißt das, Sie würden Barenboim notfalls zugunsten des Berlin-Balletts ziehen lassen?

Ich werde versuchen, ohne solche Zuspitzungen zu argumentieren. Barenboim ist zehn Jahre hier, er hat ein anderes Orchester im Ausland, aber er hängt an Berlin, wie er mir gesagt hat. Seine Familie lebt hier, die Kinder gehen hier in die Schule. Da muss es doch möglich sein, Fragen mit ihm zu verhandeln, die für die Berliner Kulturszene insgesamt bedeutsam sind. Das Berlin-Ballett soll realisiert werden, aber die Kultusenatorin muss auch beweisen, dass sie Barenboim halten kann.

Sie erben im Kulturhaushalt ein Defizit von schätzungsweise 70 Millionen Mark. Für Budget-Überschreitungen aber haben sich Berliner Intendanten selten interessiert.

Deshalb ist die Frage der künftigen Haftung bei Zielvereinbarungen so dringlich. Man kann mich ja beschimpfen im Abgeordnetenhaus, wenn ich die Sparpläne nicht realisieren kann. Das halte ich schon aus. Aber welches Instrument habe ich eigentlich in der Hand für den Fall, dass Institutionen sich nicht an ihre Haushaltspläne halten. Es kann ja nicht sein, dass unter allen Verträgen der Satz steht: Defizite deckt der Kultursenat.

In der Vergangenheit war es oft so, dass nicht eingehaltene Zielvereinbarungen zur Vertragsverlängerung von Intendanten führten.

Es gibt eben Gewohnheiten, von denen man sich ungerne verabschiedet. Aber in anderen deutschen Städten hat man bereits gute Erfahrungen damit gemacht, dass man die Haftungsfrage gestellt hat.

Also mehr GmbHs?

Ja. Aber auch bei landeseigenen Betrieben muss die Frage der Haftung geklärt werden.

Wie bringen Sie Intendanten diese finanzielle Mitverantwortung bei?

Indem ich hierzu eine öffentliche Debatte in Gang setze. Die Verantwortlichen in den Häusern, nicht nur in den Opern, auch bei den Sprechtheatern, sagen mir, dass es Mitarbeiter gibt, die netto nur etwa drei Monate im Jahr arbeiten, aber aus arbeitsrechtlichen Gründen nicht an andere Häuser "ausgeliehen" werden dürfen. Da nach dem Beschlussdes Abgeordnetenhauses auch keine betriebsbedingten Kündigungen ausgesprochen werden dürfen, gibt es kaum eine Möglichkeit, sich als Intendant ökonomisch vernünftig zu verhalten. Ein Ausweg könnte darin bestehen, eine Produktionsgesellschaft ins Leben zu rufen, die für das Theater, für die Oper arbeitet und darüber hinaus, wenn es freie Ressourcen gibt, beispielsweise für die Messegesellschaft tätig wird. Oder man findet andere Lösungen - über Änderungskündigungen bei den landeseigenen Häusern: dass die Mitarbeiter nicht mehr beim Land Berlin und etwa bei der Komischen Oper angestellt sind, sondern beim Land und den drei Opernhäusern! Wenn ich alle wichtigen Kultureinrichtungen erhalten will, müssen solche neuen Wege beschritten werden.

Es gibt ja schon etliche GmbHs: die Festspiele, die Schaubühne, das Deutsche Historische Museum. Welche Einrichtungen sollten noch in neue Betriebsformen überführt werden?

Wir prüfen derzeit insbesondere bei den Berliner Philharmonikern, ob sie die Form einer Stiftung und einer darin angesiedelten GmbH erhalten können. Was die Finanzen angeht, überlegen wir, inwieweit durch Einbringung von Immobilien die nötige Kapitalausstattung erbracht werden kann.

Wenn Sie zum Ausgleich des 70-Millionen-Defizits Immobilien verkaufen wollen: Was hat da die Kulturverwaltung im Angebot?

Es handelt sich um ungefähr 400 Immobilien. Die Universitäten können und wollen wir natürlich nicht verkaufen, auch nicht das Schiller-Theater. Aber zum Ressortvermögen gehören auch Kneipen.

Im Ernst?

(Lacht) Ja, zum Beispiel das Restaurant im Turm des Französischen Doms. Ein Kultursenator, der Kneipiers aussucht - das geht schief. Also überprüfen wir jetzt mit der Finanzverwaltung alle unsere Immobilien..

Nun sind die Defizite der Berliner Kulturszene ja nicht allein finanzieller Natur. Welche künstlerischen Defizite sehen Sie? Ziehen Sie Qualitätsvergleiche?

Die Stuttgarter Oper erhält zehn Millionen weniger Subvention als die Lindenoper und gilt dennoch als viel lebendigeres Haus. Und alle drei Berliner Opern sind über die Jahre zu Selbstbdienungsläden der immergleichen Inszenatoren geworden.

Auf diese Frage öffentlich und gar konkret zu antworten, ist für mich schwierig. Ich möchte das zunächst in einem kleinen Kreis und natürlich auch mit den möglichwerweise Betroffenen besprechen. Also etwa die Frage, ob allein der Einkauf von besonders teuren Stars für hohe künstlerische Qualität sorgt, oder ob es nicht auch darum geht, dass Intendanten Ideen haben, dass von einem Haus frische Impulse ausgehen und auch jüngere Künstler engagiert werden.

Die Berufung Alard von Rohrs zu Ihrem Kulturstaatssekretär hat gerade in diesem Zusammenhang überrascht. Herr von Rohr stand als engster Mitarbeiter von Götz Friedrich an der Deutschen Oper den angesprochenen Verkrustungen der Berliner Szene nicht so fern.

Nach meiner Wahrnehmung gehört der Bereich Orchester und Oper mit an die Spitze aller Reformvorhaben. Es ist doch so: Entweder kriegen Sie Probleme, weil Sie jemanden nehmen, der diese Szene überhaupt nicht kennt, oder Sie nehmen jemanden aus diesem Bereich, dann hat er die Nähe zum Metier. Herr von Rohr ist ein exzellenter Kenner der Szene, und das hat für mich den Ausschlag geben.

Überall nur zu sparen, ergibt noch kein inhaltliches Ziel der Kulturpolitik. Zum Beispiel die Festspiele: Wenn man jemand wie Gerard Mortier als Nachfolger von Ulrich Eckhardt gewinnen möchte, kann das auch teurer werden.

Ich bin mir bei einem Kopf wie Mortier gar nicht so sicher, ob es ihm nur um die finanzielle Ausstattung ginge und nicht vielmehr darum, neue Programm-Akzente zu setzen und auch die Berliner Bühnen mit ihren Inszenierungen mehr als bisher einzubinden und in Richtung Festspiele zu öffnen. Ich habe mich übrigens mit Kulturstaatsminister Naumann darüber verständigt, dass wir für die Nachfolge von Ulrich Eckhardt eine Findungskommission einsetzen. Wir - Bund und Land - möchten, dass die Festspiele ein neues, stärkeres Profil gewinnen.

Sie haben sich ja mit Michael Naumann auf ein stärkeres Engagement des Bundes bei der Hauptstadtkulturförderung geeinigt. Welche Institutionen sollen davon profitieren?

In jedem Fall die Festspiele, die bisher zu zwei Dritteln von Berlin, zu einem Drittel vom Bund getragen werden. Hier muss die Bundesbeteiligung höher werden. Auch die Berliner Philharmoniker oder die Staatsoper sind ja weit mehr als städtische Einrichtungen. Wobei das eine delikate Angelegenheit ist. Wenn der Bund etwa die Sache der Philharmoniker zu seiner eigenen macht, fühlen sich die übrigen Berliner Orchester zurückgesetzt. Eine weitere Einrichtung ist das Jüdische Museum, das ja mittlerweile eine ganz andere nationale Bedeutung erlangt hat, als ursprünglich gedacht war. Naumanns Problem wird sein, dass er sich diesen Argumenten kaum verschließen kann. Aber sein Etat, der auf die Dauer steigen muss, weil Berlin nun einmal größer ist als Bonn, ist derzeit sehr begrenzt.

Zu den von Naumann aufgelisteten "Leuchttürmen", die er aus seinem Etat unterstützen will, zählen so ziemlich alle wichtigen Bühnen, Konzerthäuser und Museen Berlins.

Darum muss er entweder seine Liste verkürzen, oder er kann den Theatern, Opern und Museen jeweils nur sehr geringe Bundesmittel geben. Daraus kann ich dann aber weniger schlüssig ableiten, dass der Bund bei all diesen Einrichtungen mitredet. Wenn er Mitsprache wünscht, dann müsste er auch bereit sein, sich institutionell zu beteiligen. Und das bedeutet, dass der Bund auch einen Teil des finanziellen Risikos mitträgt. Da bricht der föderalen Kulturpolitik kein Zacken aus der Krone. Unter meinem Vorgänger Radunski hat der Bund das übrigens immer abgelehnt.

Wie wollen Sie denn in der Wissenschaft das Kunststück fertigbringen, gleichzeitig einzusparen und die Qualität zu steigern?

Im Moment sind die Hochschulen in Berlin doch in einer fantastischen Situation: Durch die Hochschulrahmenverträge haben sie bis zum Jahr 2002 Planungssicherheit.

Aber an der Humboldt-Universität stehen beispielsweise die Juristen unter solch planungssicherem Sparzwang, dass ihre Bibliothek wichtige Fachzeitschriften und Kommentare mit der neuesten Rechtsprechung abbestellen muss.

Natürlich können mal finanzielle Engpässe auftreten. Ich kann nicht mehr Geld versprechen. Durch ein größeres Maß an Selbstverwaltung aber geben wir den Hochschulen die Möglichkeit, selbst flexibel zu sein und an den richtigen Stellen zu sparen. Die Universitäten tun sich mitunter schwer, mit dieser Freiheit richtig umzugehen und ihre Prioritäten zu verändern. Das Wichtigste wird sein, dass wir ihnen mit dem neuen Hochschulgesetz den gewonnenen Freiraum belassen, ja ihn sogar vergrößern und nicht zum Einheitsbrei zurückkehren.

Kämen für Sie zur finanziellen Entlastung auch Studiengebühren in Betracht - und halten Sie an der im Berliner Koalitionspapier genannten Obergrenze von 85 000 Studienplätzen fest?

Im Moment sehe ich ein Hinausgehen über die 85 000 Studienplätze nicht. Im Übrigen hat sich die Koalition festgelegt, dass Gebühren allenfalls beim Zweitstudium oder bei überlangen Studienzeiten in Frage kommen. Auf Dauer ist das Thema aber nicht beendet. Damit durch die Erhebung von Studiengebühren keine Zweiklassengesellschaft entsteht, sollten wir zunächst die Stipendien-Möglichkeiten ausweiten. In diesem Zusammenhang muss ich die Bundesregierung einmal loben: Die Novelle des Stiftungsrechts war ein sinnvoller Schritt.

Unter Berliner Politikern wurde Kultur oft nur als "Standortfaktor" bezeichnet.

Die Rede vom Standortfaktor war zu eng. Wenn in einer Gesellschaft nicht viele Menschen nach Fortschritt und Erkenntnis suchen, auf allen Feldern, dann verschütten die Quellen der Weiterentwicklung. Es geht dabei nicht nur um Technik und Produktvermarktung. Auch mit Musik, mit Kunst werden Erkenntnisfortschritte ausgelöst.

Haben Sie bei Ihrem 16-Stunden-Job überhaupt noch die Zeit für solche geistig-musischen Anregungen?

Unter dem Zwang zur Verwaltung, zum Technokratischen muss man sich die Freiräume erkämpfen. In den ersten Wochen des Übergangs ist das natürlich schwierig, weil man sich in so vieles einarbeiten muss. Ich gehe sehr gerne ins Konzert und ich bin ebenso gern in Museen.

Was war denn der letzte Roman, den Sie gelesen haben?

Das war "Der Vorleser" von Bernhard Schlink - und "Die Glut" von Sándor Márai.

Und warum waren Sie bei keiner der Eröffnungspremieren des Berliner Ensembles?

Ich kenne Herrn Peymann schon seit seiner Zeit in Bochum. Sobald ich meine Zelte hier ganz aufgeschlagen habe, werde ich auch bei diesen Ereignissen sein. Ich bin erst seit sechs Wochen hier und hatte noch sehr viel Privates zu regeln.

Sie haben von der Bedeutung der Kultur für die Gesellschaft und den Fortschritt gesprochen. Hört man da auf Sie im Senat?

Die Zuhörer werde ich mir suchen. Warten Sie ab! Ich bin von Haus aus Optimistin.

Was halten Sie von dem Schuster-Plan einer Neusortierung der großen Berliner Museen?

Ich halte es für denkbar, dass so etwas in den nächsten fünfzehn Jahren umgesetzt wird. Wir werden vor der Sommerpause dazu eine offizielle Senatsmeinung bilden.

Und das Stadtschloss?

Ich bin für das Schloss. Es könnte dort unter anderem Platz für einen Teil der Staats- oder Universitäts- oder Zentralbibliothek geben.

Werden Sie versuchen, Eberhard Diepgen zu überreden, am 27. Januar doch zur symbolischen Grundsteinlegung für das Holocaust-Mahnmal zu kommen?

Nein, das ist seine Entscheidung. Ich bin Bürgermeisterin dieser Stadt und nehme teil.

Frau Thoben[kommen Sie als Mitglied des CDU-Pr&au]

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