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Berlin: Was ist eine Mülltonne?

Ein absurder Rechtsstreit um den Abfall der Love Parade 1998

Willkommen zur dritten Instanz, willkommen im Kammergericht. Im Saal 145 a, wo schon Mörder und Terroristen hinter Panzerglas auf der Anklagebank saßen. Wo sich jetzt Verteidiger Niko Härting erhebt, vor den drei Richtern, dem Ankläger, seinem Kollegen, dem Wachtmeister. Er begründet, gestikuliert, holt aus zu seinem stärksten Argument: „Ein Behälter ist nicht zwangsläufig ein festes Behältnis.“

Es geht um Müll. Keinen, der zum Himmel stinkt, denn er ist seit 1998 entsorgt. Und es geht um einen eifrigen Staatsanwalt, der die Chefs der Love Parade unnachgiebig verfolgt, als Straftäter „wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz, Paragraf 15, Absatz eins“. Vom Amtsgericht übers Landgericht bis zum Kammergericht. In erster Instanz sogar mit Erfolg: Weil Matthias Roeingh und Ralf Regitz bei der Love Parade 1998 keine Behälter entlang der Strecke aufstellten, sondern 400 blaue Müllsäcke an den Laternen festbinden ließen, wurden sie vom Amtsgericht zu Geldstrafen verurteilt. Jetzt haben sie doch noch Recht bekommen.

Es war die Zeit, als die Love Parade noch als Demonstration durchging. Die Zeit, als der Müll und seine Kosten jedes Jahr Schlagzeilen machten. Da traf man sich 1998 vor dem Umzug zu einem großen Palaver: mit der Polizei, der Stadtreinigung und Alba. Container, da waren sich die Müllexperten einig, sind zwecklos: Weil die Raver sie zum Tanzen und Stehen, aber fast nie zum Müllen benutzen. Weil die Container abends selbst reif für den Müll sind. Und weil sie der wogenden Masse gefährlich werden können. Die Polizei ging mit ihrem Ratschlag noch weiter: „Der Leiter der Direktion 3 warnte eindringlich aus Sicherheitsaspekten vor der Aufstellung jeglicher Behältnisse“, heißt es im Urteil des Landgerichts.

Die Versammlungsbehörde bei der Polizei zeigte sich unbeeindruckt. Sie bestand auf „50 Toilettencontainern sowie in Abständen von 50 Metern entlang der Wegstrecke Abfallbehältern“. Roeingh, alias Dr. Motte, legte gegen die Behälter-Pflicht beim Verwaltungsgericht Widerspruch ein. Erfolglos. Er solle sich in Sachen Behälter eben was einfallen lassen, so das Gericht sinngemäß. Die Love-Parade-Macher dachten sich die Beutel-Lösung aus. Beutel sind keine Behälter, entrüstete sich daraufhin die Versammlungsbehörde – und ihr Leiter stellte Strafantrag. Denn ein Behälter sei „ein festes Behältnis mit festen Seitenwänden und festem Boden.“ Und nicht bloß eine Tüte.

Die vollgestopften Tüten waren längst abgeholt, BSR und Alba bezahlt, da kam die Anklage, die gestern endgültig scheiterte. „Das passiert in Verwaltungen leider ziemlich häufig“, sagt der Vorsitzende Richter, dass auf die Experten nicht gehört wird und die Verantwortlichen an ihrem Schreibtisch kleben bleiben, statt sich mal vor Ort gründlich umzuschauen. Revision verworfen; beschlossen und verkündet. Freispruch in letzter Instanz. Die Kosten trägt die Landeskasse.

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