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Was macht die Familie?: Das Leben polstern

Wie ein Vaterdie Stadt erleben kann.

Es ist nur noch eine Frage von Tagen, bis Lina krabbelt. Sie muss nur noch merken, dass sie sich aus der Bauchlage heraus sinnvollerweise vom Teppich abstößt und nicht von der Luft. Sobald sie das weiß, wird sie jeweils drei Sekunden bis zum Tischtuchzipfel und zur nächsten Steckdose brauchen. Zum Backofen sind es etwa fünf, sofern Lina auf dem Weg dorthin nicht von dem über ihr zusammenbrechenden Bücherregal aufgehalten wird oder ein Blatt vom giftigen Oleander probiert. Man mag gar nicht zu Ende denken, was alles passieren kann.

Weil man es aber auch nicht verdrängen darf, werde ich als verantwortungsvoller Vater also am Tag X unsere sauer verdienten Massivholzmöbel mit den weißen Plastiksicherungen verzieren, die es neulich beim Discounter gab. Man muss dazu einen Fänger und einen Haken als Türsperre in den Schrank schrauben, die in der englischen Montageanleitung „Catch“ und „Latch“ heißen. Das klingt, als wollten sie sich über mich lustig machen, aber laut der deutschen Packungsbeilage ist die Sache ernst: Das Produkt sei „lediglich ein Abschreckungsmittel“ und ersetze nicht die elterliche Aufsichtspflicht.

Ich muss Lina also weiter durch meine Präsenz abschrecken. Parallel arbeite ich an ihrer Zukunft, wobei mir namhafte Unternehmen helfen. „Sichern Sie Ihrem Nachwuchs den Unfallschutz vom Testsieger!“, schreibt eine Versicherung und warnt, 71 Prozent aller Unfälle seien nicht abgesichert. Ebenso gut kann ich überschüssiges Geld für Linas Altersvorsorge anlegen. Schon Babys können riestern (lassen), teilt mir die DWS mit, die Fondsgesellschaft der Deutschen Bank. Bei meiner eigenen Riester-Rente ist es den Anlagestrategen gelungen, dass von den Beiträgen am 31. Dezember 35 Euro weniger übrig waren als am 1. Januar. Unterm Kopfkissen wäre das nicht passiert.

„Sprechen Sie mit Ihrem Berater“, schreibt die DWS. Das hatte ich ohnehin vor, seit die „Zeit“ in einer Reportage dokumentiert hat, dass die DWS von den eingezahlten Beiträgen Anteile an Unternehmen kauft, die in die Herstellung von Streubomben involviert sind. Vor dem Gespräch mit dem Berater habe ich erfahren, dass die Warteschleifenmusik nach sechs Minuten wieder von vorn beginnt. Und als er dann dran war, dass mein Geld jetzt nicht mehr in Streubombenfirmen investiert werde.

Ich habe die Sache trotzdem vertagt. Gemeinsam mit den abschreckenden Plastikklemmen bemühe ich mich, Lina heil über ihre ersten Krabbeltouren und Gehversuche zu bringen. Wir haben schließlich viel vor bis zur Riester-Rente. Stefan Jacobs

Gute Tipps fürs sichere Babyleben gibt der Arbeitskreis Neue Erziehung: elternbriefe@ane.de, Tel.: 25 90 06-35.

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