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Sie sind Idole, bloß wieso? Die Jenner-Schwestern.

© picture alliance / dpa

Was macht die FAMILIE?: Hilfe, meine Tochter ist auf Tellonym

Wie eine Mutter die Stadt erlebt - Fatina Keilani schaltet aus Notwehr das Internet ab.

Von Fatina Keilani

Mit diesen Kindern ist nichts anzufangen, seit die Elektronik ihren unwiderstehlichen Sog entfaltet. Doch was kann ich schon tun gegen die Speerspitze psychologischer Forschung, nach deren Erkenntnissen die Internetangebote gestaltet sind, denen die Kinder hilflos ausgeliefert sind?

Will ich etwas unternehmen, haben sie keine Lust. Das Handy ist an ihnen festgewachsen. Einzig der Älteste schafft es, ohne Ermahnung den Ausknopf an seinem Gaming-PC zu finden. Man merkt es daran, dass keine Schlachtrufe mehr aus seinem Zimmer dringen. Mit seinen 14 Jahren ist der Zocker, um den ich die meiste Sorge hatte, inzwischen der Beherrschteste. Der Kleinste mit seinen zehn Jahren zockt auch, um ihn mache ich mir jetzt mehr Sorgen. Er findet den Ausknopf nämlich nicht von allein.

Die Mädchen spielen nicht im selben Maße, mädchentypisch kommunizieren sie mehr – auf Whatsapp, Insta, Snapchat. Ich schaue manchmal, was sie da so machen. Die 14-Jährige hat wirklich ein Auge für Bilder, sie macht tolle Fotos, und wenn sie die auf Instagram postet, habe ich nichts dagegen, solange sie nicht selbst darauf zu sehen ist. Andere fotografieren ihr Essen, das finde ich lächerlich. Ihre Fotos sind cool. Doch jetzt hatten wir richtig Zoff. Auf Instagram hat sie nämlich einen Link zu ihrer Seite auf Tellonym hinterlegt, dem ich folgte – was ich sah, war erschreckend. Falls Sie Kinder oberhalb des Grundschulalters haben, fragen Sie sie mal nach Tellonym. Auf dieser App schicken sich die Leute anonym sogenannte Tells. Sie sagen einander brutal die Wahrheit und müssen nicht dafür geradestehen. Ich habe mir schon öfter gewünscht, dem intriganten Pinsel ein paar Türen weiter mal die Meinung zu geigen, doch solche Typen haben kein Tellonym.

Wer es hat, ist sowieso schon verunsichert

Wer es hat, das sind die Verunsicherten. Die unbedingt wissen wollen, was andere über sie denken. Vor allem Mädchen in der Pubertät. Bin ich hübsch genug? Werde ich gemocht? Ich war geschockt von dem, was ich sah: ein geschöntes Foto von ihr, das offenbar niedrigste Instinkte bei Jungs aktivierte. Das Prinzip ist: Jeder kann einem schreiben, und es bleibt anonym – bis der Adressat antwortet. Meine Tochter antwortet. Ich kann es lesen. Sie verrät der ganzen Welt Sachen über sich, die sie mir nicht sagen würde.

Schon stehe ich vor ihrer Zimmertür, aber sie lässt mich nicht rein. „Was willst du?“ – „Mit dir über Tellonym reden.“ – „Wozu?“ – „Weil dir nicht klar ist, was du da machst.“ – „Doch, ist voll harmlos.“ – „Ist es nicht. Du stellst dich da aus. Du bist keine Ware. Und du brauchst keinen Applaus von anderen.“ Schweigen. Dann Wut. „Boah Mama, hör auf, mich zu stalken!!“ – „Nein. Ich werde auch weiter schauen, was du da machst.“ – „Ich kann auf mich allein aufpassen!“ – „Kannst du nicht!“ – „Du vertraust mir nicht!“ – „Dir schon, aber den vielen Trotteln da draußen nicht!“ Seitdem bin ich von ihrem Instagram ausgesperrt.

Auf Tellonym gibt sie auch preis, welche Serien sie schaut. Demnach hat das Kind eindeutig zu viel Freizeit. Ich habe – wirklich, das war Notwehr – jetzt eine heroische Umkehrung vollbracht: Das Internet ist immer aus, nur an zwei Stunden täglich ist es an. Am ersten Tag gab es Aufstände, wir sind jetzt bei Tag drei. Ich stelle mir das so vor: Wochenende, und das Internet ist aus. Ich verkünde meine Idee für eine Unternehmung. Alle sagen Ja, denn die Alternative ist brutale Langeweile. Träum weiter, Mama.

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