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Was macht die Familie?: Humpeln und leiden

Wie eine Mutter die Stadt erleben kann.

Eigentlich ist Josefine hart im Nehmen. Den Fuß umgeknickt – kein Problem. Nach erstem Jammern gibt die Elfjährige spätestens am nächsten Tag wieder den Springinsfeld. Nur vergangene Woche, da durchlief sie nicht den üblichen Genesungsprozess. Humpelnd kehrte sie vom Volleyball-Training heim. Statt am Morgen darauf am Parklauf der Schöneberger Grundschulen teilzunehmen, ließ sich das leidende Kind mit melodramatischer Geste ausrangierte Krücken reichen. Normalerweise mimen sie und ihr Zwillingsbruder Jan mithilfe dieser Requisiten nur den Verletzten. Diesmal war es ihr ernst.

Wir reagierten mit der typisch elterlichen Anteilnahme, also eher abwartend: Oje, so schlimm? Na, dann ein bisschen Mobilat drauf und um den Knöchel einen Verband gewickelt, das geht vorbei! Die Entschuldigung für den Sportlehrer wurde wunschgemäß geschrieben. Irritation setzte allerdings ein, als es so weiterging. Durch Ikea wurde die kleine Invalide mit dem Einkaufswagen kutschiert. Die herbstliche Wanderung im Naturpark Nuthe-Nieplitz kam über Beelitz nicht hinaus. Wir schafften es gerade noch bis zur Ausstellung des örtlichen Kleintierzüchtervereins und mümmelten ermattet vom Humpeln, Stützen, Tragen mit stolzen Kaninchenbesitzern Kaffee und Kuchen. Mitleidig schauten sie Josefine an.

So konnte es nicht weitergehen: Zum Arzt! Das Ergebnis war schon zu erahnen – ein angebrochener Fuß. Jetzt muss das Kind mindestens vier Wochen lang mit einem Astronautenschuh durch die Gegend stapfen. Josefine nahm es mit einer heiteren Gelassenheit hin, als fühlte sie sich nur bestätigt. Zur Abrundung des Tages wünschte sie sich nur noch eins: ein Schnitzel im „Lenzig“. Das ist seit Kita-Tagen Ritual, immer wenn das Kind aus irgendeiner Ambulanz entlassen wird. Mir wollte es nicht recht schmecken. Doch Josefine war in ihrem Element, zählte stolz wie eine Veteranin ihre Verletzungen auf: Brüche durch Schaukel-Sprünge und Heuschober-Stürze, Quetschungen durch Bustüren und Fahrradständer.

Auch Jan war nicht amüsiert. Mithalten kann er längst nicht mehr. Schließlich hatte er sich schon viel früher über Knochenschmerzen in den Beinen beklagt – und prompt ebenfalls die Krücken verlangt, als Josefine zu humpeln begann. „Du wächst“, versuchten wir ihn zu beschwichtigen. Nur Wachstumsschmerzen, geschwisterliche Eifersucht? Spätestens nächste Woche gehen wir zum Arzt. Nicola Kuhn

Carsten Rasmus, Bettina Klaehne: Wander- und Naturführer Naturpark Nuthe-Nieplitz. KlaRas-Verlag. 79 S., 10,20 Euro. Restaurant Lenzig, Eisenacher Str. 75 in Schöneberg.

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