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Was macht die Familie?: Moskau sehen und frieren

Wie ein Vaterdie Stadt erleben kann.

Der Große meiner drei Jungs wird 18. Ein Geschenk muss her, irgendwas Besonderes. „Was hältst du von einer verrückten Reise?“, fragt die Frau. Gute Idee, sagt der Große, am besten mit ein paar Kumpels nach Ibiza oder Amsterdam. Die Frau und ich, wir halten das für eine eher suboptimale Idee. Wir einigen uns darauf, dass es gern eine verrückte Reise sein darf. Aber ich fahre mit.

In diesem Zusammenhang fügt es sich gut, dass ich schon immer mal mit der Transsibirischen Eisenbahn fahren wollte. Nun ist Peking ein bisschen weit weg für einen Kurztrip, aber für die Teilstrecke nach Moskau sollte es schon reichen. Okay, sagt der Große, dafür bekomme er immerhin einen Länderpunkt. Er war noch nie in Russland.

Spät am Abend entern wir – der Große, ein Freund, zwei Kisten Brause und ich – den Hauptbahnhof. Die russische Schaffnerin beäugt misstrauisch unseren Getränkevorrat und knurrt eine Anweisung, sie klingt so ähnlich wie „tri litri par persona“. Leider verstehen wir kein Russisch und können uns beim besten Willen auch nicht in etwa vorstellen, was die gute Frau meinen könnte. Nach drei weiteren Versuchen macht sie ihren Frieden mit den beiden Brausekisten.

Ein wenig komplizierter wird es dann an der polnisch-weißrussischen Grenze. Das hat wohl politische Gründe, denn der mitreisende Freund hat in unserem Abteil eine traditionsreiche Fahne aufgehängt, sie ist rot und trägt die Symbole für Handwerk (Hammer) und Ackerbau (Sichel). Die Grenzbeamten halten offenbar nichts von Handwerk und Ackerbau, und wir entgehen nur knapp der Abschiebung in Richtung Westen. Ein russischer Mitreisender bietet uns einen weiteren Kasten Brause für die Fahne, aber auch wir haben unseren Stolz.

Nach gut 24 Stunden erreichen wir endlich Moskau. Es ist mitten in der Nacht, und wir bekommen eine Ahnung davon, was unter sibirischer Kälte zu verstehen ist. Egal. Moskau im Winter ist großartig, wir genießen jede Stunde und jedes Grad unter null, es gibt reichlich davon. Als wir am Ende des Wochenendes mit dem Flugzeug in Berlin landen, lächeln wir vielsagend über einen angeblich brutalen Kälteeinbruch.

Der Große ist sehr zufrieden mit seinem Geburtstagsgeschenk, können wir im nächsten Jahr gern wieder machen, dann aber bitte bis nach Peking. Das bringt einen neuen Länderpunkt, außerdem freuen sich die Chinesen bestimmt über unsere rote Fahne. Sven Goldmann

Der Paris-Moskau-Express fährt dreimal die Woche vom Berliner Hauptbahnhof zum Weißrussischen Bahnhof nach Moskau.

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