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Berlin: Was Pisa-Forscher sagen, wissen Eltern längst – und reagieren

Wer kann, meidet Schulen mit vielen Ausländern. Lehrer fühlen sich allein gelassen

Von Sandra Dassler

„Wer jetzt überrascht tut, ist entweder weltfremd oder er heuchelt.“ Der neueste Pisa-Befund, wonach schon ein 20-prozentiger Ausländeranteil das Leistungsniveau der Schule oder Klasse senkt, kann André Schindler nicht in Erstaunen versetzen. „Das wissen doch alle, die Kinder haben“, sagt der Vorsitzende des Landeselternausschusses: „Da müsste man nur einmal auflisten, wie viele Berliner umziehen, bevor ihr Sprössling in die Schule kommt. Eltern geben ihr geliebtes Wohnumfeld auf, weil sie nicht wollen, dass ihr Kind in eine so genannte Problemschule gehen muss.“ Schindler bedauert, dass dieses Thema so lange tabuisiert wurde: „Wenn es von engagierten Eltern angesprochen wurde, warf man ihnen oft eine ausländerfeindliche Kampagne vor. Aber wir müssen uns den Realitäten stellen. Und es ist nun einmal so, dass integrationsunfähige oder -unwillige Schüler, ob Ausländer oder Deutsche, eine ganze Klasse stören. Ich glaube auch nicht, dass wir die Lösung dieses Problems allein den Lehrern überlassen können.“

Die Lehrer werden eine solche Meinung zu schätzen wissen. Nachdem die Pisa-Forscher ihnen mangelnde Flexibilität und althergebrachten Frontalunterricht an Stelle eines differenzierenden Gruppenunterrichts vorwarfen, haben auch viele Berliner Pädagogen das Gefühl, dass der „Schwarze Peter“ für die Bildungsmisere allein ihnen zugeschoben werden soll. „Natürlich gibt es Unterschiede in der Qualifikation der Lehrer“, sagt die Leiterin des Albrecht-Dürer-Gymnasiums, Urte Schoenwälder, aber: „Wir haben Schnellläufer- und normale Klassen, die von den gleichen Lehrern unterrichtet werden. Und trotzdem sind die Leistungen unterschiedlich – ganz einfach, weil das Niveau der Schüler unterschiedlich ist.“

„Ich war erst an einer Oberschule in Neukölln“, berichtet eine Lehrerin dem Tagesspiegel. „Dort hatten wir einen Ausländeranteil von fast 50 Prozent. Da kann man keinen ,normalen’ Deutschunterricht mehr durchführen. Also haben sich die Lehrer gekümmert, Fortbildungsseminare ohne Ende besucht, neue Methoden ausprobiert. Das Ergebnis war mäßig. Jetzt bin ich an einer Schule in Charlottenburg mit geringem Ausländeranteil. Da bildet sich kaum ein Lehrer weiter. Dabei könnte man hier mit den neuen Methoden wirklich was erreichen.“

Weil die Bereitschaft zur Fortbildung bei den Lehrern so unterschiedlich ausgeprägt ist, gibt Harald Mier, Vorsitzender des Verbands der Berliner Oberstudiendirektoren, dem FU-Erziehungswissenschaftler Dieter Lenzen Recht: Zuerst einmal müsse das Leistungsprinzip für Lehrer konsequent durchgesetzt werden. Lenzen sieht allerdings nicht nur die Pädagogen in der Pflicht. So müsse ein Umdenken der ganzen Gesellschaft, auch der Politik, darüber einsetzen, wie wichtig Bildung sei. „Warum hat man sich über Unterrichtsdisziplin nur lustig gemacht?“, fragt Lenzen. „Warum gibt es in Deutschland keine Lehrer-Assistenten wie in Skandinavien und kaum Vorlese-Mütter wie in Holland?“ André Schindler kann nur begrüßen, wenn endlich tabulos über die Bildungsmisere in Berlin gesprochen wird: „Es hilft nichts, die Augen davor zu verschließen.“

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