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Berlin: „Was will der hier?“

Quartiersmanagement auf Argentinisch: Wowereit durchstreift Buenos Aires

Mit einem großen Schritt nimmt Klaus Wowereit die Pfütze, die sich auf der Lehmstraße vor dem Gesundheitszentrum gebildet hat. „Wie viele Menschen leben hier?“, fragt er seinen argentinischen Amtskollegen, Aníbal Ibarra. „23000“, antwortet der smarte Linkspolitiker und schüttelt dabei ununterbrochen schwielige Arbeiterhände, klopft Schultern und kommentiert Fußballergebnisse.

Ibarra ist beliebt in Villa Lugano, einem Armenviertel im Norden von Buenos Aires. Hier sind drei Viertel der Menschen arbeitslos, Tausende leben in improvisierten Baracken, die bei Regenfällen unter Wasser stehen. Es gibt Dutzende unterernährter Kinder, die Kriminalitätsrate ist hoch. Hier hat Ibarra ein Partizipationsprogramm nach dem Vorbild des Berliner Quartiersmanagements gestartet, das er den Besuchern stolz vorführt: Kindergarten, Atelier, Fußballplatz, Sozialwohnungen, Schreinerwerkstatt. Die Programme werden von einem Nachbarschaftsrat koordiniert, der regelmäßig in Wahlen neu bestimmt wird.

„Das geht schon alles in die richtige Richtung“, lobt der Regierende Bürgermeister, der es seinem Kollegen hoch anrechnet, dass er ihm nicht nur die Schokoladenseiten zeigt. Immer wieder wird Ibarra von Bittstellern abgefangen, die ihre Probleme vorbringen wollen. Dass der grauhaarige Mann neben ihm der Berliner Bürgermeister ist, wissen die wenigsten. „Und was will der hier?“, fragt Ivan Oropeza. Von Quartiersmanagement hat der Gelegenheitsarbeiter noch nie etwas gehört, immerhin weiß er, dass es in Berlin einmal eine Mauer gab. Seine Nachbarin vom Bürgerschaftskomitee hat gleich eine zündende Idee parat: „Er könnte uns ja die Kücheneinrichtung für die 28 Häuser spenden, die die Stadtverwaltung gerade hier baut“, schlägt Luisa Fernandez vor. Dass Berlin genauso pleite ist wie die argentinische Hauptstadt, will die 39-Jährige nicht glauben.

Lange Jahre bestand argentinische Politik im Wesentlichen darin, Almosen im Gegenzug für politische Gefolgschaft zu verteilen. Ibarra, ein zum Sozialdemokraten konvertierter ehemaliger kommunistischer Studentenführer, hat vor kurzem damit begonnen, die Strukturen aufzubrechen. „Es ist nicht einfach“, gibt er zu. „Viele haben sich daran gewöhnt, einfach nur zu kritisieren, wollen aber nichts selber in die Hand nehmen.“ Doch der Besuch in Berlin vor einigen Monaten habe ihn darin bestärkt, den Weg der Bürgerbeteiligung weiterzugehen. Von Wowereits Vortrag am Abend zu dem Thema prägt sich Ibarra zwei Ratschläge ein: pragmatisch und nicht ideologisch an die Frage der Dezentralisierung herangehen und dass nichts schlimmer ist, als die Bürger zu befragen, ihre Vorschläge dann aber nicht ernst zu nehmen.

Wowereit hingegen ist beeindruckt von der kulturellen Vielfalt der Stadt. Straßenkünstler, hingebungsvolle Tangosänger in Hafenkaschemmen bis hin zum berühmten Colon-Theater, das mit der Staatsoper Berlin eine umfassende Kooperation vereinbart hat – nichts hat sich der Regierende entgehen lassen. Der Höhepunkt seiner Reise sei aber der Besuch einer Gedenkstätte gewesen, die während der Diktatur (1976 bis 1983) ein Folterlager war. „Ein so schwieriges und nicht gerade populäres Thema so konsequent anzugehen ist mutig“, findet er. Auch der argentinischen Presse war Wowereits Gedenkstätten-Visite eine Erwähnung wert – immerhin war er der erste ausländische Politiker, der sich dort zeigte – und der zudem ein Land repräsentiert, dessen Vergangenheitsbewältigung in Argentinien als vorbildlich gilt.

Im Armenviertel, im Gedächtnispark, bei U-Bahn-Bauarbeiten oder beim Besuch der Ausstellung Buenos Aires-Berlin – immer treten Wowereit und Ibarra als Tandem auf. „Hallo Chef“, begrüßen sie sich. Offensichtlich stimmt die Chemie zwischen den Bürgermeistern, die sich nicht nur ideologisch nahe stehen, sondern auch der gleichen Generation angehören und „einen ähnlichen Humor haben“, wie der stellvertretende Sprecher des Senats, Günter Kolodziej, versichert. Und die Gewissheit teilen, zwar problematische, aber pulsierende und innovative Städte zu regieren.

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