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© Thilo Rückeis

Wedding: Quartiersmanagement: Unter Nachbarn

Sükran Altunkaynak begeistert Migranten dafür, sich für ihr Viertel an der Pankstraße zu engagieren.

Fast hätte sie den Arbeitsvertrag unterschrieben und wäre zurück in die Türkei gegangen, um dort als Architektin zu arbeiten. „Aber dann dachte ich daran, was ich in Deutschland durchgemacht und wie viele Erfahrungen ich hier gesammelt habe“, sagt Sükran Altunkaynak. Sie blieb. Und gibt jetzt ihr Wissen weiter, als Quartiersmanagerin im Gebiet Pankstraße in Wedding, einer Gegend mit hoher Arbeitslosigkeit, in der vier von zehn Bewohnern einen Migrationshintergrund haben.

Die zierliche Architektin sitzt im Hinterzimmer des Quartiersbüros, trägt ein helles Kopftuch und eine Brille. Sie spricht perfekt Deutsch und verliert beim Reden nie den Faden, wenn sie von den vielen Projekten erzählt, die sie im Gebiet seit 2002 auf die Beine gestellt hat. Vor allem den Migranten musste sie zunächst erklären, dass das Quartiersmanagement für die Anwohner da ist und jeder im Büro des Teams vorbeikommen kann.

Weil das anfangs nicht viele machten, klingelte sie sich in der Nachbarschaft selbst von Tür zu Tür. Und sie sprach Migranten auf der Straße an, oder versuchte es wenigstens: „Einige sind einfach an mir vorbeigelaufen und haben mich gar nicht richtig wahrgenommen“, sagt sie. Diese Teilnahmslosigkeit hat für Sükran Altunkaynak auch damit zu tun, dass vor allem die Frauen der ersten Einwanderergeneration in Deutschland genauso weitergelebt haben wie in der Türkei: „Viele fühlen sich hier kein bisschen freier“, sagt sie. Und hätten lange Zeit keine Möglichkeit gehabt, sich zu bilden. Dass es inzwischen verpflichtende Integrationskurse gibt, findet die Quartiersmanagerin deshalb gut.

Aus ihren Wohnungen will Sükran Altunkaynak ihre Nachbarn auch mit den Angeboten des Quartiersbüros locken. Bei vielen Projekten geht es um das Thema Gesundheit: „Viele Frauen im Kiez fühlen sich körperlich nicht wohl, weil sie sich kaum bewegen“, sagt Sükran Altunkaynak. Gemeinsam mit der Ärztin Judith Willms von der Beratungsstelle für Risikokinder organisiert die Quartiersmanagerin deshalb Frauen-Gymnastikkurse im Weddinger Haus der Gesundheit – inklusive Simultanübersetzung ins Türkische.

„Anfangs waren die türkischen Frauen sehr verkrampft, sie konnten mit ihrem eigenen Körper nicht viel machen“, erinnert sich Sükran Altunkaynak. Viele hätten noch nie im Leben einen Ball in der Hand gehabt. Und auch sonst immer sehr darauf geachtet, dass sie sich nicht zu viel bewegten. „Die meisten Migrantenfrauen vor allem der ersten Generation mussten schon in der Türkei immer darauf achten, wie laut sie reden, in welche Richtung sie gucken, wie sie sich bewegen“, sagt Sükran Altunkaynak. Auch weil sie meist nicht allein leben, sondern zusammen mit Geschwistern oder den Schwiegereltern. Im Laufe des Kurses hätten sich die Teilnehmerinnen nach und nach entspannt und gemerkt, dass ihnen das Training guttut – und seien mit den deutschen Teilnehmerinnen ins Gespräch gekommen.

„Die Stimmung war schön im Kurs“, erinnert sich auch Fatma Celik, die seit einem Jahr ebenfalls im Quartiersbüro angestellt ist. Nach dem ersten Gymnastikkurs führte Sükran Altunkaynak eine weitere Veranstaltung ein: das Frauenfrühstück, bei dem sich die Frauen einmal im Monat besser kennenlernen können und es zum Beispiel Vorträge zur Pflegeversicherung oder – besonders beliebt – Fußreflexzonenmassage gibt. Auch um Ernährungsberatung geht es bei den Veranstaltungen, gerade hier ist der Bedarf hoch. „Viele adipöse Kinder stammen aus Migrantenfamilien“, sagt Sükran Altunkaynak. „Weil die Eltern ihren Kinder etwas Gutes tun möchten“ – und die Großeltern früher schließlich auch löffelweise Butter gegessen hätten. „Aber die sind danach noch auf den Acker gegangen, während sich die Kinder hier nach dem Essen vor den Fernseher setzen“, sagt Sükran Altunkaynak.

Die Gymnastikkurse und das Frühstück sind so beliebt, dass sie seit mehr als sechs Jahren laufen – wenn es einmal keinen Kurs gibt oder das monatliche Treffen ausfallen soll, wird es anstrengend für Sükran Altunkaynak: „Ich werde dann auf der Straße und in der U-Bahn angesprochen und gebeten, weiterzumachen, und meine Schwester auch.“ Die Quartiersmanagerin mit dem weißen Kopftuch ist jetzt bekannt in ihrem Kiez. Neben den Gesundheitsprojekten organisiert sie inzwischen auch Ausflüge oder Putz- und Bepflanzungsaktionen.

Sie selbst kam als Achtjährige aus einem anatolischen Dorf nach Berlin – ging zur Schule, ertrug, als eines von zwei ausländischen Kinder in der Klasse, die anfänglichen Hänseleien ihrer Mitschüler und Lehrer und studierte schließlich Architektur. „Meine Mutter wurde mit 14 Jahren verheiratet. Für ihre Töchter wollte sie einen anderen Weg“, sagt die Quartiersmanagerin.

Dass sie großen Wert auf die Bildung ihrer Kinder legten, habe ihren Eltern im Bekannten- und Verwandtenkreis noch viel Kritik eingebracht. Heute ist das anders: Viele Nachbarn schicken ihre schulmüden Kinder bei Sükran Altunkaynak vorbei. Um ihnen zu zeigen, dass sich Bildung auszahlt.

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