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Heiligabende: Erst ist es friedlich, dann entzünden sich an Nichtigkeiten oft Konflikte.

© dpa/ Rainer Jensen

Weihnachten: Na dann: Rohes Fest!

Ärger mit Oma, Hektik am Herd, jedes Jahr die Frage: Was kriegen die Kinder? Unsere Autorin erzählt.

Als ich ein kleines Mädchen war, freute ich mich jedes Jahr auf Weihnachten. Zugleich hatte ich jedoch Angst vor diesem Fest. Speziell vor Heiligabend. Dieser verlief immer gleich. Als wir in den 70er Jahren noch in der DDR lebten, kam zum Fest stets Oma zu uns. Oma war die Mutter meiner Mama, eine stattliche Frau, die genau wusste, was richtig und was falsch im Leben war.

Sie überragte meine Eltern um einen halben Kopf und war der Ansicht, dass mein Vater, der Arzt aus Bulgarien, der zwar exzellent Deutsch sprach, doch infolge einer erlittenen Kinderlähmung am Stock lief, nicht der richtige Mann für ihre Tochter sei. „Dein Vater ist ein labiler Mensch“, sagte sie zu mir. Ich wusste damals zwar noch nicht, was „labil“ bedeutete, verstand allerdings sehr wohl, dass Oma meinen Papa geringschätzte. Weil er Zigaretten rauchte und zu viel trank. Weil er zwar ein begnadeter und anerkannter Nervenarzt, dabei jedoch nicht gerade lebenstüchtig war.

Oma sang am lautesten

Die Heiligabende verliefen zunächst friedlich, es gab die alljährlichen Rituale abzuarbeiten: putzen, Baum schmücken, Essen zubereiten, Schallplatte auflegen, Tisch decken, was Schickes anziehen. Wurden die Baumkerzen angezündet, so musste ich auf dem Klavier „Ihr Kinderlein kommet“ spielen. Die Erwachsenen sangen mit, am lautesten meine Oma und dann war endlich Bescherung.

Nach dem Essen kam irgendwann ein Thema auf den Tisch, bei dem Papa und Oma unterschiedlicher Meinung waren. Mal ging es ums Geld, mal um Politik, mal ums Rauchen, mal um ein Bild an der Wand. Es kam zum Streit. Mein Vater ließ sich volllaufen, wurde aufbrausend und böse. Meine Oma legte nach, sich absolut im Recht wähnend. Meine Mutter versuchte zu vermitteln und rieb sich auf. Am Ende gab es Schreierei, Türengeknalle, Tränen bei den Frauen. Manchmal lag ich da schon im Bett, natürlich hellwach, ängstlich, traurig und verstört. Und ich fragte mich: Warum machen die Erwachsenen das?

Aus heutiger Sicht weiß ich: Den Erwachsenen ist meist gar nicht klar, was sie ihren Kindern und natürlich auch sich selbst damit antun. Meine Oma zum Beispiel war eine Spezialistin für „fremde Baustellen“. Anstatt sich um ihre eigenen Angelegenheiten zu kümmern, verschwendete sie eine Menge Energie darauf, im Leben meiner Eltern herumzufuhrwerken. Damit lenkte sie sich schön von ihren eigenen „Baustellen“ ab.

Eine der wichtigsten Fragen zu Weihnachten, nicht nur für unsere Autorin: Was bekommen die Kinder? Und was schenken sich die Erwachsenen?
Eine der wichtigsten Fragen zu Weihnachten, nicht nur für unsere Autorin: Was bekommen die Kinder? Und was schenken sich die Erwachsenen?

© privat

Wohl jede/r kann ein ähnliches Lied davon singen. Die Erwartungen an unser christliches Fest sind so hoch, emotional so aufgeladen und unsere Gefühle dabei oftmals so getränkt von eigenen Kindheitserinnerungen, dass das Fiasko, trotz allen guten Willens, vorprogammiert ist. Konflikte entzünden sich, oft schon im Vorfeld, an so nichtigen Fragen wie:

Wann stellen wir den Weihnachtsbaum auf? Vor Heiligabend? Wer schmückt ihn? Womit schmücken wir ihn? Was essen wir? Aufwendig gekocht oder schnelle Küche?) Wie soll das Essen zubereitet werden? (Welche Füllung bekommt die Gans?) Wann essen wir? (Vor oder nach der Bescherung?) Schmeckt es euch auch wirklich? (Ja doch, Mama!) Was kriegen die Kinder? (Wieder mal viel zu viel!)

Inzwischen verbringen wir Weihnachten entspannt zu Hause

Was schenken wir Erwachsenen uns? (Besonders pikant: Wenn einstimmig vereinbart wurde, sich nichts zu schenken, dann aber eine/r doch Präsente aus der Tasche zieht.)
Wo feiern wir, bei deinen oder meinen Eltern? (Seltsam, dieser Weihnachtstourismus, den viele auf sich nehmen, um andere Bedürfnisse zu befriedigen. Wer es nicht tut, so wie z. B. jenes Paar mit Baby, das erstmals „nur“ zu dritt feiern will, muss einem Eltern-Geschwister- Oma-Opa-Onkel-Tanten-Sturm trotzen.)

Die meisten der o. g. Fragen waren bei uns in der einen oder anderen Form auch schon mal Thema. Doch inzwischen verbringen wir Weihnachten entspannt zu Hause, in Zehlendorf: mein Mann und ich, die Kinder, meine Mama samt Hund und unser bester Freund. Dieser ist Patenonkel eines unserer Kinder und Single. Mittlerweile gehört er zur Familie.

Heiligabend schmücken die Kinder den Tannenbaum. Als sie noch klein waren, durften sie nachmittags ferngucken, während unser bester Freund und ich im Nebenraum, auf allen vieren, heimlich die Geschenke unter den Baum bugsierten. Anschließend gingen (und gehen) wir zum Weihnachtssingen in den Eggepfad. An die hundert Nachbarn aus dem Kiez stellen sich am Abend hier ein. Das ist immer ein schöner, stimmungsvoller Auftakt. Und wenn wir wieder nach Hause kommen, war der Weihnachtsmann schon da. Viele Jahre lang haben die Kinder uns das geglaubt.

„Das Wichtigste ist doch unser entspanntes und besinnliches Zusammensein“

Nach der Bescherung essen wir Kartoffelsalat und Würstchen. Das ist bei uns Tradition und macht weniger Stress als die aufwendige Gans. Dabei gebe ich zu, dass maßgeblich meine Mama sich ums Essen kümmert. Einem irreversiblen Mutterprogramm folgend (dieses Gen fehlt mir) kümmert sie sich geduldig um das Besorgen, Lagern und Zubereiten der unverzichtbaren Weihnachtsgans. (Schmeckt es euch auch wirklich?) Und Jahr für Jahr wird in der Adventszeit auch viel über „die Gans“ gesprochen, über ihre erhoffte Zartheit, das abzulassende Schmalz (mit Salz aufs Brot!) und die Zubereitung aller Zutaten (Rotkohl, Kartoffelklöße, Soße!). Doch das ist alles sehr gut auszuhalten.

Unsere drei heikelsten Ereignisse: Einmal, die Kinder waren noch klein, engagierten wir einen Weihnachtsmann. Er trug eine gruselige Maske, die Augen sahen aus wie tot. Trotzdem sagte unser Ältester tapfer ein Gedicht auf, bevor alle Kinder in Tränen ausbrachen. Einmal wollten wir – sehr zum Kummer meiner Mama – keine Gans essen. Bei unserem besten Freund war Diabetes festgestellt worden. Also bestellte ich einen Truthahn. Als ich diesen abholen wollte, hatte der Händler ihn aus Versehen verkauft. Es war nur noch ein Acht-Kilo-Vieh übrig, das nur mit allergrößter Mühe in den Backofen passte. Da lagen die Nerven blank – das Festessen war in Gefahr!

Und einmal bekam mein Mann an Weihnachten eine Lungenentzündung und musste ins Krankenhaus. Ansonsten halten wir Erwachsenen Dramen und Streit von uns fern. Wir üben uns darin, keine überhöhten Erwartungen zu haben und keine fremden Baustellen zu beackern. Wie sagt unser bester Freund immer so schön: „Das Wichtigste ist doch unser entspanntes und besinnliches Zusammensein.“

Nicki Pawlow ist Schriftstellerin und Rednerin. Sie lebt in Berlin-Zehlendorf und freut sich auf Heiligabend und auf die Weihnachtsgans.

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