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Aber bitte mit Rotkohl. Seit 16 Jahren organisiert Marcus Zander – hier im Büro seiner Wilmersdorfer Musikfirma Zett-Records – seinem Vater Frank die Weihnachtsfeier für Berliner Obdachlose im Neuköllner Estrel-Hotel. An diesem Dienstag ist es wieder so weit.

© Thilo Rückeis

Weihnachtsfeier für Obdachlose: Der Mann hinter der Gans

Für viele Obdachlose ist Frank Zanders Weihnachtsfeier der Höhepunkt des Jahres. Organisiert wird sie seit 16 Jahren von seinem Sohn Marcus. An diesem Dienstag ist es wieder so weit.

Marcus Zander ist heiser. Seit Tagen führt er ein Telefongespräch nach dem anderen. Er organisiert, plant um, sucht nach unkomplizierten Lösungen für kurzfristig auftauchende Probleme. Gerade hat sich der 42-Jährige im Büro seiner Musik- und Plattenfirma Zett-Records in Wilmersdorf mal für einen Moment hingesetzt, schon klingelt im Nebenraum wieder das Telefon: der Zoll. Ein großes Verlagshaus will für das Obdachlosen-Weihnachtsfest, das Marcus Zander seit 16 Jahren für seinen Vater Frank organisiert und das am Dienstag zum zwölften Mal im Neuköllner Hotel Estrel stattfindet, 1500 Sets mit Handschuhen, Mützen und Schals spenden. Doch die Ware kommt aus China, und die Zollpapiere sind nicht vollständig. Zehn Minuten und zwei Telefonate später ist aber plötzlich alles geklärt: „Als die Zollbeamten hörten, dass die Ware für unser Gänseessen sei, haben sie die Angelegenheit unbürokratisch erledigt“, freut sich Zander. Und damit nicht genug. Ein Paketdienst hat sich auch noch spontan bereit erklärt, die wärmespendenden Sets kostenlos und direkt ins Hotel zu liefern. „Das sind Momente, die einen froh machen“, sagt Zander.

Von diesen hat er in den letzten 16 Jahren um die Weihnachtszeit viele erlebt. Die schönsten sind allerdings nicht die, wenn eine Spendenzusage klappt oder sich im Vorfeld wieder viel zu viele private Helfer – in diesem Jahr engagieren sich 150 Berliner – für die Festvorbereitungen melden. Die berührendsten Momente erlebt Zander auf dem Fest selbst. Wenn er Menschen wiedersieht, die er dort schon seit Jahren trifft. Die ihm erzählen, dass sie sich für das Weihnachtsfest schon lange im Vorfeld aus dem Angebot einer Kleiderklammer das schönste Hemd herausgesucht haben. Einige sind auch darunter, die mittlerweile eine Bleibe haben. „Doch auch sie möchten so gern mit uns feiern. Das sei schließlich ihr Familienfest, sagen sie“, erzählt Zander.

Auch er selbst ist ein Familienmensch, der seinen Vater seit vielen Jahren organisatorisch betreut. „Die Zusammenarbeit ist nicht immer spannungsfrei. Aber unser Grundvertrauen zueinander ist sehr tief“, sagt Zander. Er erinnert sich noch genau an die Anfänge. Dass man ernsthaft darüber nachgedacht habe, ob man bei solch einer Veranstaltung vielleicht Sicherheitsleute brauche. „Was für ein Quatsch das war, wurde uns klar, als wir das erste Mal in die glücklichen Gesichter der Feiernden blickten“, erinnert sich Zander. Trotzdem ist in diesem Jahr im Estrel erstmals ein Bodyguard dabei. Aber nicht etwa für die erwarteten rund 2800 Wohnungslosen, denen am Dienstag von Prominenten wie Jeanette Biedermann, Nina Hagen, Heinz Buschkowsky und Wolfgang Lippert an 270 Tischen Gänsebraten, insgesamt etwa 450 Kilogramm Rotkohl, 5400 Knödel und ein Kuchennachtisch serviert werden, sondern für die rund 30 Fotografen. Denn einige Pressevertreter hatten sich im Vorjahr um die besten Plätze für ein Prominentenporträt geprügelt.

Die Menschen, um die es an diesem Tag eigentlich geht, sitzen in solchen Minuten im Dunkeln. Für manche prominenten Helfer scheinen sie sogar nur Kulisse, um sich auf dem Fest, das jene anscheinend als reine PR-Veranstaltung begreifen, ins rechte Licht zu rücken. „Das schauen wir uns schon genau an, und manch einer wird dann im nächsten Jahr eben nicht mehr eingeladen“, sagt Zander. Dennoch ginge es ohne die Aufmerksamkeit der Presse nicht. Mit einer großen Mappe voller Presseberichte und Fotos bewaffnet, bittet Zander jedes Jahr bei Firmen um Spenden. Und das wirkt fast immer, auch wenn viele Spender- und Helfernamen am Ende ungenannt bleiben werden: So bieten auf dem Fest zwei Firmen Friseur- und Massagedienste an. Und später können die Gäste eine prall gefüllte Tüte mitnehmen, darin unter anderem Süßigkeiten, Pflaster, Zahnbürsten und Kondome.

Zander hofft nur, dass der Platz im Estrel auch in Zukunft ausreichen wird, um alle bedürftigen Menschen willkommen zu heißen. Rund 11 000 Wohnungslose sollen mittlerweile in Berlin leben, Tendenz steigend. „Besonders in den kalten Nächten mache ich mir natürlich Sorgen“, sagt Zander. Einen Teil der diesjährigen Spendengelder hat er daher darauf verwendet, einen handlichen Wegweiser der Kältehilfe zu drucken. Nun kann jeder Wohnungslose die überlebenswichtigen Informationen nach dem Weihnachtsessen am Dienstag in die Jackentasche stecken. Denn nach dem Fest wartet draußen wieder die Kälte.

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