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Der Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz

© Reuters/

Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz: „Die Berliner sind hart im Nehmen"

Am Samstag räumte die Polizei den Breitscheidplatz wegen Terrorverdachts. 16 Stunden später ist der Markt wieder geöffnet. Wie fühlen sich die Besucher?

Aus den Boxen tönt die englische Version von „Stille Nacht“, die tiefe Stimme des Sängers weht über den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz, und an einem Glühweinstand steht Matthias Meyer und raucht entspannt eine Zigarette. Es ist Sonntag, 16 Stunden zuvor ist der Weihnachtsmarkt von der Polizei geräumt worden. Die Beamten hatten einen „möglicherweise verdächtigen Gegenstand“ gemeldet, die Angst war groß. Drei Jahre zuvor war der Attentäter Anis Amri mit seinem Lastwagen über den Breitscheidplatz gefahren und hatte zwölf Menschen getötet.

Aber Matthias Meyer, Tourist aus Traunstein in Bayern, bleibt ziemlich gelassen. Er hat sie gehört, die Nachricht von der Räumung, aber der Gedanke, der ihm durch den Kopf schoss, lautete lediglich: „Nicht schon wieder.“ Ja klar, „grundsätzlich ärgerlich“ ist es schon, dass es wieder Alarm gab, aber der bringt ihn nicht wirklich aus der Ruhe.

Seine Begleiterin, die langen schwarzen Haare von einem weinroten Stirnband umhüllt, sieht es ähnlich. „Vorsicht ist natürlich gut, aber man sollte es nicht übertreiben.“ Andererseits, eine gewisse Hilflosigkeit schwingt natürlich doch mit, bei beiden, man weiß ja nie, was wirklich passieren könnte. „Im Nachhinein erklärt man dann, das hätte ja jeder vorher wissen können“, sagt Matthias Meyer. Und seine Begleiterin hat eine Idee, von der sie weiß, dass sie nie funktionieren kann, die aber zeigt, dass man sich wenn irgendmöglich an die Normalität klammern möchte. „Am Besten wäre es, wenn man so einen Gegenstand überprüfen könnte, ohne dass man gleich alles räumt.“ Eine nette, natürlich weltfremde Idee. Die Österreicherin weiß es selber.

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Aber ihre Einstellung ist symbolisch für die Atmosphäre am Sonntag auf dem Breitscheidplatz, nur ein paar Stunden, nachdem der Platz geräumt werden musste, nachdem die Schreckensbilder von 2016 plötzlich wieder aufploppten. Hinter einem anderen Glühweinstand sitzt ein Mann, der bis zu diesem Moment gar nichts mitbekommen hat von der Räumung. Er war gestern nicht da, aber die Nachricht von dem Polizeieinsatz nimmt er so gelassen hin, als hätte er den nächsten Glühwein verkauft. „Die Berliner sind hart im Nehmen, denen macht das nicht viel aus. Außerdem sind 80 Prozent der Leute auf dem Weihnachtsmarkt sowieso Touristen. Die wollen auf den Markt.“

Die Betonblöcke geben „ein Gefühl von Sicherheit"

James McDonough ist kein Tourist, er lebt seit 14 Jahren in Wilmersdorf, der US-Amerikaner ist heute mit seinen Zwillingen Leo und Charlotte da, Kinder, die sich an Papas Schultern drücken. Er sitzt am Rande des Springbrunnens, aus dem kein Wasser strömt, er ist zum dritten Mal auf dem Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz und fühlt sich gut und sicher. „Ich habe die Betonblöcke gesehen, die zur Sicherheit aufgestellt worden sind und außerdem viele Zivilpolizisten, das gibt mir ein Gefühl von Sicherheit.“

James McDonough und seine Zwillinge Leo und Charlotte auf dem Weihnachtsmarkt
James McDonough und seine Zwillinge Leo und Charlotte auf dem Weihnachtsmarkt

© Frank Bachner

Die zivilen Einsatzkräfte hat er an den Knöpfen in ihren Ohren erkannt. Als er zum ersten Mal da war, nach dem Attentat von 2016, da hatte er noch, vor allem wegen der Kinder, „ein ungutes Gefühl“. Aber schon damals sah der die Sicherheitsmaßnahmen und beruhigte sich. Doch von der Räumung am Samstagabend hat er nichts gewusst. Wäre er gekommen, wenn er die Nachricht gehört hätte? McDonough überlegt ein paar Sekunden, dann sagt er: „Ja, ich fühle mich sicher, da sind ja diese Polizisten und die Betonblöcke.“´

Und während sich die Menschen langsam durch den Weihnachtsmarkt treiben lassen, steht ein älterer Mann mit schwarzer Skimütze und schwarzer Jacke hinter seinem Stand mit Kunsthandwerk und ätherischen Ölen und ist auch ganz ahnungslos. Nein, von der Räumung hat er nichts mitbekommen, er war am Samstag nicht da. Und Hinweise, dass hier irgendetwas geschehen war, die bekommt er auch nicht. Zumindest nicht von seinen Kunden. „Alles läuft hier normal ab“, sagt er. „Von der Räumung hat niemand etwas erzählt, und das Attentat von 2016 ist auch kein Thema mehr.“

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