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Berlin: Weil die Zeit Wunden heilt

17 Jahre nach dem Anschlag auf „La Belle“ gibt es offenbar Entschädigung für die Opfer. Brunhild war damals in der Disko. Sie sagt: Ich habe noch Macken. Aber das Geld hätte sie gern

Mit jeder Schlagzeile kommt sie wieder hoch. Die Nacht, in der im „La Belle“ die Bombe platzte, der Staub, die Schreie, die Schmerzen. Brunhild F. hat gelernt, mit den Bildern zu leben. Und derzeit machen ihr die Schlagzeilen, die sie im Café überfliegt, sogar gute Laune: Entschädigung für die La-Belle-Opfer steht da und: 17 Jahre nach Anschlag auf Disko will Gaddafi-Stiftung zahlen. Könnte sie sich über das Geld freuen? Brunhild, 36, nickt. „Jetzt ja, früher nicht.“

Es gab ein Davor. Da war Brunhild 18 Jahre alt, verliebt in Yussef, den Vater ihres ungeborenen Kindes. Und ein Danach. Da traut sich Brunhild, die Kellnerin, in kein Restaurant, in keine Kneipe, U-Bahn, kein Kino, kein Konzert. Dazwischen war der Anschlag. Es war die Nacht zum 5. April, als um 1.40 Uhr in der besonders unter Amerikanern beliebten Diskothek eine Bombe hochging. Brunhild und ihr Freund Yussef waren Stammgäste an der Schöneberger Hauptstraße, sie hatten gerade den Eintritt bezahlt, als plötzlich die Hölle losbrach. Brunhilds Beine und Becken wurden unter einer Wand begraben, sie konnte nicht raus, während die Verletzten panisch über sie herüberstolperten. „Ich habe immer nach Yussef gerufen, aber er war selbst eingeklemmt.“ Drei Menschen starben bei dem Attentat, 200 wurden zum Teil lebensgefährlich verletzt.

Nach jener Nacht im „La Belle“ hat Brunhild ihren Freund nachts nicht mehr aus dem Blick gelassen, hat jeden seiner Atemzüge gezählt. Denn mit der Bombe ist das Misstrauen in Brunhilds Leben geplatzt und die Nacht war plötzlich zum Fragen da: Warum hat Yussef, der Libanese, ihr nicht geholfen, nachdem er von den Trümmern befreit wurde? War auch er in den Anschlag verwickelt? „Ich hatte plötzlich Angst vor meinem eigenen Freund“, sagt Brunhild F., die nach dem Anschlag ihr Baby verloren hat.

Weil den La-Belle-Opfern damals noch keine Traumatologen zur Seite gestellt wurden, zog sich der Kampf gegen die Angst über Jahre. Ein Jahr lang konnte Brunhild nicht zur Arbeit gehen. Ein weiteres Jahr später versuchte sie es mit einer Disko, flüchtete jedoch panisch, nachdem ein Mann mit Sporttasche hereingekommen war. „Meine Therapie war der Prozess“, sagt Brunhild. Weil sie mit den Anwälten, dem Gericht, den Journalisten über das Geschehene reden musste, weil sie die anderen Opfer hörte und merkte, „dass ich eben doch nicht ganz alleine bin“. Über vier Jahre dauerte der Prozess, dann verurteilte das Berliner Landgericht vier Täter zu langjährigen Haftstrafen. Für Brunhild aber nicht lang genug. „14 Jahre! Was sind schon 14 Jahre?“, fragt die Frau mit dem blonden langen Haar. „Im Vergleich zu dem lebenslangen Leid von so vielen.“ Die Enttäuschung der Opfer wurde nur dadurch etwas gemildert, dass der Vorsitzende Richter in dem Urteil deutliche Worte über die Verstrickung Libyens fand: Der libysche Staat und Geheimdienst trügen „zumindest eine erhebliche Mitverantwortung“ am Attentat.

Damit stiegen die Chancen auf Entschädigung, erhofft sich die Regierung in Tripolis doch eine Aufhebung der Sanktionen im UN-Sicherheitsrat – doch fast zwei Jahre passierte nichts. Aber nach den Zahlungen für die Opfer des Lockerbie-Anschlags zeigt sich Libyen jetzt auch bereit, die La-Belle-Opfer zu entschädigen. Sollten sich die Libyer auf die Forderung der Opferanwälte einlassen, könnte Brunhild, noch immer Kellnerin und inzwischen alleinerziehende Mutter, bald um 500 000 Euro reicher sein. „Das ist schon ein beruhigendes Gefühl“, sagt Brunhild. Nein, große Anschaffungen plane sie nicht, nur eine Reise, vielleicht nach Afrika.

Der Schlussstrich ist noch nicht gezogen. „Ein paar Macken habe ich noch“, sagt Brunhild und meint: Die Angst vorm dunklen Keller beispielsweise. Oder die Panik, die ihr ein Großaufgebot der Polizei einflößt. Immerhin: „Die Erinnerung ist nicht mehr belastend“, sagt Brunhild.

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