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Berlin: Weinregion seit zwei Jahrtausenden

Im Carnuntum wachsen nur zwei Prozent der österreichischen Trauben – aber der Rotweinboom holt die Landschaft jetzt endgültig aus dem Dornröschenschlaf. Ein Winzerpaar lässt die Reben sogar wieder mit Füßen treten…

Wein hat keinen Geburtstag. Wo und wann der erste Wein entstanden ist, kann nicht mal Hugh Johnson in seiner „Weingeschichte“ genau beschreiben; vor etwa zwei Millionen Jahren, schätzt der Autor, als es Trauben schon gab und zudem auch Menschen, die sie sammelten. Die Römer waren dann bekannterweise diejenigen, die am meisten für die Wein-Verbreitung taten. So auch in einer kleinen hügeligen Region nördlich der Alpen, dem Carnuntum. Und das Carnuntum kennt dank der Römer seinen Geburtstag: Sechs Jahre nach Christus ist Feldherr Tiberius durchs Land gezogen, hat dort sein Winterlager aufgeschlagen und seine Truppen stationiert. Mit den Römern kam der Wein. Die Römer verschwanden wieder. Der Wein blieb. In diesem Jahr feiert das Carnuntum 2000-jähriges Bestehen. Und erlebt als Weinregion eine Blütezeit wie nie zuvor in seiner langen Geschichte.

Dabei wäre die Gegend, östlich von Wien und südlich der Donau gelegen, als Weinbaugebiet beinahe von der Landkarte verschwunden. Der Ackerbau hatte die Weinberge verdrängt und der österreichische Weinskandal den Ruf ruiniert. Ein Kandidat von Günther Jauch konnte schon das große Weinviertel nicht als Weinregion identifizieren – das kleine Carnuntum zu kennen, hätte bestimmt für die Million gereicht.

Aber nur bis zum Rotweinboom. Der hat das Carnuntum aus der Vergessenheit geholt. Denn nun zeigen Winzer wie Gerhard Markowitsch und Hans Pitnauer, dass die Zukunft eher Rot trägt. „Quo Vadis“ nennt Pitnauer seinen Merlot von den Südhängen des Schüttenbergs. Und deutet damit die Richtung an: Sein Pegasos, ein Syrah, oder Markowitschs Cuvée vom Rosenberg sind kräftige Weine von internationaler Anmutung, die zugleich auch auf geschmackvolle Weise die Region repräsentieren.

Wenn heute René Gabriel in seinem Newsletter „WeinWisser“ über „Österreich im Rotweinglück“ schreibt, dann zählt er Gerhard Markowitsch aus Göttlesbrunn zu den Besten. Auch Namen wie Artner, Payr oder Schenzel-Wallner tauchen zusehends neben den bekannten Kollegen aus dem Burgenland auf. Rot brachte dem Carnuntum tatsächlich das große Glück. Mit Zweigelt, Blaufränkisch, Merlot und Cabernet können sie international punkten. Selbst Syrah reift heute bei Artner zur Höchstform aus.

Doch die 890 Hektar Weinberge – Carnuntum ist mit knapp zwei Prozent der gesamten Rebfläche eines der kleinsten Weinbaugebiete Österreichs – haben auf zwei Dritteln durchaus auch feines Weißes zu bieten: exotisch-fruchtigen Muskateller von Franz Taferner (Göttlesbrunn), frischen Grünen Veltliner von Robert Payr (Höflein), international kompatiblen Chardonnay von Zwickelstorfer (Höflein) oder rosenduftigen Gelben Traminer von Netzl (Göttlesbrunn). „Bei uns im Carnuntum“, sagt Robert Payr stolz, „wird eigentlich alles leiwand.“ Was sagen will: Alles gelingt.

Die Natur hat dafür ideale Voraussetzungen geschaffen: Von irgendwoher weht immer ein Lüftchen. Entweder warm aus dem Süden, wo nur rund 14 Kilometer entfernt der Neusiedlersee liegt. Ist das zu lau, schiebt das Leithagebirge einen Riegel vor. Dann bläst es kühl vom Norden, wo die Donau frische Luft bringt. Spürbare Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht sind somit gewährleistet, sie ermöglichen den Aromen der Trauben eine lange Reifezeit, auch die Säure bleibt resch. „Kontinental extrem“ nennt Wilhelm Schenzel das Klima in seinen Weingärten. Und was für die Trauben recht ist, soll auch den Menschen Energie liefern: Auf vielen Anhöhen drehen sich riesige Windräder.

Auf drei Hügellandschaften konzentriert sich der Weinbau im Carnuntum: Da sind die lehmig-schottrigen Böden mit hohem Kalkgehalt am Leithagebirge, wo sich die Weingärten nach Westen ausrichten. Rund um Trautmannsdorf, Sarasdorf und Bruck an der Leitha entstehen so frische, fruchtbetonte Gewächse. Am sonnigsten sind die südlichen Lagen des Arbesthaler Hügellandes mit vorwiegend schottrigen Böden in der Höhe und zunehmendem Lehmanteil an den unteren Hängen – das genießen besonders früh reifende rote Sorten. Dort haben sich die Weingüter in Arbesthal, Göttlesbrunn und Höflein angesiedelt.

Ganz anders die Hundsheimer Berge. Geologisch gehören sie eigentlich zu den Kleinen Karpaten, wurden aber durch den Donaudurchbruch von ihnen abgetrennt. Glimmerschiefer, Granitgneis und Kalk sind die kargen Grundlagen für den Hundsheimer Berg und den Spitzerberg, die knapp 300 Meter hoch aus der pannonischen Tiefebene aufragen.

Dort hat sich Dorli Muhr gemeinsam mit ihrem Mann Dirk van der Niepoort aus der bekannten portugiesischen Portwein-Dynastie drei Hektar Land zugelegt, teils neu bestockt, teils mit 30 Jahre alten Reben der Sorte Blaufränkisch. Einen Teil des Leseguts lassen sie mit den Füßen stampfen, wie es bei Portwein üblich ist – die sanfteste Art, Trauben zu verarbeiten, meinen die beiden. Das Ergebnis, ein Rotwein namens Prellenkirchen und der Spitzenwein Spitzerberg, der erstmals 2004 abgefüllt wurde – beide sehr klassisch, elegant, von beeindruckender Struktur und Länge –, wird noch von sich reden machen.

Im Carnuntum ist für Konkurrenz wenig Platz. Nur für Kollegen. Und so betrachten auch die anderen mit Interesse, was die Ausbauart von Muhr-Niepoort den Weinen bringt. Man ist offen für neue Ideen. Deshalb haben 40 der Winzer vor zwei Jahren auch einen australischen Winemaker angeheuert, den jungen Macgregor „Mac“ Forbes, der zuvor bei der großen Kellerei Rosemount tätig war. „Es geht uns nicht darum, Designerweine herzustellen“, sagt Robert Nadler vom Weingut Nadler in Arbesthal, „sondern wir meinen, dass man nie auslernt.“

Was ihnen der Australier, der im Yarra Valley bei Melbourne selbst ein kleines Weingut betreibt, als Allererstes beibrachte, erstaunte die Österreicher dann doch. Er überredete sie, ihre Refraktometer, die Geräte, mit denen man den Zuckergehalt der Trauben misst, daheim zu lassen. Und ganz unvoreingenommen mit ihm in den Weinberg zu gehen und zu probieren. Und zu probieren. Und zu probieren. Der Zuckergehalt allein sagt nämlich nichts über die physiologische Reife der Früchte aus. „Mac hat uns beigebracht, den Lesezeitpunkt zu schmecken“, sagt Christoph Artner aus Höflein.

Wunder, sagt Mac Forbes, könne auch er nicht vollbringen. Schon gar nicht im schwierigen Weinjahr 2005. Aber er stand im letzten Herbst, als es mitten in die Lese hineinregnete, den Carnuntum-Winzern mit Rat und Tat beiseite. Half beim Selektieren der Trauben, konnte auch manchen Tipp bei Gärungsproblemen geben. Die Hilfe beruhte dann auch auf Gegenseitigkeit. Christoph Artner und Robert Nadler flogen im österreichischen Winter zu Mac, um wiederum ihm bei der Lese im Yarra Valley zu helfen. „Wir wollen keine australischen Weine machen“, sagt Artner, dessen 2003 „Syrah and Ever“ sich mit saftigen Erdbeeraromen und Milchschokolade im Geschmack durchaus modern und weltoffen präsentiert. Den Winzern des Carnuntum ist bewusst, dass vor allem ihre Heimat Zukunft hat. Und die soll man in ihren Weinen schmecken. Schon früh haben sie Gebietsmarken eingeführt wie „Primus Carnuntum“ für Kabinettweine und „Rubin Carnuntum“ für regionstypische Rote aus Zweigelt und Blaufränkisch. Künftig soll es auch noch eine Kategorie „Optimum Carnuntum“ geben, die auf einen Blick die besten Exemplare eines Weinguts auszeichnet. Und die dürfen nur aus den Sorten Blaufränkisch und Zweigelt bestehen. „Österreich ist das, was wir wollen“, betont Payr. Auch wenn das einst mal römisch war.

Sabine Immerz

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