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Berlin: Weiterleben, irgendwie

Ein Jahr nach den Schüssen in der Kienitzer Straße: Ein Besuch bei der Lebensgefährtin des getöteten SEK-Mannes Roland Krüger

Neulich, da war wieder so ein Moment. Birgit G. saß abends im Wohnzimmer und wunderte sich, dass der Hamster ihrer Tochter Denise noch immer nicht aus seinem Käfig herausgekrochen gekommen war. „Vielleicht ist er ja tot“, hat Denise daraufhin zu ihrer Mutter gesagt – im Scherz. „Da bin ich aufgesprungen und habe geschrien, dass ich das nicht aushalte“, sagt Birgit G. Dabei war das Tier quietschfidel – nur etwas langsamer als sonst. Doch es sind Situationen wie diese, in denen ihr wieder vor Augen geführt wird, dass sie den Tod ihres Lebensgefährten Roland Krüger noch lange nicht verkraftet hat.

Heute, am 23. April, ist es ein Jahr her, dass der SEK-Beamte Roland Krüger bei einem Einsatz in der Kienitzer Straße in Neukölln durch eine Kugel in den Kopf getroffen und getötet worden ist. Birgit G. sagt, sie denke manchmal immer noch, er komme bald wieder. Vielleicht hat sie deswegen in ihrem Haus in Buckow noch alles so gelassen, wie es vor seinem Tod war: Seine Kleidung liegt noch in seinem Schrank, von seinen persönlichen Sachen hat sie nichts weggegeben. „Natürlich gewinnt man mit der Zeit etwas Abstand zu dem Ganzen“, sagt die 38-Jährige.

Doch jetzt, wo sich der Todestag jährt, kommen die Erinnerungen naturgemäß stärker hoch als sonst. „Letztes Jahr Ostern – das war wenige Tage, bevor er erschossen wurde – da sind wir mit den Kindern noch Fahrrad gefahren und haben Eis gegessen. Daran musste ich dieses Jahr immer wieder denken.“ Auch Weihnachten hat sie mit der knapp zweijährigen Kim, und der 18-jährigen Denise, ihrer Tochter aus erster Ehe, zum ersten Mal nach Jahren bei ihren Eltern verbracht. „Die wollten nicht, dass ich mit den Kindern zu Hause sitze. An solchen Tagen tut es besonders weh“, sagt sie.

Hilfe bekommt Birgit G. von einer Polizeipsychologin, mit der sie sich regelmäßig trifft. „Ich wollte das zuerst gar nicht und war der Meinung, ich muss alles alleine schaffen. Nun weiß ich, die Therapie tut mir sehr gut.“ Aber Birgit G. sagt auch, dass sie gar keine Zeit habe, „wie ein Trauerkloß in der Gegend herumzusitzen“. Schließlich hält die kleine Kim sie auf Trab. „Gott sei Dank ist das so.“ Birgit G. geht erst ins Bett, wenn sie total erledigt ist, damit sie sofort einschläft und nicht ins Grübeln kommt“, erzählt sie.

Doch bei allem „Sich-selbst-immer-wieder-Aufraffen“ und dem inneren Kampf gegen die Trauer: Es gehe einfach noch nicht, dass sie in ihrem Job wieder arbeitet, als Hauskrankenpflegerin. „Immer, wenn ich einen Sterbenskranken im Bett liegen sehe, dann kommen die Bilder von Roland im Krankenhaus- bett wieder hoch.“

Tag und Nacht hat sie an seinem Bett gesessen. Als „klinisch tot“ galt der SEK-Mann, als er ins Krankenhaus kam. Die Kugel des Schützen Yassin Ali-K. hatte sich den Weg zwischen Krügers Schutzschild und dem Helm gebahnt und bohrte sich in sein Gehirn. „Seine Organe funktionierten noch, er öffnete manchmal seine Augen, sein Puls stieg, wenn ich ihn berührte“, sagt Birgit G. „Deshalb konnte ich mir einfach nicht vorstellen, dass er tot sein soll, und ich habe bis zum Ende gehofft, dass alles wieder gut wird.“ Vier Tage lang. Bis zum 27. April – dann versagten die Organe ihres Lebensgefährten.

Roland Krüger ist der erste Beamte des Spezialeinsatzkommandos in Berlin, der bei einem Einsatz ums Leben gekommen ist. Fünf Jahre waren Birgit G. und er zusammen. „In all der Zeit habe ich nie viel Angst gehabt um ihn. Von Gefahren habe er wohl absichtlich nie gesprochen. Auch seine Kollegen nicht.“ Der Einsatz in der Kienitzer Straße sei ein Routineeinsatz gewesen, sagte später der SEK-Chef: Nach einer Messerstecherei in einer Neuköllner Disko sollte ein Haftbefehl gegen den Libanesen Yassin Ali-K. vollstreckt werden. „Zuletzt hatte Roland mir eine SMS per Handy geschrieben: dass er mir viel Spaß mit der Kleinen in der Krabbelgruppe wünscht“, erzählt Birgit G. Das war das Letzte, was sie von ihm hörte.

Der Schock, dass ein SEK-Beamter – ein Elite-Polizist – kaltblütig erschossen worden ist, saß auch in der Bevölkerung tief. „Es kamen so viele wildfremde Leute zum Trauermarsch und später zur Trauerfeier in den Dom, die alle Anteil genommen haben.“ Und dann die Spenden. Krügers Kollegen hatten sie überredet, für sie und die kleine Kim ein Spendenkonto eröffnen zu lassen. Weil sie keine Witwenrente bekommt, schließlich war sie nicht verheiratet mit Roland Krüger. „Da kamen Spenden aus ganz Deutschland.“ Demnächst wolle sie das Konto schließen. Wie viel Geld bislang zusammengekommen ist, möchte sie nicht sagen. Nur eines: 250000 Euro, wie in den Medien berichtet worden war, sei „bei weitem übertrieben“. Sie versteht einige Leute nicht, die hinter ihrem Rücken sagen, dass sie einen Reibach gemacht habe. Schließlich sei das Geld doch – egal, wie hoch die Summe ist – nicht zum Verjubeln da. „Es fehlt ein Gehalt. Und Roland hat beim SEK nicht schlecht verdient“, erklärt sie. Die Spendengelder habe sie angelegt. Vor allem für Kim. Und auch, um irgendwann einmal eine gemeinsame Reise zu machen. Weit weg von allem.

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