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Berlin: Wem Freiheit zusteht

Das Holocaust-Mahnmal könnte ein Anziehungspunkt für Neonazis werden. Der Innenminister will das Versammlungsrecht verschärfen, um das zu verhindern

Eines hatten die Atomkraftgegner von Brokdorf bestimmt nicht im Sinn: den Neonazis und Rechtsextremisten das Demonstrieren zu erleichtern. Genau das aber ist im Ergebnis passiert. Als die Atomkraftgegner 1981 gegen die Errichtung des Kernkraftwerks Brokdorf demonstrieren wollten, erließ der zuständige Landrat ein Verbot. Die Atomkraftgegner erhoben Verfassungsbeschwerde – mit Erfolg. In seinem Beschluss entschied das Bundesverfassungsgericht aber nicht nur den konkreten Fall, sondern stellte zugleich ein paar eiserne Regeln auf, die seither dafür bürgen, dass auch unwillkommene Demonstrationen stattfinden dürfen. An diesen Regeln sind bis heute alle Versuche gescheitert, das Versammlungsrecht zu verschärfen.

Zum 60. Jahrestag des Kriegsendes im kommenden Mai wird das neu errichtete Holocaust-Mahnmal offiziell eröffnet. Es könnte zu einem Anziehungspunkt für Rechtsextremisten werden. Deshalb will Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) das Versammlungsrecht verschärfen. Zu gut hat er noch die Bilder in Erinnerung von jenem 29. Januar 2000, als Neonazis mit Trommeln und Fahnen durch das Brandenburger Tor marschierten. Schily hat einen Entwurf für ein neues Versammlungsgesetz vorgelegt.

Grundsätzlich extremistische Versammlungen sollen danach leichter verboten werden können. Zudem sollen Demonstrationsverbote an Stätten möglich sein, die an die Vernichtung der Juden erinnern. Aber der Entwurf geht noch weiter. Auch an anderen als Mahnstätten will Schily künftig Beschränkungen oder Verbote ermöglichen, wenn eine Versammlung die „nationalsozialistische oder andere Gewalt- und Willkürherrschaft oder terroristische Vereinigungen oder terroristische Straftaten im In- und Ausland in einer Weise verharmlost oder verherrlicht, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu gefährden“.

Die CDU weiß der Innenminister an seiner Seite; sie ist schon lange für die Verschärfung des Demonstrationsrechts. SPD und Grüne sind dagegen, und wenn sie das Gesetz später beim Bundesverfassungsgericht zur Kontrolle vorlegen, könnte das Gericht Schwierigkeiten machen. Denn schon das bisherige Versammlungsgesetz muss nach seiner Meinung „verfassungskonform ausgelegt“, das heißt, demonstrationsfreundlich interpretiert werden. Die rot-grüne Bundesregierung hat sich ohnehin als demonstrantenfreundlich erwiesen und die Bannmeile abgeschafft. Stattdessen gibt es rund ums Parlament einen befriedeten Bereich, in dem das Demonstrieren nur dann nicht erlaubt ist, wenn das Parlament tagt.

Freiheit bedeutet eben auch die Freiheit, Unsinn zu reden, unseren Staat zu verhöhnen oder allen anderen auf die Nerven zu gehen – einzeln oder zu mehreren. Das Grundgesetz schützt das. Das schreiben die Richter ganz deutlich in ihrer Brokdorf-Entscheidung. Die Meinungsfreiheit (Artikel 5) sei eines der „vornehmsten Menschenrechte überhaupt“; ohne sie könne eine freiheitliche Demokratie nicht funktionieren. Da die Versammlungsfreiheit (Artikel 8) ja praktisch das Recht der kollektiven Meinungskundgabe sei, könne für sie nichts anderes gelten.

Nach derzeitiger Rechtslage können Versammlungen nur verboten werden, wenn durch sie die „öffentliche Sicherheit oder Ordnung … unmittelbar gefährdet ist“. Damit ist gemeint: Es muss wahrscheinlich sein, dass aus der Demo heraus Straftaten begangen werden. Je besser die Demonstranten schon vor der Demo mit den Behörden kooperieren, desto schwieriger wird es, die Versammlung zu verhindern. Allerdings sind Auflagen möglich. Die Versammlungsbehörde kann zum Beispiel verfügen, dass die Route einer Demonstration nicht am Mahnmal vorbeiführt. Zur Regel machen kann sie dies aber nicht, denn schematische Entscheidungen sind auf diesem Feld nicht möglich – es muss jeder Einzelfall geprüft werden.

Fatina Keilani

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