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Berlin: Wen die Möwe pickt

Bei seinem Berlin-Besuch 1947 faszinierte Max Frisch vor allem die Sowjetkultur

Das Abendessen war ebenso bescheiden wie spektakulär: „Zwei Kartoffeln, Fleisch, etwas Grünes sogar, Bier.“ Frisches Gemüse war im November 1947 in Berlin etwas ganz Besonderes, wert, in einem Tagebuch notiert zu werden. Max Frisch wusste um das Privileg, im Künstlerclub „Die Möwe“ zu speisen, und bestimmt hatte man ihm zuvor, beim Empfang durch den Kulturbund, erzählt, dass der Klub den Sowjets zu danken sei. Künstler wie Hans Albers, Gustav Knuth und Ernst Busch waren bei der Eröffnung am 15. Juni 1946 zugegen. Rasch war das nach Tschechows Stück benannte Haus in der Luisenstraße 18 zum kulturellen Treffpunkt aufgestiegen, dies um so mehr, als die Künstler sich dort satt essen konnten.

Der Ort mag Frisch beeindruckt haben, getrübt hat das seinen Blick nicht. Ebenso wenig wie die Einladungen der Gegenseite an ihn, den neutralen Schweizer: „Vormittags im amerikanischen Rundfunk. Beide Seiten werben Söldner…“ Frisch dürfte den Rias gemeint haben, der in jenen Wochen die Reihe „Freiheit gegen Totalitarismus“ eröffnete.

Bereits 1935 hatte Frisch Berlin besucht. Seine Freundschaft zu einer jungen Jüdin floss in den Roman „Homo Faber“ und die Erzählung „Montauk“ ein. Bei Frischs zweitem Besuch Mitte November 1947 stand die Stadt erneut an einem Scheidepunkt ihrer Geschichte. Und wieder verdichteten sich die Erlebnisse zu literarischen Arbeiten des hauptberuflich noch als Architekten tätigen Schweizers: einige Passagen im „Tagebuch 1946-1949“ sowie das Drama „Als der Krieg zuende war“, das eine Episode im Berlin der ersten Nachkriegsmonate schildert, die Liebe zwischen einer Deutschen und einem sowjetischen Oberst. Ein US-Offizier hatte Frisch davon erzählt, „einen Fall aus der so genannten Russenzeit, die auf den Nerven mancher Frauen, aber auch vieler Männer schwerer lastet als die Bombenzeit“. In Berlin wurde das Stück nie aufgeführt.

Frischs Reise fiel in eine Zeit, als sich der Ton zwischen West-Alliierten und Sowjets rapide verschärfte. Eine weltpolitische Krise zog herauf, deren Vorzeichen sich im Berliner Alltag andeuteten. Zum Beispiel im Palais am Festungsgraben, dem damaligen Haus der Kultur der Sowjetunion, wo im Juli 1947 die erste Kunstausstellung eröffnet worden war (und wo seit 1996 „Die Möwe“ ihren Sitz hat). Eine Stunde streift Frisch durch die menschenleeren Räume, anfangs wohlwollend, bald zunehmend irritiert: „Im übrigen kennt man die Ausstellungen dieser Art, das Unbehagen, gleichviel welche Macht es ist, die sich selber preist.“ Frisch stellt sich als Schweizer Architekt vor, ein Hauptmann in Zivil führt ihn: „Bild eines klassizistischen Palastes mit dreistöckigen Säulen. ,Vor allem möchte ich Wohnbau sehen‘, sage ich: ,Siedlungen für Arbeiter und so.‘ ,Hier wohnen Arbeiter.‘ ,Hinter diesen großartigen Säulen?‘ ,O ja.‘“ Frisch fragt weiter, was als Zweifel gedeutet wird. Am Ende steht er da „wie ein Spitzel, blätternd, spürbar von der Seite betrachtet – (Misstrauen als körperliches Unbehagen.)“

Fasziniert hat ihn die professionelle Kulturarbeit der Sowjets dennoch: „Offensichtlich entsenden sie ihre besten Leute, denen auf der anderen Seite, von wenigen Ausnahmen abgesehen, viel freundliche Nullen gegenüberstehen. In Frankfurt trafen wir einen Amerikaner, einen Prachtkerl an Hilfsbereitschaft, der durch uns zum erstenmal von Eliot gehört hat; Theatre Officer.“ Dagegen in Berlin die beiden russischen Offiziere, bei denen Frisch für ein nicht näher beschriebenes, später aus Moskau abgelehntes Anliegen vorspricht: Natürlich beherrschen sie tadelloses Deutsch, beweisen im dreistündigen Gespräch eine profunde Kenntnis deutscher Literatur und Philosophie. „Unser Gespräch, das sich immer wieder mit Bedacht an Theaterfragen hält, hat keinen einzigen Namen zutage gefördert, der ihnen nicht bekannt ist, literarisch und politisch bekannt. Gefühl von Kartothek.“

Auch Oberst Sergej Tulpanow erscheint, „ein sehr fremder, undurchschaubarer, starker Kopf, rund und kahl“, Chef der Informationsabteilung der Sowjetischen Militäradministration, der Verantwortliche für die Kultur und nicht nur das. Wenige Wochen zuvor, beim II. Parteitag der SED in Berlin, hatte er in der Eröffnungsrede von zwei Deutschlands gesprochen, einem „Land der fortschrittlichen Kräfte“ sowie einem „Land jener Leute, die mit Unterstützung des ausländischen und besonders amerikanischen Kapitals das deutsche Volk wieder in das blutige Gemetzel des imperialistischen Krieges jagen wollen“.

Die Spirale des Kalten Krieges, der seit Verkündigung des Marshall-Plans zum Wiederaufbau Europas Anfang Juni 1947 immer kälter wurde, war damit noch einmal weitergedreht worden. Ende Oktober gibt der US-Militärgouverneur in Deutschland, General Lucius D. Clay, den Beginn der „Operation Talk Back“ bekannt, eine propagandistische Gegenoffensive, zu der auch die „Freiheit gegen Totalitarismus“-Reihe im Rias gehört. Zwar kommt es im Admiralspalast noch zu einer Weihnachtsfeier für amerikanische, russische, britische, französische und deutsche Kinder, die von Angehörigen aller vier Besatzungsmächte arrangiert wird. Doch als Max Frisch im Sommer 1948 erneut in der Stadt weilt, ist der Bruch endgültig vollzogen: „Berlin als belagerte Stadt.“

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