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Berlin: Wenn das Maß voll ist, bleibt der Tank leer

Manche Autofahrer wollen die hohen Spritpreise aussitzen, andere beschimpfen die Kassierer. Dabei können die Pächter auch nur zuschauen

Dem Anzugträger, der bei Shell am Schöneberger Ufer für 90 Euro seinen Phaeton voll tankt, ist der Benzinpreis egal. Es ist ein Dienstwagen – wie fast jedes Auto hier. Potsdamer Platz samt Daimler-Tiefgarage liegen schließlich um die Ecke. „Wir sind schon verwöhnt von den Firmenkunden“, sagt die Tankstellen-Chefin und fügt hinzu:„Bevölkerung haben wir hier nicht viel.“ Es klingt erleichtert, denn wenn der Liter Super 1,19 Euro kostet, wird die Auto fahrende Bevölkerung dünnhäutig. Davon kann die Kollegin bei Aral an der Schöneberger Yorckstraße ein garstig Lied singen: „Manche Leute beschimpfen uns, als würden wir uns das Geld in die eigene Tasche stecken.“ Denn kaum jemand weiß, dass die schlechten Nachrichten an den Preistafeln direkt aus den Konzernzentralen kommen. „Wir kriegen eine Info über unseren Rechner und dann klackert es ganz automatisch an der Anzeigetafel“, berichtet die Aral-Mitarbeiterin, die ihren Namen in diesen teuren Zeiten nicht in der Zeitung lesen will. Nachdem sie diese Zusage hat, ruft sie zur Revolution auf: „Die Leute müssten mal eine Woche lang ihre Autos stehen lassen. Dann wird man ja sehen, was passiert.“ Was dann passiert, weiß sie auch nicht genau, aber sie könnte sich vorstellen, dass die Konzernzentralen zumindest aufgeschreckt würden.

Mitbekommen würden sie es jedenfalls, denn die Pächter der Markentankstellen müssen sich zwei Mal täglich bei ihren Zentralen melden, um die Preise der Konkurrenz durchzugeben: Jeder schaut bei zwei, drei Tankstellen in der Umgebung. Wenn genug Zeit ist, fahren die Pächter hin, bei großem Andrang wird telefoniert. Momentan haben sie genug Zeit, denn es ist wenig los an den Säulen: Manche Kunden fahren, bis die Reservelampe leuchtet. Andere tanken immer nur für zehn Euro, damit wenigstens der gefühlte Spritpreis nicht steigt.

Eine Ausnahme ist die freie Fox-Tankstelle in der Kreuzbergstraße, die ihren Kraftstoff bei verschiedenen Händlern einkauft und einen Cent billiger ist als die Konkurrenz ringsum. „Dieser Cent führt dazu, dass wir bestürmt werden“, sagt Pächterin Petra Wentzel. „Je höher der Preis, desto sensibler die Kunden.“ Auch Beschimpfungen seien selten, zumal „der Pächter gemeinhin als armes Schwein gilt“. Die Preiserhöhungen gingen von den Großen aus; als freie Tankstelle prüfe man nur regelmäßig die aktuelle Differenz zu den Marken-Nachbarn.

Der Pächter der Total-Tankstelle in der Kolonnenstraße weiß zu berichten, dass „die Amis an den Preisen Schuld sind. Sie holen im Frühjahr alle ihre Vans raus“. So kämen die Raffinerien mit der Produktion nicht hinterher und müssten sich auf dem europäischen Markt bedienen. Die Preise macht aber auch hier die Konzernzentrale. Dann muss der Pächter los. Sein alter Polo erzählt, dass man sich mit einer Tankstelle keine goldene Nase verdient. Jetzt, wo sein Chef unterwegs ist, kümmert sich sein Azubi Marcel Hensel um die Kunden. „Viele nehmen’s locker“, sagt er. Den Ernst der Lage hat der 20-jährige Tankwart-Lehrling aber erkannt: Neulich haben sie in der Berufsschule ein Foto von 1993 gesehen. Da kam der Sprit auch auf einszwanzig. Aber damals waren es Mark, nicht Euro.

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