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Berlin: Wenn die Peitsche knallt in Mitte

Eine Tradition kehrt zurück: Es gibt wieder tägliche Kremserfahrten – nur ist der Kutscher heute Norweger

Acht Hufe klappern gemächlich über den Asphalt. Ein kurzes Wiehern – ein langes Schnauben. Der Kutscher setzt den Blinker, so viel Verkehrssicherungstechnik muss schon sein, dann hält der Planwagen direkt neben dem Berliner Dom am Lustgarten. Der Parkplatz ist exklusiv: Unter dem absoluten Halteverbotsschild steht der Hinweis „Kremser frei“.

Seit vergangenem Wochenende fahren die pferdebespannten Wagen wieder durch Berlins Mitte. Wieder, weil die Kremser eine Urberliner Erfindung sind. Die Ausflugskutsche ist nach dem Berliner Fuhrunternehmer Simon Kremser benannt, der 1825 seine ersten Personenwagen vor dem Brandenburger Tor aufstellte. Die „vielsitzigen Mietskutschen für Landpartien“, wie Meyers Konversations-Lexikon von 1888 den Kremser definiert, fahren nun nicht nur zu bierseligen Zwecken am „Vatertag“ durch Berlin. Zwar gibt es auch in anderen Bezirken gelegentliche Kremserfahrten, beispielsweise am Helmholtzplatz in Prenzlauer Berg. Tägliche Touren durch Berlins Mitte sind jedoch neu.

„Touristen sind unsere Hauptkunden“, erklärt der Kutscher Per Borgen. Borgen kommt aus Norwegen; er hatte zur Winterolympiade 1994 in Lillehammer die Fahrten der Sportler und Touristen organisiert. Skandinavisch wirkt der 44-Jährige allerdings nicht; mit seiner Peitsche und seiner Arbeitskleidung erinnert er an den Wilden Westen: weißes Hemd, grün-samtene Lederweste, Schlapphut mit Pferdebutton. Der Hut sei in Norwegen sehr wichtig, weil man damit andere Kutscherkollegen grüßen könne. Aus Norwegen hat er auch gleich die beiden PS seines Wagens importiert: Zwei so genannte Fjordpferde ziehen den Wagen, auf dem bis zu 16 Personen Platz finden. „Die Pferde des Nordens sind Hitze gewohnt“, meint Borgen. Schließlich sei es in norwegischen Tälern sehr warm.

Seit fünf Jahren ist Borgen in Deutschland. Zusammen mit Christel und Wilfried Sander hat er in der brandenburgischen Schorfheide vor drei Jahren ein Kremserunternehmen aufgebaut. „Wir haben uns gewundert, dass in Berlin, der Geburtsstadt des Kremsers, kein regelmäßiger Kutschbetrieb läuft“, sagt Christel Sander.

Tagsüber werden die Pferde aus der Schorfheide mit einem Hänger in Berlins Mitte gebracht; der Planwagen bleibt über Nacht bei einem Gastwirt an der Spree stehen. Denn jeden Tag fahren die Kremser: wochentags ab 12 Uhr, an Wochenenden und an Feiertagen schon ab 10 Uhr. Je nach Auftragslage fahren die Kremser bis 21 Uhr. „Wenn es dunkel wird, haben wir natürlich Standlicht“, sagt Borgen. Für Heu und Wasser steht ein Transporter bereit.

Auch für den Fall, dass das Pferd mal muss, ist gesorgt: Die angehende Tierpflegerin Antje Schramm begleitet die Fahrten und springt bei Bedarf vom Beifahrerbock, um die Pferdeäpfel mit einem schippeförmigen Spezialbehälter, dem Stallbollen, und einem kleinen Rechen aufzukehren. Anschließend kommt der Pferdemist in einen Eimer. Die kurzen Häufchenstopps der vegetarischen Vierbeiner machen den Kunden keinen Ärger. „Viele Fahrgäste ärgern sich, dass sie keine Tüte dabei haben, um den Mist als Dünger für ihre Balkonpflanzen zu benutzen“, sagt Antje Schramm. Pferdewindeln, wie bei den Fiakern in Wien, wolle man nicht anschaffen.

Die einstündige Tour kostet 6 Euro für Kinder und 10 Euro für Erwachsene; die halbstündige Tour kostet 5 Euro, ermäßigt 3 Euro. Startpunkt sind der Lustgarten und das Holocaust-Mahnmal. Weitere Informationen unter Telefon (0162) 1008643

Alexander Schäfer

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