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Berlin: Wenn die Zimmerpalme zittert

Anwohner in Berlins Nordosten protestierten gegen Zuglärm vor Häusern.

Das wichtigste Argument der Demonstranten gegen den Bahn-Lärm fehlte am Samstagvormittag: der Krach vorbeidonnernder Züge. Kein einziger Güterzug fuhr während der dreistündigen Kundgebung mit 300 Teilnehmern über die Bahnbrücke am S-Bahnhof Buch. Selbst die S-Bahn hatte dort den Betrieb eingestellt. „Das liegt aber nicht an der Demo, sondern an der Erkrankung von Fahrdienstleitern“, erklärte Bahnsprecher Burkhard Ahlert. „Wir können das Stellwerk nicht besetzen und müssen Busse einsetzen. Auch die Ruhe auf den Güterverkehrsgleisen haben wir nicht extra für die Demo organisiert.“ Wahrscheinlich seien „zufällig“ keine Züge unterwegs gewesen. Zwei Drittel der täglich 46 Güterzugpaare auf diesem Abschnitt führen ohnehin nachts.

Genau dies aber bringt Hunderte Anrainer der Strecke im Nordosten, zwischen Blankenburg, Karow, Buch und dem Panketal, um den Schlaf. Die Ein- und Zweifamilienhäuser stehen im Schnitt nur 25 bis 30 Meter neben den Gleisen. „Da fahren die Kesselwaggons direkt durchs Schlafzimmer“, erzählt Gabriele Teller, die mit ihrer Familie in einem 1899 von den Großeltern erbauten Haus in Buch lebt. Etwa vor zehn Jahren seien die Belastungen vor allem durch die vielen Kesselwaggons aus der Erdölraffinerie in Schwedt erheblich gestiegen. „Selbst Schallschutzfenster halten den Krach nicht ab. Unsere Palme im Wohnzimmer bewegt bei jeder Zugdurchfahrt ihre Blätter. So groß ist die Erschütterung.“

Die 61-jährige Bibliothekarin Ingrid Mehlhausen hatte sich vor 20 Jahren in Karow den Traum vom Eigenheim verwirklicht. Während des Hausbaus habe sie den Krach nicht wahrgenommen. Doch nach dem Einzug sei er nahezu unerträglich geworden. Inzwischen hatte sie zwei Krebsoperationen, leidet an Migräneattacken und Magenbeschwerden und ist zu 50 Prozent schwerbeschädigt. „Ich kann nicht beweisen, dass der nächtliche Lärm daran schuld ist“, sagt Ingrid Mehlhausen. „Aber meine Freundinnen, meine Geschwister und selbst meine 91-jährige Muter sind gesünder als ich. Sie wohnen alle nicht an der Bahn.“

So wie sie hat es in den letzten Monaten rund 80 weitere Betroffene in die „Bürgerinitiative Berlin Nord/Ost – Gesund leben an der Schiene“ getrieben. „Wir sind nicht gegen die Bahn und den umweltfreundlichen Transport“, erklärt Ralf Driesener vom Vorstand. „Aber wir haben ein Recht auf ungestörten Nachtschlaf und fordern leisere Züge, Schallschutzwände und eine Drosselung der Höchstgeschwindigkeit auf Tempo 60.“

Die Deutsche Bahn sieht sich auch in anderen Regionen mit Protesten konfrontiert. Am stärksten belastet sind die Anwohner der Strecken vom Eisenbahnknotenpunkt Seddin im Südwesten Berlins nach Frankfurt (Oder) und Cottbus. „Wir können schon aus städtebaulichen oder landschaftlichen Gründen nicht überall Schallschutzwände bauen“, sagt Helge Schreinert, Vorstand für Produktion. „Deshalb wollen wir die Züge selbst leiser machen, unter anderem durch neuartige Flüsterbremsen für glatte Räder. Von den 60 000 Güterwagen der Deutschen Bahn seien bis jetzt rund 7000 technisch umgerüstet worden, damit die Räder wirklich rund laufen.“ Bis 2020 sollen die Lärmemissionen gegenüber 2010 halbiert werden. Claus-Dieter Steyer

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