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Berlin: Wenn Eltern überfordert sind

Senator Peter Strieder erwartet mehr Anpassung – auch bei der Erziehung. Er hat Recht, sagen viele Ausländer

Von T. Loy und S. Gülfirat

Ahmed Abu-Aaid und sein Kumpel Ali el-Ali kennen Herrn Strieder nicht, aber sie haben Verständnis, wenn der Mann – wie war doch gleich der ? – also , wenn der Probleme hat mit einigen Kreuzberger Kindern. Diese Probleme haben Ahmed und Ali aus Palästina schließlich auch. Da gebe es schon welche, die nach 22 Uhr noch Lärm machen. Aber was soll man dagegen tun? Mal ernsthaft was sagen? Davon kann Ahmed nur abraten. „Dann kommen die Eltern und du kriegst was auf die Schnauze.“ Koch Ahmed kennt auch den Grund: „Die Leute haben keinen Kopf für die Kontrolle der Kinder: Die leben hier im Ausland und haben selbst Probleme.“

Auf dem Spielplatz an der Schöneberger Pallasstraße vor dem Haus Nummer sieben herrscht Hochbetrieb, gut und gern 40 Kinder toben hier herum. Eine Mutter schreit auf: „Lass das sein.“ Ein größerer Junge, etwa 10 Jahre alt, tritt gerade ihre dreijährige Nichte. „Ich würde nie mein Kind alleine lassen“, sagt Hatice Val (23), die außer auf ihre Nichte auch auf ihren zweieinhalbjährigen Sohn Yusuf aufpasst. Die gelernte Bürokauffrau, die einen langen schwarzen Mantel trägt und ihr rosa Kopftuch turbanähnlich am Hinterkopf verknotet hat, ist die einzige Erwachsene auf diesem Spielplatz. Kaum hat der Junge von der Kleinen gelassen, zielt ein anderer „Großer“ mit einem großen Steinklotz auf eine Taube. Auch er lässt nach Aufforderung den Stein fallen. „Die Kinder sind den ganzen Tag draußen“, schimpft Frau Val. Aber die Jungen und Mädchen, die noch in den späten Abendstunden draußen spielten, seien überwiegend arabische Kinder, selten Türken, ist sie sich sicher.

Auch der Spielplatz an der Schöneberger Apostel-Paulus-Straße ist voll, aber hier sind ebenso viele Erwachsene wie Kinder. Katharina Friedrichs kommt oft mit ihrem Sohn Oscar hierher. Die große blonde Frau fällt auf, weil sie türkisch spricht. Sie sei mehrmals in arabische Länder und in die Türkei gereist. Das Leben spiele sich dort im Sommer in den Abendstunden viel auf der Straße ab. Da blieben die Kinder eben lange mit den Erwachsenen wach. Es könne jedoch weder dort noch hier von Verwahrlosung der Kinder die Rede sein. „Die Kinder werden geliebt, betätschelt und umsorgt“, sagt sie. Doch sie sieht auch das Problem: „Die Erziehungsmethoden in diesen Ländern sind nicht kompatibel mit dem System hier.“

Görlitzer Park am Montag Nachmittag. Die Kreuzberger Multi-Kulti-Gesellschaft sortiert sich in äußerlich kompatible Kleingruppen und verteilt sich gleichmäßig aufs Grün. Vorne am Mittelweg kuschelt ein halb nacktes Pärchen, 30 Meter weiter trinkt eine Kopftuchdamenrunde ihren Tee, noch etwas weiter nippen zwei Punks an ihren Bierdosen, zwischendrin schieben drei Afrikanerinnen den Nachwuchs. Man kennt sich vom Sehen und geht sich aus dem Weg.

Hier flaniert gelegentlich auch Herr Strieder, SPD-Landeschef und Stadtentwicklungssenator, und macht sich Gedanken um Integration und die soziale Stadt. Da habe man früher Fehler gemacht, sagte Strieder kürzlich in dieser Zeitung. Zuviel Laisser-faire, zuwenig Ermahnung. Die Regeln des städtischen Zusammenlebens würden von „Menschen aus anderen Kulturen“ zu wenig beachtet. Türkische und arabische Kinder trifft er nachts auf der Straße, obwohl am nächsten Tag wieder Schule ist. Die Bedeutung von Bildung und Sprache würden Einwandererfamilien immer noch unterschätzen.

Kennen Sie Herrn Strieder? Zuleyha Kocyigit verneint stellvertretend für ihre Familie, die recht stoisch auf einem Grashügel sitzt. Nachdem sie über Identität und Anliegen des Herrn Strieder informiert ist, sagt sie: „Im Großen und Ganzen stimmt das.“ Die erste Generation der Türken habe ihre Kinder erzogen, als ob sie noch in der Türkei lebten. Die jüngeren Türken würden aber mehr Wert auf Bildung legen. Und auf Disziplin. „In den Köpfen hat sich viel verändert.“ Die älteste ihrer fünf Schwestern beschwere sich schon, dass ihr Sohn zu viele türkische Freunde habe und schlecht deutsch spreche. Zuleyha, 20 Jahre alt, erzählt dann von ihrer eigenen Schulzeit. Sie sei in einer „Ausländerklasse“ unterrichtet worden und habe sich seitdem als Außenseiterin gefühlt. „Mit Kopftuch muss man doppelt so gut sein wie die anderen.“ Als sie später im Chemieuntericht ihr Kopftuch abnehmen sollte, brach sie die Schule ab. Ein Fehler, wie sie heute weiß. Ihr habe einfach das Selbstbewusstsein gefehlt, um sich in der Schule durchzusetzen. Ihre kleinere Schwester werde es besser machen. Ihr Mutter, schwarz verschleiert, sitzt neben ihr und schweigt.

Kennen Sie Herrn Strieder? Die Picknick-Runde der Kopftuchträgerinnen muss passen. Aber seine Ansichten stimmen, sagt Sükran Akdag, Verkäuferin und Mutter von zwei Söhnen. „Es gibt oft Streit zwischen den türkischen und arabischen Kindern.“ Das kann Omer, 13, nur bestätigen. „Die arabischen Jungs sind zu frech. Die klauen und kiffen und verkaufen Haschisch.“ Auch Jungs in seinem Alter zögen mit denen herum. „Die Eltern können nichts machen.“ Omer hat viele türkische Freunde, ein paar deutsche („die sind ruhig“), aber keine arabischen. Mit seinen Freunden spielt er Fußball oder guckt fern. Abends geht er um 9 ins Bett, sagt er, spätestens um 10 Uhr. Morgens sei er dann fit für die Hauptschule. „Schwänzen will ich nicht.“ Omer will Ingenieur werden.

Sükran, 31, ist nie auf eine deutsche Schule gegangen. Das findet sie schade – wegen der Sprache. Dass auf der Schule ihrer Söhne fast nur Ausländerkinder sind, behagt ihr auch nicht. „Die deutschen Eltern sind sehr nett, aber warum schicken sie ihre Kinder nicht auf unsere Schule?“ Gerne würde sie woanders hinziehen, aber ihre Familie und die Freunde leben eben auch in Kreuzberg. Es ist nicht leicht, sagt Sükran. Dann erzählt sie von dem türkischen Dorf, aus dem sie kommt. „Dort waren Schafe, Kühe und Hühner. Erbsen und Reis wurde angebaut. Gearbeitet haben wir nur drei Monate im Sommer. Es gab kein Alkohol, keine Drogen. Hier müssen wir um alles kämpfen. Wegen der Arbeit. Wegen der Schule. Wegen der Drogen.“

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