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Berlin: „Wenn wir nicht radikal sparen, droht öffentliche Armut“

Berlins Finanzsenator über den dramatischen Geldmangel der Stadt

Von Thilo Sarrazin

Sparen im öffentlichen Bereich begeistert niemanden und ängstigt viele. Sicher, der Staat soll mit seinem Geld auskommen und die Bürger nicht mit hohen Abgaben plagen. Aber das kann doch nicht bedeuten, ernsthaft die Ausgaben für Zoos, Kitas, für Bildung und Wissenschaft, für Opern, für „Leuchttürme“ aller Art kürzen zu wollen! Wer Ausgaben kürzen will, der verbreitet einen Hauch von Wohnküche und Kohlsuppe. Er zeigt in den Augen vieler Phantasielosigkeit, Herzlosigkeit und einen bedauerlichen Mangel an dynamischem Denken.

Der abverlangte Verzicht, auf welchem Gebiet auch immer, wird meist von ganzem Herzen negativ empfunden und auch öffentlich gefühlsbetont diskutiert. Das „Polizeipferd-Syndrom“ gibt es auf allen Politikfeldern – in einer an die jeweilige Klientel angepassten Ausprägung. Selten verfängt der abstrakte Hinweis auf 45 Milliarden Euro Landesschulden, 2,3 Milliarden Euro Zinsausgaben und eine Neuverschuldung von über sechs Milliarden Euro (allein 2002) gegenüber den Bedrohungsängsten eines Sparvorschlags. Das Grundproblem der Landesfinanzen stößt noch immer auf ungläubiges Staunen: Selbst wenn durch ein Wunder sämtliche Schulden und Zinsausgaben verschwänden, hätte Berlin ein jährliches Kassenloch von 2,7 Milliarden Euro, weil wir diese Summe mehr ausgeben als einnehmen.

Berlin würde trotz Entschuldung in wenigen Jahren mit Zinseszinsen einen neuen riesigen Schuldenberg aufbauen, da wir einfach über unsere Verhältnisse leben. Auch eine Entschuldung rettet Berlin also nicht vor der Notwendigkeit, 2,7 Milliarden Euro jährlich einzusparen. Ohne ein darauf zielendes Sanierungsprogramm hätten wir weder beim Bund noch beim Bundesverfassungsgericht Chancen, mit einem Entschuldungsantrag durchzudringen. Die Notwendigkeit massiver Ausgabekürzungen bestreitet vor diesem Hintergrund zwar kaum noch jemand in der Stadt, aber zur konkreten Sparbereitschaft klafft durchweg eine riesige, kaum überwindbare Lücke.

Diese Lücke wird regelmäßig mit dem Argument verdeckt, dass „gerade hier“ Einschnitte „in dieser Größenordnung“ schädlich, unzulässig und moralisch unerträglich seien. Können wir denn nicht – so eine klammheimliche Hoffnung – einfach ein bisschen weitermachen wie bisher? Was solange gut ging, wird doch nicht morgen in die Katastrophe führen? Die Antwort: Natürlich können wir so weitermachen. Vorausgesetzt, wir nehmen in Kauf, dass die Schulden jährlich um fünf Milliarden Euro und die Zinsen jährlich um 250 Millionen Euro steigen. Zurückzahlen kann Berlin das sowieso alles nicht. Nur um den Anstieg der Zinsausgaben auszugleichen, müssten wir jährlich sieben Opern schließen, wir haben aber nur drei.

Also doch weitermachen, solange uns die Banken noch Geld geben? Ja die Banken – weshalb geben sie uns eigentlich noch Geld? Sie geben es nicht auf die Bonität Berlins. Sie geben es im Vertrauen darauf, dass wir im Finanzverbund letztlich Hilfe vom Bund und den anderen Ländern erfahren. Leider sind weder das Ob noch der Umfang dieser Hilfe verpflichtend festgelegt. Jahr für Jahr steigen sowohl die Überschuldung als auch – wegen der steigenden Zinslast – der Einsparbedarf Berlins dramatisch. Wegen unserer Haushaltsnotlage werden wir also den Bund um Schuldenhilfe bitten. Chancen auf Teilentschuldung und damit eine Senkung der Zinslast haben wir aber nur, wenn wir unsere Ausgaben radikal zusammenstreichen. Schließlich gibt Berlin pro Kopf der Bevölkerung 50 Prozent mehr als westdeutsche Flächenländer und 20 Prozent mehr als der reiche Stadtstaat Hamburg aus.

Wenn wir jetzt nicht radikal sparen, legen wir den Grund für dauerhafte öffentlich Armut in Berlin, denn der Bund wird uns allenfalls für den unverschuldeten Teil unserer Notlage helfen. Nicht aber für die Finanzierung von Mehrausstattungen und selbstverschuldeten Altlasten, die sich der Rest der Republik nicht leisten kann oder will. Wenn wir so weitermachen, steigen unsere Zinsausgaben allein in den nächsten vier Jahren um eine weitere Milliarde Euro. Das ist der Gegenwert von drei Universitäten oder 25 000 Lehrerstellen oder 27 Opern oder 117 Tierparks. Je länger wir warten, umso mehr öffentliche Leistungen müssen wir schließlich zusammenstreichen. Dies kann niemand wirklich wollen. Deshalb sollten wir rechtzeitig handeln, um die Lebensfähigkeit unseres Gemeinwesens zu erhalten.

Der Autor ist seit Januar 2002 Finanzsenator in Berlin.

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