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Berlin: Wer Arnie das Schwitzen lehrte

Poldi Merc eröffnete in Charlottenburg das erste Bodybuildingzentrum Deutschlands. 1964 wurde er Mister Universum – noch vor Schwarzenegger. Morgen wird er 70.

Von Deike Diening

Sollte Ihnen irgendwann einmal ein enorm höflicher, nicht sehr großer Mann begegnen, der in der U-Bahn lateinische Zitate liest, dann könnte es Mr. Universum sein. Der erste deutschsprachige von 1964 jedenfalls, der sich immer an den Ratschlag seiner Mutter hielt, keinen Alkohol zu trinken. Und sich deshalb noch heute an alles erinnert.

„Buben, esst nicht so viele Eier. Ihr mutiert mir sonst.“ Der das sagte, ganz am Anfang, war Monsignore Josef Schnitt, Geheimkämmerer des Papstes und Rektor der Wiener Sängerknaben. Der Bub aus Graz in seinem Chor hieß Poldi Merc, sang den Sopran in Mozarts Requiem, sang Bruckners F-Moll- Messe und reiste in Lackschuhen um die Welt. Doch irgendwann war auch er durch den Stimmbruch, aß wieder Eier, und studierte zum Dolmetscher.

Und weil es die Fünfziger waren und die Amerikaner noch in Graz, und weil ein Student einen Job braucht, arbeitete er bei den Amerikanern auf der Kegelbahn. Eines Tages betrat er den Hantelraum, nahm die erste Hantel, und es war um ihn geschehen: Es war tatsächlich möglich, Muskeln einzeln zu formen, unabhängig voneinander, und dann alle zusammen in einen ästhetischen Zusammenhang zu bringen. Heraus kam ein ästhetischer Entwurf, für den Wettbewerbe einzugehen, keine Schande war.

Bodybuilding. Merc war fasziniert. So verstanden hatte Bodybuilding sehr viel mit Präzision, mit Gestaltungswillen und Virtuosität zu tun. Eigenschaften, die Merc schon am Geist sehr schätzte. Und Merc musste fortan übersetzen und der Wiener Militärpolizei erklären, dass man beim „Bankdrücken“ nicht etwa eine Bank drückte. Als ein Grazer Freund anrief, der in Berlin sein Glück als Schauspieler versuchte – er vermisse das Training so sehr... Ob er nicht... Berlin sei schön... – da packte Merc die Koffer, eröffnete in Charlottenburg das erste Bodybuildingstudio Deutschlands und sah keinen Grund, so bald wieder wegzugehen. Schließlich wussten auch die Berliner noch nichts vom Bankdrücken.

Und eines Tages schnitt dieser Poldi Merc im Mitgliedsmagazin der britischen Bodybuildervereinigung einen Coupon aus, füllte ihn aus, schickte ihn ab und bewarb sich damit als Mr. Universum. Noch bevor er einen offiziellen Titel bekam, war er intern längst „Most Intelligent Bodybuilder", weil er mit seinem Dolmetscherstudium übersetzen konnte, von Muskelmann zu Muskelmann. 1964 wurde er Mister Universum, der Erdölmilliardär Paul Getty („Wer sein Geld noch zählen kann, ist nicht wirklich reich“) überreichte den Preis. „1965 kam in Italien ein Kalender heraus, da war ich der Novemberbodybuilder.“ Merc lacht und freut sich und steht gleichzeitig drüber.

Aber als er so euphorisch den Preis entgegennahm, da konnte er noch nicht wissen, dass nach ihm „die Anabolikageneration“ kommen sollte. Von Anabolika wusste man Mitte der Sechziger, dass sie den Aminosäureeinbau im Eiweißmolekül fördern, als Sportlermittel wurden sie gerade erst bekannt, und über die Nebenwirkungen war man sich uneins. „Meine Kunden standen bei mir im Studio und wollten wissen, ob sie das nehmen können.“ Merc konnte noch nichts sagen. Nicht ernsthaft. Drei Monate schluckte er also selbst die geringste Dosis in einer Pille: „Es war unglaublich, alles blühte auf und wuchs.“ Dann setzte er das Mittel ab. Bei gleichem Training, dachte er, müsse sich der Zustand halten lassen. „Aber alles fiel so schnell wieder in sich zusammen, wie es gekommen war.“ Da wusste er, es war ein Teufelszeug.

In den sechziger, siebziger und achtziger Jahren gingen alle Leute, die irgendwas mit Körperarbeit zu tun hatten, in seinem Charlottenburger Studio bei dem Pionier ein und aus. 35 000 bis 40 000 Leute müssen das gewesen sein, hat er einmal ausgerechnet.

Arnold Schwarzenegger, sein Landsmann und Titelnachfolger, war darunter. Und Artur Brauner soll heute noch Mercs Stockübungen machen. Das Bodybuilding heute entspricht nicht mehr seinem Verständnis von Körperarbeit. „Das Schlimme ist ja auch diese Einseitigkeit“, sagt Merc. „Die Leute leben richtig einfältig dahin. Deshalb werden sie so abhängig.“ Und sobald die Muskeln einfallen, fällt den Leuten nicht mehr ein, was sie sonst noch machen können im Leben, „dabei kann man beim Älterwerden so eine Riesenmuskulatur ohnehin nicht mehr gebrauchen. Hier“, Merc zieht ein Büchlein aus der rechten Jacketttasche. Lateinische Zitate. Hat er immer dabei, denn er weiß mit Heine: Ein paar grundgescheite Zitate zieren den ganzen Mann. „Da habe ich was zu lesen und habe auch in der U-Bahn keinen Ausfall an Fortbildung.“ Wenn ihm die langweilig werden, greift er in die linke Jackentasche. Dort trägt er gewöhnlich das Russischlexikon. Russisch ist eine der vier Sprachen, die er sich selbst beigebracht hat, mit dem Furor des Autodidakten. War eigentlich auch ganz einfach, jedenfalls wenn man über das Neugriechische kommt. Das wiederum könne man über Altgriechisch gut lernen.

Man kann sicher sein, auch wenn Merc niemals Mr. Universum geworden wäre, so wäre er immer noch ein unglaublicher Mann. Wo man auch guckt, Merc zaubert noch was aus dem Hut. Merc schlägt seinen sehr dünnen, sehr kleinen Terminkalender auf. Nichts, das nicht drinstünde, im Gegenteil. Ist nur alles in Steno.

„Das Stenographieren wurde ja zunächst nicht erfunden, um Zeit zu sparen, sondern um Papier zu sparen. Die Papyrusrollen waren im alten Ägypten kostbar.“ Für Merc gab es eine Zeit, nach den Sängerknaben in Graz, da hatte er Parlamentsstenograph werden wollen. Er machte also zunächst die Beamtenprüfung und vergaß die Verkehrs-, die verkürzte Verkehrs-, die Eilschrift und die Reden- und Debattenschrift bis heute nicht. Alles Private schreibt er in Steno. „Der Sprache so einen Abstraktionsgrad hinzuzufügen, jedes Wort einzeln so hin und her übersetzen, das trainiert.“ Merc klingt so unermüdlich, dass einem angst und bange werden kann. Er lernt auch immer mal wieder auswendig, was ihm von der Weltliteratur behaltenswert erscheint. Merc hilft einem aus dem Mantel. Merc ist der welthöflichste Mr. Universum.

Nun darf man allerdings nicht glauben, Merc habe sich allein dem Geistigen verschrieben. Von der Idee des körperlichen Trainings hat er nie gelassen. Ganz im Stillen hat er seine Kunst weiterentwickelt und eine eigene „Partnerwiderstandsmassage“ entwickelt. Da besucht er als „wandelndes Fitnessgerät“ heute seine paar Kunden, die zugleich seine Freunde sind. Sie bewegen einzelne Muskeln – und er hält dagegen. Eine 89-jährige Frau, der man das Turnen nicht mehr zumuten kann, arbeitet auf diese Weise allein im Sitzen ihren ganzen Körper einmal durch. „Und noch etwas“, Merc kommt mit seinem Gesicht sehr nah heran, „die Gesichtsmuskelmassage.“ Die Gesichtsmuskeln, die irgendwann im Alter erschlaffen, die sind nämlich nicht durch Sehnen oder Bänder gehalten, und müssen also einzeln gegen den Widerstand der eigenen Finger trainiert werden: der Lachmuskel, der Trompetenmuskel, der Oberlippenheber und -senker. Merc selbst macht das in unbeobachteten Momenten. Eine elastische Mimik ist der Dank. Merc ist es immer darum gegangen, Menschen Glücksmomente zu schaffen. Bodybuilding ist jetzt Wellness. Und Merc wird am Montag siebzig.

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