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Lieblinge der Architekten. Bürogebäude prägen das Gesicht vieler Städte – wie neuerdings das „Cube Berlin“ am Berliner Hauptbahnhof. Aber werden sie wirklich gebraucht?

© Stefan Weger

Wie die Pandemie das dezentrale Arbeiten voranbringt: In der Coronakrise bewähren sich neue Formen der Arbeit in Berlin

In der Coronakrise stellen einige Firmen fest: Es geht auch ganz gut ohne eigenes Bürohaus. Wie und wo werden wir nach der Coronakrise arbeiten?

In den Tagen der Coronakrise entdecken Millionen Arbeitnehmer und ihre Vorgesetzten das Homeoffice – notgedrungen, versteht sich. Was macht diese neue Erfahrung mit dem Arbeitsleben und stehen bald Berlins Bürogebäude leer?

Sie könne sich zwei konträre Szenarien vorstellen, sagt Teresa Bauer. Die 30-Jährige berät mit ihrer Firma GetRemote.de seit zwei Jahren Unternehmen, die ihre Arbeitsstrukturen flexibler gestalten wollen.

„Unsere Art zu arbeiten hat sich schon längst geändert. Einige Unternehmen erwachen jetzt aus dem Winterschlaf und kümmern sich proaktiv darum, mit ihren Mitarbeitern und Führungskräften eine gute Homeoffice-Lösung zu gestalten.

Diese werden durch die Krise merken, wie gut es doch funktioniert und künftig auch weiter flexible Arbeitsplätze anbieten.“ 

Einige Unternehmen unterschätzen die Dringlichkeit 

Andere Unternehmen unterschätzten die Dringlichkeit, sich für diesen Prozess bewusst Zeit zu nehmen. Durch die daraus resultierende schlechte Erfahrung mit dem Homeoffice würden sie sich auch in Zukunft nicht trauen, neue Wege zu gehen.

Großes Büro und dicker Firmenwagen ziehen nicht mehr

Allerdings werden es letztere in Zukunft schwer haben, Fachkräfte gewinnen zu können, warnt die Homeoffice-Expertin.

Gerade junge Leute gewinne man heute nicht mehr mit einem großen Büro und einem dicken Firmenwagen.

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Die Währung auf dem Arbeitsmarkt sei längst Freiheit und Selbstbestimmung, sagt Bauer. Der Büroflächenmarkt hat sich in den vergangenen zwei Jahren durch exponentielles Wachstum ausgezeichnet – ein Nachfragestopp war bisher nicht zu erwarten. Im Gegenteil.

Teresa Bauer, Inhaberin und Geschäftsführerin von GetRemote, berät Unternehmen, die ihre Arbeitsstrukturen flexibler gestalten wollen.
Teresa Bauer, Inhaberin und Geschäftsführerin von GetRemote, berät Unternehmen, die ihre Arbeitsstrukturen flexibler gestalten wollen.

© GetRemote.de

Aus dem von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung im April 2019 veröffentlichten Stadtentwicklungsplan Wirtschaft 2030 geht hervor: Rund 34 Hektar und damit 15 Prozent der Gesamtgewerbefläche der Stadt werden schon als Büros genutzt, in denen etwa 770.000 Beschäftigte arbeiten.

[Aktuelle Entwicklungen der Coronavirus-Pandemie können Sie hier im Newsblog verfolgen.]

Die Senatsverwaltung rechnet mit einem Anstieg der Bürobeschäftigung zwischen 120.000 bis 175.000 Menschen bis zum Jahr 2030 und damit auch mit einem zusätzlichen Flächenbedarf in der Größenordnung von drei bis fünf Millionen Quadratmetern.

Corona wird den Immobilienmarkt beeinflussen

Corona wird diese Pläne aber durcheinanderbringen schätzt Karsten Jungk, Geschäftsführer und Partner des Immobilienberaters Wüest Partner Deutschland. 

„Die Corona-Pandemie wird sich am Berliner Immobilienmarkt kurzfristig mit einer rückläufigen Nachfrage nach Büroflächen im Allgemeinen und einem Einbruch der Nachfrage nach Coworking-Services bemerkbar machen.“

Büromieten werden stagnieren oder sogar sinken

Entgegen der dynamischen Marktentwicklung der vergangenen Jahre und angesichts der noch im Bau befindlichen Flächen werden Büromieten mittelfristig voraussichtlich stagnieren oder auch wieder sinken. 

Insbesondere nicht zeitgemäße Bestände in B-Lagen werden sinkende Mieteinnahmen aus rückläufigen Mieten und wieder steigenden Leerständen verzeichnen. 

Ob sich diese Entwicklung auch für moderne Büroimmobilien in zentralen Lagen zeigen wird, müsse man abwarten.

Gerade moderne Unternehmen benötigen weniger Fläche

Es hängt vor allem vom grundlegenden Einfluss der Pandemie auf die Wirtschaft ab. Absehbar sei aber, „der Coronavirus wirkt auf dem Büroflächenmarkt wie ein Katalysator für Umwandlungsprozesse, die sich bereits seit einigen Jahren in einem eher langsamen Tempo vollziehen.“ 

Gerade junge, moderne Unternehmen, wo die Nachfrage nach Flächen sehr hoch ist, würden somit künftig weniger Büroflächen benötigen.

[Das Coronavirus in Berlin: Jeden Morgen ab 6 Uhr berichten Chefredakteur Lorenz Maroldt und sein Team im Tagesspiegel-Newsletter Checkpoint über die aktuellsten Entwicklungen. Kostenlos und kompakt: checkpoint.tagesspiegel.de]

In Sachen „ortsunabhängiges Arbeiten“ seien die deutschen Unternehmen insgesamt sehr unterschiedlich aufgestellt, sagt Daniel Fürstenau, Professor an der Freien Universität für Informationssysteme und digitale Transformation. 

„Viele Unternehmen bieten bereits heute im Standard eine Remote-Meeting und Videoconferencing-Lösung an, die auch bei der Kommunikation mit Externen und Kunden funktioniert. Andere tun das nicht. Die müssen jetzt sehr schnell nachziehen“.

Das Homeoffice scheitert bisher an Kleinigkeiten

Gerade in größeren Unternehmen sei es oft ein Problem, dass mehrere Kanäle miteinander konkurrieren, sagt Fürstenau. 

„Dann scheitert das Homeoffice an Kleinigkeiten: etwa, dass Dokumente nicht kompatibel sind oder nur intern geteilt werden können. Das ist typisch, wenn Lösungen nicht zu Ende gedacht sind.“ 

Aber auch schon bei der klassischen Büropräsenz gebe es Einsparpotenzial. Schließlich brauche nicht jeder Mitarbeiter sein eigenes Büro. „Wir experimentieren im Einstein Zentrum digitale Zukunft deshalb schon lange mit modernen Arbeitskonzepten wie Shared Spaces oder Co-Working“, erklärt Fürstenau.

Ideenlegebatterie: Viele Unternehmen lösen seit Jahren ihre kleinen Räume auf, um Großraumbüros einzurichten. Das bietet betriebswirtschaftlich Vorteile. Aber einige Mitarbeiter arbeiten unter diesen Bedingungen deutlich weniger produktiv.
Ideenlegebatterie: Viele Unternehmen lösen seit Jahren ihre kleinen Räume auf, um Großraumbüros einzurichten. Das bietet betriebswirtschaftlich Vorteile. Aber einige Mitarbeiter arbeiten unter diesen Bedingungen deutlich weniger produktiv.

© imago/Westend61

Letztendlich gehe es aber darum, mehr Begegnungsflächen anzubieten – virtuell, aber auch weiterhin in der realen Welt. Face-to-Face, Kontakt- und Begegnungszonen seien die notwendigen Orte, um gemeinsame Vorhaben zu identifizieren.

Dass man auf den persönlichen Kontakt nicht verzichten sollte, weiß auch Unternehmer Christoph Hübner. Der 37-jährige Schwabe und Ex-Berliner arbeitet – wie auch seine sieben Angestellten – seit Jahren ortsunabhängig.

Das Team ist über den ganzen Globus verteilt und 24/7 erreichbar

Seine digitalen Mitstreiter und er beraten über die Website kinder-privat-versichern.de zu Kinderkrankenversicherungen.

Gerade in diesen Tagen sei die Nachfrage und das Gesprächsbedürfnis der Kunden besonders hoch. Da das Team über den ganzen Globus verteilt ist, kann die Firma jetzt mühelos eine 24/7-Erreichbarkeit anbieten.

Einmal wöchentlich gibt es eine Videokonferenz

Nur dreimal im Jahr kommen alle an einem anderen Ort in Europa zusammen, um sich eine Woche lang persönlich auszutauschen. 

Einmal wöchentlich gibt es eine Videokonferenz mit allen, in der aktuelle Dinge besprochen werden. „Unsere beiden Neuzugänge habe ich bis jetzt nicht persönlich getroffen, ich kenne sie nur aus dem digitalen Vorstellungsgespräch“, sagt Hübner. 

Aber die Zusammenarbeit funktioniere seit Anfang des Jahres reibungslos und ohnehin habe er damit noch nie schlechte Erfahrungen gemacht.

Christoph Hübner, Gründer und Geschäftsführer des Portals kinder-privat-versichern.de, im März 2020. Er ist während der Coronakrise im Sultanat Oman gestrandet. Für ihn kein Problem: Er trifft seine Kollegen eh nur ein mal im Jahr.
Christoph Hübner, Gründer und Geschäftsführer des Portals kinder-privat-versichern.de, im März 2020. Er ist während der Coronakrise im Sultanat Oman gestrandet. Für ihn kein Problem: Er trifft seine Kollegen eh nur ein mal im Jahr.

© Privat

Ganz unabhängig ist aber auch er momentan nicht. Wegen der aktuellen Reiseeinschränkungen sitzt er – der eigentlich ständig auf der Durchreise ist – seit zwei Wochen im Sultanat Oman, genauer in der Hauptstadt Maskat fest. 

„Es könnte keinen schöneren Ort geben, um diese Situation durchzustehen“, sagt Hübner guter Dinge via Videochat. Dabei war für Sonntag ursprünglich die Weiterreise über Istanbul nach Zypern zum Teammeeting eingeplant.

Erfolg ist eine Frage der Selbstorganisation

Auf Zeiterfassung verzichtet seine Firma, denn Ergebnisse zählen mehr als Anwesenheit. Ein weiterer Vorteil des Homeoffices sei, sagt Hübner: „Im Büro wird noch viel daran gemessen, wer zuerst kommt und wer zuletzt geht. Im Homeoffice dagegen zählt allein die Leistung.“

Letztlich sei der Erfolg dann eine Frage der Selbstorganisation.

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