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Berlin: Wer hat’s erfunden?

FEINKOSTTEST Schon klar, Knäckebrot kommt aus Schweden. Aber die Schweizer können es auch.

Es sind ja gar nicht so wenige Lebensmittel, denen die Zeichen der Entbehrung anhaften. Doch kaum eins gleicht einer Hungerharke so sehr wie das Knäckebrot. Und weil Entbehrung in der westlichen Welt heute Diät heißt, gehört es längst schon fest zum Programm der Verschlankung. Man könnte es gar als Skelett unter den Werken der Bäckerinnung bezeichnen – und so kommt es schließlich darauf an, was auf die Rippen kommt. Nicht das Gebäck selbst, sondern wie es gegessen wird, dürfte das Problem sein.

Diese ungeschützte Art macht es erst recht zu einer Angelegenheit der Feinschmecker. Wenn man in ihren Kreisen die Rede auf Knäcke bringt, wird man erstaunt feststellen, wie viele Vorlieben und Geschmacksprofile man geschildert bekommt. Die monatliche Testrunde ging dieser Sache gerne auf den Grund und suchte sich diesmal einen Testort aus, der nicht auf der Hand lag. Denn sowohl in der Heimat von Bini Lee als auch der von José Morillo gehört Knäckebrot nicht zum Alltag. Diese Haltung sollte für die Verkostung fruchtbar gemacht werden: Der Gaumen des Fremden bewertet das Vertraute mitunter neu.

Die junge Opernsängerin aus Seoul und der in der Topgastronomie geschulte Koch aus Cádiz haben sich vor über einem Jahr zusammengetan, um das „Kochu Karu“ zu gründen. In den Räumen am Rande des Mauerparks entstehen seither koreanisch-spanische Inspirationsgerichte, die mit Fusion nur oberflächlich etikettiert wären. In diesem Rahmen bildete das „Wasa Mjölk Bröd“ lediglich eine Besonderheit unter vielen. Paris-Moskau-Restaurateur Wolfram Ritschl kam das dünne, fahlweiße Brot vor wie „mehlbestäubte Raufaser“, doch der besonnene Morillo verwies sogleich auf die leichte und milde Struktur mit einer Restsüße, die von Molke- oder Joghurtpulver herrühren könne. Er vermutete zudem eine warme Teigführung, bei der sich kaum Säure bilde, ein Effekt, der durch wenig Salz noch gestützt wird. Beim Wasa „Sesam“, dem wohl besten Erzeugnis des schwedischen Traditionshauses, kommt diese wohl abgerundete aromatische Geschlossenheit förmlich zu sich selbst.

„Burger Delikatesse“ ist ein vor allem im Osten verbreiteter Konkurrent von Everybody’s Darling. Hier verstecke sich, so der Koch, eine unmotivierte Süße hinter kräftiger Salzzugabe sowie dem Eindruck von Säure. Als ähnlich unattraktiv empfand Anne Seubert, Gründerin des Internetportals Kekstester, das „Alnatura Knäcke-Brot Delikatess“. Die Krümelkünstlerin nahm wenig wahr von dem, was sich als aromatische Kontur bezeichnen ließe, und entdeckte trotzdem noch feine, fast verwischte Fußspuren von Anis beziehungsweise Fenchel.

„Demeter Naturata Vollkorn-Knäckebrot Delikatess“ schien das Krümelige mit dem Schleimigen vereinen zu wollen – jedenfalls wirkte es nach kurzem Kauen auch noch etwas muffig, obwohl die Haltbarkeitsgrenze wie ein Meridian erst durch den Juli lief. „Wenn man die Augen schließt, weiß man nicht, ob man Papier oder Brot riecht“, bemerkte Bini Lee trocken. Sie hätte dasselbe auch zu „Linea natura“ und noch mehr zu „Schär gluten-free Knäckebröd + Fibre“ sagen können: Diese Sorten stehen für die Idee eines aus Roggen fast mehr getrockneten als gebackenen Dauerbrots. Bei Schär besticht obendrein eine ermunternde Künstlichkeit, die in ihren medizinalen Noten in Richtung Buchweizen weist. Eine lange Ballaststoffliste, süße Aromapassagen sowie Palmöl deuten auf eine Art Honigbrot auf Abwegen.

Demgegenüber erschien das kompakte, aber aussagelose „Allos Hällbröd“ im CD-Format wie ein Muster der Bestreichbarkeit, das auch bei kalter Butter kaum bricht. Freunde der an Würze kaum zu übertreffenden Hefeaufstriche Marmite, Cenovis und Vitam-R werden es zu schätzen wissen. „Trader Joe’s Classic“ von Aldi mit tiefer Kraterstruktur auf der Oberseite dagegen erinnerte mit soliden Röstnoten daran, dass Knäcke vom Krustenbrot abstammt.

Wie Pfeffernüsse auf Feindfahrt kam der Runde Rossmanns kompakt-hartes und schweres „Ener Bio Classic 3 Saaten“ vor. Es ginge an als Wegzehr des Luxus-Asketen, wenn nicht für José Morillos Geschmack etwas zu viel Salz hineingeraten wäre.

Der Knäckebrot-Hersteller muss etwas treffen, das vielen Anforderungen in einem Moment zu genügen hat: Es muss knacken, ohne zu splittern, es muss splittern, ohne zu krümeln, es muss krümeln, ohne zu mehligem Grus zu zerfallen. Zugleich sollen sich aromatische Komponenten lösen, die vom Backen herrühren, und eine gewisse Süße sollte sich in der Mundhöhle entfalten. Die überwiegend mithilfe eines Extruders hergestellten Massenerzeugnisse kommen den Anforderungen nicht so leicht nach wie das knackige, unpappige „Ikea Flerkorn Knäckebröd“, das zusammen mit dem etwas oblatenhaften „Polarbröd Knäcke Runda Original“ auf Platz drei kam. „Textur super, crispy, richtig trocken und knackig“, hieß die Bilanz von Bibi Lee. Sie galt für beide.

Im schweizerischen Kauflädchen Chuchichäschtli wird ein Knäckebrot angeboten, das den nicht eben geringen Erwartungen der Schweizer an Lebensmittel entspricht, und das mehr Plätzchen als Brotkante zu sein scheint. Doch der Anblick trügt: „Original Dar Vida Nature“ gehört zu den positiven Ausnahmen des Genres – auch, weil die Balance zwischen gebacken und getrocknet perfekt getroffen wurde. „Nicht staubig, relativ kompakt, das Getreide kommt sauber rüber“, attestierte Anne Seubert.

Der Testsieger ähnelt Dar Vida in so gut wie nichts. „Vika Ett klassikt knäckebröd“, gekauft im Schweden-Markt, ist kreisrund und weist einen unterarmlangen Durchmesser auf. Geschmacklich erinnert es sofort an offenes Feuer – zuvor schon an vielen angebrannten Stellen zu erkennen – und an die Kruste von Bauernbrot mit ihrer Skala von Röstnoten.

Im direkten Vergleich mit dem im selben Format produzierten, doch langweiligen „Leksands“ zeigt sich, wie rustikal und geradeheraus ein Knäckebrot sein kann. Nur in der Diät geht das den Bach hinunter. Denn die bleibt eine munter murmelnde Quelle der Unaufrichtigkeit.

Chuchichäschtli, Wilmersdorf, Holsteinische Straße 19. Schweden-Markt, Friedenau, Dickhardtstr. 60. Kochu Karu, Prenzlauer Berg, Eberswalder Straße 35

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