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Wer hilft wem: Die Frau, die den Senat alt aussehen lässt

Käte Tresenreuter gründete vor 40 Jahren das Sozialwerk Berlin - und leitet bis heute den Trägerverein des einzigartigen Altenselbsthilfe- und Beratungszentrums.

Zwei Abzeichen blitzen auf ihrer linken Brusttasche: Rot-gold-blau das Bundesverdienstkreuz, rot-weiß der Berliner Verdienstorden. Käte Tresenreuter ist stolz auf das, was sie erreicht hat. Im Arbeitszimmer der 87-Jährigen hängen Bilder von ihr mit Walter Scheel, Roman Herzog und Klaus Wowereit. Sie alle haben die zierliche Dame geehrt. Für ihr ehrenamtliches Engagement, für ihren Einsatz für ältere Menschen, für ihre wegweisenden Projekte. Vor kurzem feierte das von ihr gegründete „Sozialwerk Berlin“ 40-jähriges Jubiläum. Das war die erste Bürgerinitiative dieser Art in Berlin. Noch immer leitet Tresenreuter den Verein, der das bundesweit einzigartige Altenselbsthilfe- und Beratungszentrum in Grunewald aufgebaut hat. „Ältere Menschen helfen anderen älteren Menschen“ lautet das Motto. Mittlerweile haben weit mehr als eine Million Menschen das „Humboldtschlösschen“ besucht.

Angefangen hatte alles vor 45 Jahren in einem sterilen Krankenhaus-Mehrbettzimmer. „Als ich einige Wochen dort verbringen musste, habe ich gespürt, wie einsam die älteren Patienten sind“, erinnert sich Tresenreuter. Sie sitzt auf ihrer beigefarbenen Couch und hat die Hände im Schoß gefaltet – die Ruhe ist selten. Das Zimmer ist wie sie, ordentlich, gepflegt, es wirkt hell und freundlich. Schreibtisch, Schrankwand, Tischdecke, Gardinen, alles in Weiß. Die geblümte Stofftapete an der Wand ist imprägniert und glänzt, eine Uhr tickt leise.

Nach ihrem Krankenhausaufenthalt hat Tresenreuter in der Kirchengemeinde einen Seniorenclub aufgemacht. Als ihr das Engagement in der Gemeinde nicht mehr ausreichte, gründete sie 1971 einen Verein: das Sozialwerk Berlin. „Ich wollte einen Besuchsdienst in Alten- und Pflegeheimen aufziehen.“ Zur ersten Mitgliederversammlung traf man sich im Wohnzimmer von ihr und ihrem Ehemann Harry Tresenreuter. „Ich fand es gut, dass meine Frau etwas Eigenes aufbauen wollte“, erzählt er. Der 88-Jährige ist groß gewachsen und sieht in seinem marineblauen Jackett mit rot-blau-weiß gestreiftem Schlips aus wie ein Manager.

Der Verein organisierte Dampferfahrten, Musiknachmittage und eine Beratungsstelle für ältere Menschen. Doch je größer der Besuchsdienst wurde, desto mehr Probleme gab es damals in der Ehe. „Sie hatte ständig neue Ideen, wollte immer mehr“, sagt Harry Tresenreuter über seine Frau. Schließlich musste er sich entscheiden. „Entweder mitmachen oder trennen“, sagt er mit einem Augenzwinkern. Bereut hat er seine Entscheidung nie. Als Regierungsdirektor in der Steuerverwaltung kannte er sich mit Finanzen aus und wachte über die Ausgaben des Sozialwerks. Der Verein brachte Projekte wie die erste Koordinierungsstelle für ambulante Rehabilitation auf den Weg. Das Modell wurde später von allen Bezirken in Form von Pflegestützpunkten übernommen.

Mit einer Begegnungsstätte für Ältere wollte Tresenreuter beweisen, „was ältere Menschen alles leisten können“, sagt sie. Über Monate hinweg suchte das Sozialwerk Berlin ein Grundstück, versuchte, finanzielle Mittel aufzutreiben und wandte sich immer wieder an die Politik. Käte Tresenreuter findet immer einen Weg zum Ziel. „Ich bin hartnäckig, aber höflich. Im Senat wurde über mich gesagt: ‚Versuchen Sie, einigermaßen mit dieser Frau klarzukommen, sonst haben Sie keine Ruhe‘.“ Drei Kinder lernten bei ihr, wie man sich durchsetzt.

Im Dezember 1983 war es so weit: Das „Humboldtschlösschen“ öffnete: Das erste und einzige Altenselbsthilfe- und Beratungszentrum in Deutschland, das von älteren Menschen geplant, mitfinanziert und gebaut wurde. Viele Städte haben es ihr nachgemacht. Selbst ein Brandanschlag 1999 stoppte Tresenreuters Engagement nicht. Der Schaden betrug zwei Millionen Euro. In sechs Monaten richtete das Sozialwerk Berlin die Räume wieder her. Das Haus ist täglich geöffnet und bietet 20 Interessenkreise – alle ehrenamtlich geleitet – wie Yoga, Gedächtnistraining, Basteln, Handarbeiten und Kartenspielen. „Täglich kommen rund 100 Besucher“, sagt Tresenreuter.

Der große Festsaal mit Dutzenden Tischen und Stühlen für bis zu 180 Menschen ist bei Feiern und kulturellen Veranstaltungen wie Konzerten voll. Einen Gang weiter in der Großraumküche brodeln riesige Töpfe. Täglich wird Mittag gekocht. Tresenreuter stellt jeden vor: Christa Fischer, 86, Schatzmeisterin, Jean Mangers, 75, für Öffentlichkeitsarbeit zuständig, Adrienne Pickert, 92, Dame für alles. „Bei uns engagieren sich über 200 Menschen. Ohne die geht gar nichts.“ Der Älteste ist 95. „60-Jährige gelten bei uns als jugendlich.“

In puncto Selbsthilfe habe sich in den vergangenen Jahrzehnten einiges geändert. „Als wir angefangen haben, kannte dieses Wort noch niemand.“ Doch mittlerweile hätten ältere Menschen ein anderes Selbstwertgefühl. „Sie sind selbstbewusster, wollen über sich selbst bestimmen und vor allem leben“, sagt Tresenreuter. Deshalb ärgert sie es, wenn von „den Alten“ die Rede ist.

Im Untergeschoss zeigt Harry Tresenreuter die hauseigene Kegelbahn und eine Bar aus Holz, auch ein Malkreis trifft sich. Im Handarbeitsraum liegen bunte Stoffe, in Vitrinen sind Schals, Handschuhe, Topflappen und Tischdecken ausgestellt. „Alles haben unsere Damen selbst hergestellt“, die Produkte werden für die Erhaltung der Begegnungsstätte verkauft. Käte Tresenreuter spürt viel Dankbarkeit. „Eine Frau hat mir mal gesagt: ‚Ich bete dafür, dass Sie noch lange gesund bleiben‘.“ Ans Aufhören denkt sie nicht. Das weiß auch ihr Mann. „Unmöglich, sie vom Ruhestand zu überzeugen. Sie kann nicht anders, nicht wahr, Kätchen?“

- Sozialwerk Berlin, Altenselbsthilfe- und Beratungszentrum, Humboldtstraße 12 in Grunewald, Telefon: 891 10 51, www.sozialwerk-berlin.de

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