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Berlin: Wer weiß schon, was Migranten denken?

Berlins Lokalpolitiker fragen sich, wie sie die Integration beschleunigen können

Die Londoner Terroristen hatten die perfekte Tarnung: Sie wirkten, bis sie zu Selbstmordattentätern wurden, wie ganz normale junge Männer aus einer EinwandererCommunity. Darin liegt für die Bewohner Berlins mit seinen großen Migranten-Gruppen eine schlichte und bedrückende Erkenntnis: Auch hier könnten sich junge Extremisten mit tödlichen Absichten in scheinbarer Normalität verbergen. Für Terrorismus-Fachleute ist das nichts Neues – aber so deutlich wie jetzt war diese Tatsache nie.

Die Vorstellung, dass sich in Wedding, Kreuzberg oder Neukölln einer auf eine Bombenlegermission begeben könnte, macht Politiker ratlos. Schnelle Antworten gibt keiner von denen, die sich mit Migration und Integration befassen. Mehr Polizei, mehr Überwachung – Joachim Zeller, CDU-Bürgermeister von Mitte, hält davon nicht viel. Er weiß von den meisten Migranten in seinem Bezirk, dass sie immerhin „nicht demokratiefeindlich“ denken. Sie schätzten an der Demokratie die Freiheit, ihre eigene Religion auszuüben und ihre Kultur zu pflegen. Allerdings spürt Zeller bei vielen auch Vorbehalte: Zur westlichen Zivilisation gehöre eben auch die Zurschaustellung von Sex, Alkohol, Drogen, offener Prostitution. Dagegen grenzten sich viele Muslime ab. Zu radikaler Abgrenzung neigten vor allem Jugendliche, die hier geboren sind, sich von der Gesellschaft aber nicht aufgenommen fühlten. Extremistische Ideale bis hin zum Selbstmord im Auftrag Allahs seien für junge Leute interessant, die von der Schule über die Berufsausbildung bis zur Jobsuche die Erfahrung machten, dass niemand sie brauche.

Bessere Chancen, stärkere Integration – das sind für Ahmet Iyidirli, den SPD-Bundestagskandidaten in Friedrichshain-Kreuzberg, keine Leistungen, die allein die Mehrheitsgesellschaft zu erbringen hat. Der aus der Türkei stammende Politiker meint, dass die Migranten sich über eines klar sein müssten: „Wir sitzen alle im gleichen Boot“. Migranten müssten sich ihrer gemeinsamen Interessen stärker bewusst werden, und sie müssten ein „Wir-Gefühl der Anständigen“ vermitteln, sagt der SPD-Politiker. Die große Mehrheit schätze die demokratischen Werte – da denkt er über die Einwanderer positiver als Zeller. Allerdings findet der SPD-Politiker die türkische Community „zu passiv“ darin, ihre Wertschätzung der Demokratie zu zeigen.

Fehler haben seiner Meinung nach auch die Deutschen gemacht – aus Ignoranz und weil man jahrzehntelang darüber hinwegsah, dass Deutschland zum Einwanderungsland geworden ist. Das nutzte den Extremisten. Er habe als Mitglied der in der SPD organisierten türkischen Einwanderer seit der Mitte der 80er Jahre vor dem Fundamentalisten Metin Kaplan gewarnt. 15 Jahre lang dauerte es, bis die deutschen Behörden handelten. Ähnlich lange habe es trotz seiner Hinweise gedauert, bis der Imam der Mevlana-Moschee den Behörden auffiel, der vor kurzem wegen seiner Hetzreden ausgewiesen werden sollte.

Vor allem: differenzieren. Genau hinsehen und hinhören, wer diese Gesellschaft und ihre Werte unterstützt und wer sie ablehnt – dafür wirbt Cornelia Reinauer, PDS-Bürgermeisterin von Friedrichhain- Kreuzberg. Zur Integration gehört für sie ein runder Tisch, an dem sie seit anderthalb Jahren mit Vertretern aller Moscheevereine sitzt. „Bei denen werbe ich darum, dass sie sich als Teil der Gesellschaft verstehen und sich bemühen, gegenüber der Gesellschaft offener zu werden“, sagt sie. Und ganz klar: Über die im Grundgesetz beschriebenen Werte diskutiert sie nicht. Deshalb sei es notwendig, dass sich der Verfassungsschutz um die Islamisten kümmert.

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