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Demonstranten fordern bei einer Kundgebung, dass Paragraf 219a abgeschafft wird.

© Imago/IPON

Werbung für Abtreibung?: Berliner Ärztinnen nach Paragraf 219a angeklagt

In Berlin stehen zwei Medizinerinnen aus Steglitz am Freitag vor Gericht. Grund ist die Formulierung, mit der sie Abtreibung auf ihrer Website anbieten.

Ein Rückzug kommt für Bettina Gaber nicht in Frage. Obwohl sie Ärger mit der Justiz bekam und heute vor dem Amtsgericht Tiergarten steht, hat die Frauenärztin den Satz, der zur Anklage führte, nicht von der Homepage der Steglitzer Praxis genommen. „Auch ein medikamentöser, narkosefreier Schwangerschaftsabbruch gehört zu den Leistungen von Frau Dr. Gaber“, heißt es in einem der Punkte unter „Leistungsspektrum“. Illegale Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft wird ihr und ihrer Praxis-Kollegin Verena Weyer nun vorgeworfen.

Es geht um den umstrittenen Paragrafen 219a. Und Frauenrechtlerinnen werden vor dem Gebäude in der Wilsnacker Straße in Moabit protestieren, wenn am heutigen Freitag um 11.30 Uhr der erste Prozess nach der gesetzlichen Neuregelung zum sogenannten Werbeverbot für Schwangerschaftsabbruch beginnt.

Als Gabler die Praxis 2009 gemeinsam mit ihrer Kollegin Verena Weyer eröffnete, war der Paragrafen 219a kein Thema. Er schien vergessen. Als ein Relikt aus der Nazi-Zeit. Doch seit einigen Jahren hat sich ein Duo aus selbsternannten „Lebensschützern“ zum Ziel gesetzt, bundesweit Ärzte anzuzeigen, die auf ihrer Webseite darüber informieren, dass sie auch Schwangerschaftsabbrüche vornehmen.

Die beiden Männer sorgten für Verfahren gegen die Allgemeinärztin Kristina Hänel aus Gießen sowie gegen Natascha Nicklaus und Nora Szász aus Kassel. Hänel wurde 2017 zu 6000 Euro Geldstrafe verurteilt. Und die kontroversen Debatten wurden laut.

Die Regelung geht auf einen Paragrafen zurück, den die Nationalsozialisten 1933 ins Reichsstrafgesetzbuch schrieben. Es wird Werbung für den Schwangerschaftsabbruch verboten – dabei wird der Begriff Werben sehr weit gefasst. Bis vor wenigen Monaten machte sich jeder Arzt bereits strafbar, der auf seiner Homepage „Abtreibung“ lediglich als eine seiner Leistungen anbot.

Kompromiss geht vielen nicht weit genug

Eine Reform wurde angeschoben. Wie dürfen Ärzte über Abtreibungen informieren? Die Koalition debattierte monatelang. Anfang dieses Jahres stand schließlich der Kompromiss. Mit Fortbestand des Werbeverbots. Um einen Absatz wurde der Paragraf ergänzt. So dürfen Gynäkologen und Krankenhäuser auf ihren Webseiten nur veröffentlichen, dass sie Abbrüche vornehmen.

Mehr allerdings ist nicht erlaubt. Alles weitere – zum Beispiel mit welcher Methode dies geschieht – bleibt weiter unter Androhung von Strafe verboten. Zu weiteren Informationen soll auf die Bundesärztekammer und die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung verwiesen werden.

Eine entsprechende Liste zu Methoden und Adressen von Ärzten ist Teil des Kompromisses. Die Bundesärztekammer soll sie zusammenstellen und veröffentlichen. Noch aber werde „an der Umsetzung und dem Aufbau der technischen Infrastruktur zur Registrierung und Verifizierung von Ärztinnen und Ärzten gearbeitet“, heißt es. Vielen ging diese Änderung nicht weit genug. Sie fordern eine Abschaffung des ganzen Paragrafen.

„In meinem ganzen Leben habe ich noch keine einzige Frau kennengelernt, der es leicht fiel, ihre Schwangerschaft abzubrechen“, sagt Bettina Gaber. Für sie ist es wichtig, dass die Frauen bereits auf der Webseite erfahren, welches Verfahren sie anwendet. „Ich bin der Meinung, das ist sachliche Information und keine Werbung.“

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Die beiden Steglitzer Ärztinnen wurde vor rund einem Jahr angezeigt. Verena Weyer, die keine Schwangerschaftsbrüche anbietet, muss mit auf die Anklagebank, weil sie mit Gaber eine Gemeinschaftspraxis betreibt. Die Staatsanwaltschaft bot an, das Verfahren einzustellen, wenn der Hinweis auf die medikamentöse Methode von der Webseite genommen wird. Die Ärztinnen lehnten ab.

Die Gießener Ärztin Kristina Hänel wurde in mehreren Instanzen verurteilt. Ein Gericht in Gießen gab ihr allerdings mit auf den Weg: „Sie müssen das Urteil tragen wie einen Ehrentitel in einem Kampf für ein besseres Gesetz.“ Im März 2019 erhielten Hänel, Nicklaus und Szász den Anne-Klein-Frauenpreis der Heinrich-Böll-Stiftung in Mitte – verliehen als „Frauen-, Motivations- und Demokratiepreis“.

Organisationen wie der Bundesverband pro familia und der Arbeitskreis Frauengesundheit oder das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung haben zu einer Protestkundgebung am Eingang des Amtsgerichts Tiergarten aufgerufen. Sie verlangen die Streichung des Paragrafen 219a. Für den Prozess ist ein Tag vorgesehen.

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