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Werner-Stephan-Hauptschule: „Warum ziehst du unsere Schule in den Dreck?“

Prävention unter Schülern: Wie die Werner-Stephan-Hauptschule mit jungen Straftätern umgeht.

Von Sabine Beikler

Sie sitzen alle zwölf in einer Reihe nebeneinander, als die Tür aufgeht und Samir* in den Klassenraum kommt. Der Junge wartet, bis einer der Schüler auf den einzelnen Stuhl zeigt, der drei Meter entfernt steht. „Setz dich dahin“, ruft ihm ein Schüler zu. Es ist ein fordernder, schneidender Tonfall, der nicht ein einziges Widerwort erlaubt. Samir setzt sich, legt seine Hände auf die Oberschenkel und schaut die Schüler vor sich an. „Hey du, du hast geklaut. Mann, wieso hast du das gemacht? Du ziehst unsere Schule in den Dreck. Wir sind echt sauer auf dich.“ Es ist so still in dem Zimmer, dass man eine Nadel fallen hören könnte.

Samir ist 13, geht in die siebte Klasse der Werner-Stephan-Schule in Tempelhof. Eine Hauptschule mit 280 Schülern aus 33 Nationen und einer Migrantenquote von 50 bis 60 Prozent. Am Dienstag ist Samir mit seinem Mitschüler Murat* in einem Discounter in der Nähe der Schule beim Klauen von Süßigkeiten erwischt worden. Der Filialleiter hat die Polizei verständigt, den Jungen Hausverbot erteilt und sich sofort an die Schule gewandt. Die wiederum hat noch am selben Tag die Eltern und die Vertrauensschüler informiert. Und nur einen Tag später, am Mittwoch, kommt der Schülerrat zusammen, ein Gremium aus zwölf von insgesamt 26Vertrauensschülern, die sich ihre beiden Mitschüler zur Brust nehmen.

Das Gespräch hat einen Tribunal-Charakter. Immer wieder fragen die Schüler Samir: „Warum hast du geklaut?“ Und: „Hast du kein Geld, oder wolltest du mit den geklauten Sachen wie Trophäen angeben?“ Sie warten auf Antworten und schweigen. Ein unangenehmes Schweigen. Nach einer halben Minute sagt Samir: „Einfach so.“ „Einfach so? Hey, du gehst doch auch nicht einfach in einen Laden und sagst, ich schieße dich gleich ab“, schallt es ihm scharf entgegen. „Was sollen wir jetzt mit dir tun? Sollen wir dich drei Tage in den Keller sperren?“ Das sind harte Worte vom Schülersprecher Martin Quetz, 17 Jahre, zehnte Klasse. Samir soll sich eine eigene Strafe suchen. „Vielleicht den Hof fegen.“ Der Junge wird immer kleinlauter. Er hat die Aufgabe bekommen, mit dem Hausmeister zu sprechen, und wird mit den Worten entlassen: „Wenn du das nächste Mal hier bist, wirst du weinend rausgehen.“

Mit Murat gehen die Schüler härter ins Gericht. Er steht nicht das erste Mal vor dem Schülerrat. Zuerst leugnet er, dass er geklaut hat. „Du fühlst dich schlecht? Und dann lügst du uns noch an? Das ist hier deine letzte Chance auf der Schule.“ Der Schülerrat macht kurzen Prozess: Murat muss Sozialdienst machen und nachsitzen. Er kommt in eine andere Klasse als Samir. Und wird er noch einmal auffällig, droht ihm der Schulverweis.

Junge Straftäter oder Strafunmündige wie Samir und Murat müssen schnell und konsequent spüren, dass ihre Taten nicht folgenlos bleiben, sagen Experten. Und das nicht nur vor Gericht, sondern auch in ihrem sozialen Umfeld. In der Werner-Stephan-Schule geben sich Schüler durch Schulversprechen Regeln und achten auf die Einhaltung. 80 von 280 Schülern sind zu Streitschlichtern ausgebildet. Vertrauenslehrer Reiner Haag setzt in der Präventionsarbeit darauf, dass Schüler Verantwortung übernehmen, Selbstvertrauen entwickeln und Konflikte untereinander lösen. Für ihren Umgang mit Schülern erhielt die Werner-Stephan-Schule neben vier anderen Schulen 2007 den Landeshauptschulpreis.

Wird ein Jugendlicher das erste Mal straffällig, fordern Schüler der achten Klasse, dass er gemeinnützige Arbeit machen muss. Fallen Jugendliche wiederholt mit Straftaten auf, müsse „hart mit denen umgegangen werden“, sagen die Schüler. Einige wollen sogar für junge Straftäter „Knast so früh wie möglich“, damit dieser „richtig abschreckend“ wirke. Aber keiner spricht sich für eine Herabsetzung des Strafmündigkeitsalters von 14 auf zwölf Jahre aus.

Einer der Schüler erzählt von seinem Bruder, der straffällig geworden sei. „Als er dann gearbeitet hat, hatte er keine Zeit mehr, Mist zu bauen“, sagt er. In zwei Jahren machen die Achtklässler ihren Schulabschluss. Sie hoffen alle auf einen Ausbildungsplatz. „Das Wichtigste ist, nach der Schule einen Job zu bekommen“, sagt die 14-jährige Franzi. Da nicken alle zustimmend. Sabine Beikler

*Namen geändert

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