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Berlin: Wespen machten im Sommer keinen Stich

In diesem Jahr fliegen die summenden Futterkonkurrenten selten ein Stück Pflaumenkuchen an: Der Frühling war zu nass – auch für Hornissen

Von Andreas Conrad

Sonst war in diesen Wochen auf Kaffeetafeln und Backwarenbuffets die Hölle los. Keinen Bissen Pflaumenkuchen konnte man ungestört zum Munde führen, ohne gnadenlosen Luftangriffen ausgesetzt zu sein. Und die Puderzuckerglasur eines Amerikaners wies nach einiger Zeit, ließ man der Natur nur ihren Lauf, klaffende Lücken auf. Doch das war einmal. Drei geradezu biblische Plagen hat uns der in seinen letzten Zügen liegende Sommer gebracht: die spanische Nacktschnecke, die mazedonische Miniermotte und die treue deutsche Stechmücke. Wo aber sind Paravespula germanica und Paravespula vulgaris geblieben, die Deutsche und die Gemeine Wespe, seit Urzeiten die erbittertsten Futterkonkurrenten des Menschen?

Man muss seinen Pfaumenkuchen schon lockend über dem Kopf hin- und herschwenken, damit sich solch ein bekanntes Flugobjekt darauf niederlässt. Und selbst Wurstbrote kann man dieser Tage verzehren, ohne wegen entnervenden Gesumms permanent den Kopf einziehen zu müssen.

Bei der obersten Naturschutzbehörde, Abteilung Artenschutz, weiß man Rat. Der April war schuld, berichtet Hildegard Widowski: Zu nass, zu kalt. Das hat allen Hautflüglern zugesetzt, besonders deutlich eben den Wespen. Im Frühling macht sich die Königin auf, ein neues Volk zu gründen, beginnt mit dem Nestbau, legt die ersten Eier. Wenn nun, wie in diesem Jahr, die Witterung nicht mitspielt, bleibt es vielfach beim Versuch der Staatengründung, die Königin stirbt ab: Ade, Pflaumenkuchen, leb wohl, Wurststulle! Auf eine grundsätzliche, ökologisch ohnehin nicht wünschenswerte Lösung sollte man sich aber keine Hoffnung machen. Derart wespenlose Zeiten sind Folge natürlicher Schwankungen, werden bald wieder ausgeglichen, vielleicht noch nicht in der nächsten Saison.

Dennoch hält die Natur immer wieder Überraschungen bereit, selbst im heimischen Garten. Ein Meisenkasten ist ein Meisenkasten? Weit gefehlt. Denn wenngleich auch die besonders geschützten Hornissen vielfach dem Aprilwetter zum Opfer fielen, manche haben doch überlebt und entwickelten gerade in den vergangenen Wochen bemerkenswerten architektonischen Ehrgeiz. Mit einem unbewohnten Fledermauskasten hatte es angefangen, Mitte Juli muss es gewesen sein. Plötzlich begann es oben am Baum zu summen und zu brummen, ein rasch sich steigernder Flugverkehr war festzustellen: Hornissen. Mancher sorgenvolle Blick ging nun nach oben, man hört ja die wildesten Gerüchte über Hornissenstiche.

Bald waren erste Umbauten erkennbar, papierene gelbliche Winkel und Laschen, die vor den Kasten geklebt wurden. Doch die Arbeiten stagnierten, zurück blieb eine Bauruine. Dafür ging es in einem 20 Meter entfernten, bereits verwaisten Meisenkasten nun so richtig los. Starts und Landungen wie vielleicht mal beim Metropolen-Airport Berlin-Brandenburg International. Allmählich wucherte der Vogelbau zu, immer neue, muschelartige Taschen wurden Tag für Tag angeklebt. Zuletzt sah der Kasten aus, als wäre innen eine Dose Bauschaum explodiert. Sorgen, die brummenden Biester könnten sich den Hausbewohnern feindselig nähern, hatten sich da längst als unbegründet erwiesen, es herrschte friedliche Koexistenz. Bei zu großer menschlicher Annäherung kam es zwar zu Spähflügen, doch dabei blieb es. Mangelnde Toleranz gegenüber den ungebetenen Gästen hätte sowieso nichts genutzt, der Artenschutz ist hier sehr streng. Hornissen dürfen weder gefangen noch verletzt, ihre Nester nicht beschädigt werden, erläutert Johannes Schwarz, Biologe in der Berliner Naturschutzbehörde. Anders als die Deutsche und die Gemeine Wespe seien die Tiere an Süßigkeiten oder anderer menschlicher Nahrung nicht interessiert, labten sich vielmehr an Insekten. Nur unter bestimmten Bedingungen, etwa wenn ein Allergiker nebenan wohnt, dürften Nester vom Fachmann umgesetzt werden – für 50 bis 120 Euro.

In einigen Wochen ist das Problem sowieso erledigt, und das Volk, das sich offenbar nach dem zu kleinen Fledermauskasten das Meisenhäuschen als Filiale ausgesucht hat, stirbt ab. Nur die Jungköniginnen überleben an geschütztem Ort und gründen im nächsten Frühjahr neue Völker, in der Regel aber an anderen Orten. Und bei der Frage nach der den Hornissen gern unterstellten besonderen Gefährlichkeit winken Insektenkundler sowieso ab: ein Mythos wie der vom Pharao Menes, der 2640 v. Chr. an einem Wespenstich gestorben sein soll. Zwar lehrt der Volksmund „Sieben Stiche töten ein Pferd, drei einen Menschen“, der Fachmann jedoch hält es lieber mit Loriot: „… aber ein einziger Pferdebiss kann sieben Hornissen töten.“

Informationen über Wespen, Hornissen und andere Hautflügler geben folgende Institutionen: Freilandlabor Britz (Tel. 703 3020/9470, 7013 1232), Naturschutzbund (Tel. 986 4107/7051), Naturschutzstation Malchow (Tel. 9279 9830/1), Naturschutzzentrum (Tel. 3000 0510/5), Ökolaube (Tel. 9017 2323, 7009 0670/44, 605 6839). Im Internet unter www.hymenoptera.de

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