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West-Berlin: Eine umkämpfte Insel

Ehemalige Regierende Bürgermeister erinnern an das verschwundene West-Berlin und die Stürme der Vergangenheit.

West-Berlin, das war einmal, lange her. Wie lebte es sich auf der Insel in den 40 Jahren von der Spaltung der Stadtverwaltung bis zum Fall der Mauer? Junge Leute wissen wenig über die historische Rolle der Halbstadt. Warum ist so wenig davon die Rede?

Vier ehemalige Regierende Bürgermeister gehen dieser Frage am Montagabend im Festsaal des Abgeordnetenhauses nach: Klaus Schütz (1967 bis 1977), Dietrich Stobbe (1977 bis 1981), Eberhard Diepgen (1984 bis 1989 und 1991 bis 2001) und Walter Momper (1989/90). Wilfried Rott ist auch da. Sein Buch „Die Insel – Eine Geschichte West-Berlins. 1948 bis 1990“, Verlag C. H. Beck, München, 2009, ist der Anlass, dass Momper als Parlamentspräsident zum Rückblick eingeladen hat. Im Publikum sitzen frühere West-Berliner Größen aus Politik und Kultur, die Philharmoniker Helmut Stern und Rainer Zepperitz neben gewesenen Ost-Berliner Abgeordneten oder dem Kosmonauten und Ehrenbürger Siegmund Jähn. Nur junge Leute sind rar.

Was war das für ein seltsamer Stadtstaat, der einerseits nicht zur Bundesrepublik gehörte, andererseits aber doch, obwohl er mit dem Viermächtestatus sein eigenes Grundgesetz hatte? „Eine Art drittes Deutschland“, schrieb Rott, aber das klingt fatal nach der östlichen Dreistaatentheorie.

Als die Mauer fiel, waren nicht nur die Tage Ost-Berlins und der DDR gezählt, sondern auch die West-Berlins. „Wir hatten keine Zeit, diese außergewöhnliche Periode zu feiern“, sagt Klaus Schütz. Ost-Berlin und Brandenburg wurden neu entdeckt, das andere war nicht mehr spannend, so Momper und Diepgen. Schütz erinnert daran, dass in Berlin der Kalte Krieg um die Jahreswende 1945/46 mit dem Kampf gegen die Zwangsvereinigung von SPD und KPD zur SED begann, und in Berlin mit dem Fall der Mauer endete, diesem Glücksfall für alle Berliner und alle Deutschen, wie Stobbe ergänzt.

Was war das Außergewöhnliche? Alle vier wissen, dass ohne die Existenz dieses fragilen Gemeinwesens mit seinem komplizierten Status, ohne den Selbstbehauptungswillen der West-Berliner unter teils konkreter, teils latenter östlicher Bedrohung die deutsche Frage nicht offen geblieben, die Einheit nicht möglich gewesen wäre. Ende der fünfziger Jahre, in der Zeit des Chruschtschow-Ultimatums, sinnierte der Bundesaußenminister Gerhard Schröder darüber, West-Berlin in die Lüneburger Heide zu verpflanzen, das wäre billiger als ein Krieg. „Wir hielten das damals für einen Witz“, sagt Schütz.

Jeder Regierende Bürgermeister wollte die Bindungen Berlins an den Bund stärken. Das war schwer mit dem höchst komplizierten Viermächtestatus in Balance zu bringen, von dem die Westalliierten aus gutem Grund kein Jota abrückten, denn es ging um ihre eigene Daseinsberechtigung in Berlin und damit letztlich darum, den Weg zur Einheit nicht zu verbauen. Auch überragende Regierende von Ernst Reuter über Willy Brandt bis Richard von Weizsäcker hatten da ihren Strauß mit den Schutzmächten auszufechten. Wirkliche Statuskenner waren rar, wenige haben ihn begriffen, Joachim Bölke (Der Tagesspiegel) wird gleich mehrfach erwähnt. Von West-Berlin gingen auch Impulse aus, und ob. Willy Brandt konzipierte die Entspannungspolitik im Rathaus Schöneberg, im Biotop Berlin (West) formierte Rudi Dutschke die bei den Bürgern verhassten 68er, um nur zwei Beispiele zu nennen.

Für das „Zurückdrängen der Vergangenheit“ hat Diepgen Erklärungen parat: die vielen Neuberliner, ein Bündnis der Vertretern des Bonner „Rheinbund-Staates“ mit „denen, die froh sind, dass über Ost-Berlin nicht geredet wird, sondern alle Probleme in West-Berlin abgelagert werden“, Missmut über den Hauptstadtumzug, nicht zu vergessen, dass Bonn der Zahlmeister für Berlin war. Einschließlich der Besatzungskosten summierte sich das laut Diepgen auf 24 Milliarden Mark jährlich. So war nach der Wende plötzlich nur noch von der Subventionsmentalität Berlins die Rede.

Die vier Regierenden sind sich wunderbar einig. Einst haben sie sich gegenseitig Wunden geschlagen, stolperten über kleinkarierte Parteiklüngel, Filz und Affären. Nun traut man seinen Ohren nicht, als Diepgen sagt: „Bis in die Nebensätze gebe ich Momper recht.“ Die Hauptsache bleibt ja doch, dass das gute alte West-Berlin seine historische Aufgabe erfüllt hat.

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