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Blick über den Rand. Das Sportbecken im Westfalenbad Hagen bietet nicht nur unserem Reporter Ralf Schönball 25- und 50-Meter-Bahn.

© Joe Kamer

Westfalenbad Hagen: Im Whirlpool ist die Hölle los

Wer über Berlins Bäder mitreden will, sollte im Hagener Westfalenbad abtauchen – einem Vorbild für hiesige Baupläne.

Hagen ist die Stadt, an der man vorbeifährt. Auf der Autobahn A1 zum Beispiel, wo sie unangenehm auffällt, weil es kurz zuvor, von Westen kommend, bergab geht und im Tal heftiges Bremsen gefragt ist, um das unanständig biedere Tempolimit einzuhalten. Im ICE fällt Hagen auf, weil es beim Halt am Hauptbahnhof besonders düster wird im Zug, als falle einem gleich der Himmel auf den Kopf, tatsächlich aber weil Hagen im Tal liegt und der komplett überdachte Bahnhof nahe am Hang.

Neuerdings ist Hagen aber eine Reise wert, seit der Eröffnung des Westfalenbads vor fünf Jahren. Das Bad ist eigentlich drei Bäder: eins für die Spaßfraktion, eins für ambitionierte Schwimmer und eins für solche, die es heiß mögen, in der Sauna. Wer sich dieser Tage also in die Berliner Debatte zum Bäderkonzept einschalten will, sollte sich hier mal umsehen.

In dreieinhalb Stunden von Berlin bis Hagen

Zumal diese Anstalt – Baukosten: 30 Millionen Euro, Bauzeit: 2008 –2010 – als Vorbild dafür genannt wird, wie die zwei geplanten Berliner Neubauten aussehen könnten. Sicher, auch andere Namen fallen, das „Wesavi“ in Nienburg, das „Festland“ in Hamburg oder das „Aquatoll“ in Neckarsulm. Aber beispielhaft für Berlin ist zuerst das Westfalenbad, das nur dreieinhalb ICE-Stunden entfernt ist vom Berliner Hauptbahnhof.

Hanna, Anja und Birte sind auch angereist, aber aus – Achtung: – Lüdenscheid. „Saunatechnisch unterwegs“ sind die Studentin, die Physiotherapeutin und die Maschinenbauingenieurin. Eine Sauna gibt es zwar auch in Lüdenscheid, aber Anja möchte nicht in der Freizeit Patienten begegnen. In Hagen hängen sie nun für 19,50 Euro einen Tag auf Fünf-Sterne-Niveau ab: in der Saunalandschaft. Um die zwei Sportbecken und das Spaßbad machen sie einen Bogen. Und was hält Architekturstudentin Hanna von Hagens neuer Bäderarchitektur? „Büschen langweilig!“

Wer einmal im Westfalenbad war, kommt wieder

Wellnesstempel. Hanna, Anja und Birte aus Lüdenscheid sind „saunatechnisch unterwegs“, wie sie dem Reporter erzählen. Aber erstmal entspannen im Solebecken.
Wellnesstempel. Hanna, Anja und Birte aus Lüdenscheid sind „saunatechnisch unterwegs“, wie sie dem Reporter erzählen. Aber erstmal entspannen im Solebecken.

© Joe Kamer

Das durchaus vernichtende Urteil geht schon in Ordnung: Ein eher schlechtes Remake der 1970er Jahre haben die Architekten Krieger („50 Jahre Bäderbau“) aus dem Bergischen Land hier an den Hang in Beton gegossen. Blau und Orange gibt es viel und ein mattes tristes Holzimitat an Paneelen und Spinden. Die Decken sind niedrig und der Eingang ist nicht wirklich Halle, sondern eher Schleuse. Rechts, hinter Glas, schwitzt eine Handvoll Leute an Kraftmaschinen und Ergometern des Fitnessstudios. Links führt eine Treppe ins Obergeschoss zur Saunalandschaft. Alle anderen gehen bitte geradeaus durch, an der Kasse rechts vorbei und rein in die Schwimmhalle.

Ungerecht oder jedenfalls arg zugespitzt ist dieses Urteil aber auch, denn Birte, Anja, Hanna und das übrige Volk haben mit den Füßen abgestimmt und Kritik überstimmt: „Seit der Neueröffnung hat sich die Besucherzahl aller Hagener Bäder fast auf 655.000 im Jahr verdoppelt“, sagt Bäderchef Christoph Köther. Wer einmal im Westfalenbad war, kommt wieder oder verkündet die frohe Botschaft: Im fünften Betriebsjahr kamen 100.000 Badefreunde mehr ins Westfalenbad als im Jahr nach dessen Eröffnung. Und, Haushälter aufgepasst, noch etwas: Der Umsatz der örtlichen Bäderbetriebe stieg um mehr als 2,5 Millionen Euro – die Steuerzahler müssen nun weniger Löcher stopfen, fast 1,5 Millionen Euro eingespart.

Eine Extraportion Wärme

An diesem Dienstag ist im Whirlpool schon um eins die Hölle los: Die Senioren von der Wassergymnastik bekommen Lithium-Salz in die Hand geschüttet. „Heiß“, sagt Monika Schmidt und lässt das Salz ins Wasser rieseln. Die Extraportion Wärme verordnet ihnen die Anstalt, stimmungsaufhellend soll das wirken, „kommt aus Bolivien“, weiß Monika. Die Laune ist auf dem Siedepunkt, nur Heidi meckert: „Ist mir nicht warm genug.“ Nicht nur mit „Aufsalzen“ wird in Hagens Vorzeigebad herumprobiert, ein Veranstaltungsmanager sorgt dafür.

Der Valentinstag „Deluxe“ kostet 135 Euro für zwei Personen, „flauschige Handtücher, Teilkörper-Relax-Massage und Sauna-Tageskarte“ inklusive. Bei der „Griechischen Saunanacht“ am 21. Februar tanzen die Gäste zum Klang einer Hellenen-Kombo ab 22 Uhr „textilfrei“ durchs Freizeitbad (Eventzuschlag: 4 Euro plus Saunakarte ab 20 Euro). Die „Italienische Nacht“ fiel leider ins Wasser, weil der Juni kalt und regnerisch war, dafür erzählen die Besucher der Silvesterparty in der Saunalandschaft noch heute davon, „legendär“.

Auch hier gibt es Jungbullen

Wasserlandschaft. Im Spaßbad dürfen Gäste spätabends auch mal „textilfrei“ abtauchen.
Wasserlandschaft im Westfalenbad in Hagen. Im Spaßbad dürfen Gäste spätabends auch mal „textilfrei“ abtauchen.

© promo

Wer die Sause im kleinsten Kreis nachholen will, kann das jederzeit in Badeseparees der Saunalandschaft tun: „Für 150 Euro stellen wir Sekt und Snacks hin und schließen die Tür hinter Ihnen und Ihrer Frau – oder Ihrem Mann“, sagt Uwe Begall. Er ist der Technikchef des Bades, knapp zwei Meter groß, hat den solariumbraunen Schädel glatt geschoren, dass sich Licht und Wasser drin spiegeln. Der Dortmunder, der wie ein Urgestein der Region wirkt, ist aber in Berlin aufgewachsen, am Insulaner. Da gibt es auch ein Freibad, das es wegen streitender Jugendbanden schon mal ins Magazin der „Süddeutschen“ brachte. Begall kennt es aus den 1970er Jahren. Gibt es ähnliche Probleme auch in Hagen? „Natürlich haben wir junge Bullen, und wenn es um junge Kühe geht, müssen wir schon mal schlichten“.

Bis in die 1980er hinein ließ Begall die silberne Trillerpfeife am goldenem Kettchen lässig ums Handgelenk gleiten. Damals war der Bademeister eine Autorität, „kam direkt nach Bürgermeister und Dorfpolizist“. Das ist vorbei. Zum Bäderkonzept gehört neben dem Neubau das Coaching der Crew durch die „Agentur für Freundlichkeit“. Nun nennt Begall sich „Dienstleister“ und Besucher „Kunden“, so wie Mitarbeiter der Arbeitsagenturen es tun.

Und was hat Hagen, was Berlin nicht hat, will man vom Ex-Berliner mit Tochter in Moabit wissen? Die Spa- und Saunaanlage "Vabali" (20.000 Quadratmeter groß im Moabiter Fritz-Schloß-Park) sei für Erwachsene ja ganz nett, sagt Begall, abends mal für zwei Stunden; aber mit Kindern? „Geht gar nicht!“ Deshalb fährt er bei seinen Berlin-Aufenthalten mit der Enkeltochter zur Kristalltherme nach Ludwigsfelde. Die sei mit dem Westfalenbad vergleichbar und so was fehle Berlin eben.

"Mit Kindern? Geht gar nicht!"

Laune bestens. Im Whirlpool drinnen ist schon mittags die Hölle los, wie unser Reporter feststellt.
Laune bestens. Im Whirlpool drinnen ist schon mittags die Hölle los, wie unser Reporter feststellt.

© Joe Kamer

Die kleine Ina juchzt derweil, als die Strömung im Spaßbecken sie mitreißt, der Kopf im Nacken, die roten Schwimmflügel knapp überm Wasser und Mamas schützende Hand unterm Bauch. Sie gleiten vorbei an mausgrauen und blauen Liegestühlen, die am Beckenrand in drei dichten Reihen bis zur Wand reichen, dazwischengequetscht zwei Strandkörbe vom „Wohnungsverein Hagen“. Vollgestellt ist das Spaßbad, aber schön hell durch das milchglasweiße Dach. Bei Cabriowetter wird das aufgefahren und die Fensterfront zur Seite geschoben, Freibad-Feeling. Das Dach offen, das Bad dicht, kann im Sommer auch passieren: Wenn der letzte Spind vergeben ist, schickt der Technikchef Wartende nach Hause, bei 2900 Kunden ist Schluss.

Glücklich im gefrorenen Land

Zwischen Spaß- und Sportbecken ist ein Glasraum für Bademeister eingezwängt. Praktisch ist das und spart Kosten, weil ein Mann zwei Hallen im Auge hat. Er heißt Ali Pourgholam und weil es ruhig ist, hat er Zeit für ein Schwätzchen: Nach Amerika wollte der Iraner eigentlich, blieb aber in Hagen hängen. „Deutschland find‘ ich gut“, sagt er, „wegen Recht und Ordnung.“ Wer den Krieg erlebt hat wie er in den 1980ern, der weiß den Rechtsstaat zu schätzen. „Und Poesie und Lebensfreude“, sagt Ali, „bringen wir Einwanderer mit.“ Deshalb „fühle ich mich glücklich in diesem etwas gefrorenen Land“.

In den gut geheizten Schwimmhallen verlieren sich an diesem Tag ein paar Dutzend Besucher, Mütter mit Kindern, Senioren und Gruppen von Behinderten. Das partytrunkene Jungvolk hatte man bei der Planung der Anlage nicht im Auge, sondern Erwachsene und Familien. Mit besonderer Sorgfalt wurde deshalb „Hagens Sauna- und Wellnessoase“ geplant. Die hat fünf Sterne beim „Deutschen Sauna-Bund“ geholt, das will was heißen. Hübsch angelegt ist sie noch dazu: rund um einen Teich ordnen sich die Schwitzkombüsen im typischen Sauna-Blockhausstil. Ob Kalt- und Heißblüter, jedem das seine: 75, 85 oder 90 Grad warm und milde 70 Grad auf der legolandgroßen Insel im Teich. Es gibt mehrere Ruheräume für Leseratten oder Kunstliebhaber und auch für jene, die einfach nur rausschauen wollen ins Freie, eingerollt in ihre Wolldecke.

Gegen Übergewicht und Volkskrankheiten

Auch ein „Sportbad“ mit olympischen Maßen (50 Meter mal 25 Meter) gibt es unterm Dach des Kombibades und ein Sprungbecken, aber nur mit Ein- und Drei-Meter-Turm; warum nicht fünfe? Antwort: Weil das Bad der „Daseinsvorsorge“ dienen soll, wie es im Amtsdeutsch heißt, und nicht dem Spektakel und Mutproben von Pubertierenden. Schüler und Vereinssportler kämpfen hier gegen Übergewicht und andere Volkskrankheiten – ab 2,30 Euro Eintritt im Sportbereich ist die Schwelle für alle niedrig. Das hat die Hagener versöhnt mit dem Westfalenbad, gegen dessen Bau sie per Volksentscheid rebelliert hatten – mangels Mehrheit vergeblich.

Früher gab es sieben Bäder mitten in Hagens Quartieren, vier mussten schließen. „Da hingen Emotionen dran, weil der Opa da schwimmen gelernt hatte und später die Enkel“, sagt Bädersprecher Dirk Thorbow. Übrig blieben nur drei Kiezbäder. Dafür kam der Neubau dazu, vollgepfropft mit modernster Technik – so beugte sich die defizitäre Kommune dem Spardruck durch Innovation.

Den Ex-Bundesligisten im Wasserball vom Hohenlimburger Schwimmverein ist es einerlei: Sie spielten zuvor in einer Traglufthalle, „das hier ist schon besser“, sagt der langjährige Vorstand Lothar Hocks. Anforderungen „internationaler Begegnungen“ genüge das Westfalenbad aber nicht. Allein: Die finden in Hagen, wo dem Verein irgendwann Nachwuchs und Geld für die obersten Ligen ausgingen, eh nicht mehr statt. Aber daran trägt das neue Bad nun wirklich keine Schuld.

Der vorliegende Text erschien erstmals gedruckt am 14. Februar 2015 in der Tagesspiegel-Samstagsbeilage Mehr Berlin.

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