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Berlin: Wie der Apostel Paulus den Sklaven Onesimus vor dem Tod rettete

SONNTAGS UM ZEHN Dicht gedrängt hatten die Besucher gesessen und gestanden, als die Auferstehungskirche in Friedrichshain nach einem spektakulären, ökologisch orientierten Umbau wieder eingeweiht wurde. Ein gutes halbes Jahr später findet die Gemeinde problemlos Platz.

SONNTAGS UM ZEHN

Dicht gedrängt hatten die Besucher gesessen und gestanden, als die Auferstehungskirche in Friedrichshain nach einem spektakulären, ökologisch orientierten Umbau wieder eingeweiht wurde. Ein gutes halbes Jahr später findet die Gemeinde problemlos Platz. Ein Dutzend evangelische Christen finden am Tag des ersten Schnees den Weg in ihre Kirche, für deren Umbau sie so viel getan hatten. Und doch steht Ingrid Laudien nicht auf verlorenem Posten. Die ehemalige Superintendentin der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg wohnt nur ein paar Straßen entfernt und übernimmt an diesem Sonntag den Gottesdienst. Viele der Besucher kennt sie persönlich, und die kleine Gemeinde sitzt direkt vor dem Altar – die sonst so häufige Flucht in die hinteren Bänke gibt es hier nicht.

Ingrid Laudien nimmt sich die Freiheit, nicht über den eigentlich vorgesehenen, komplizierten Predigtspruch dieses Sonntags zu sprechen. „Der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig“, heißt es dort (2. Korinther 3,2-9). Statt dessen legt sie einen Bibeltext aus, der nur selten gehört wird: Ebenfalls einen Paulusbrief, in dem der Apostel aus der Haft in Ephesos heraus Fürsprache für den Sklaven Onesimus bei seinem Besitzer Philemon einlegt; ihm drohte harte Strafe bis hin zum Tod. Ingrid Laudiens ruhige Stimme füllt das ganze Kirchenschiff, als sie den ganzen Text, „eine Seite in der Bibel“, vorträgt und immer wieder für Erklärungen unterbricht. Es geht um Macht und Herrschaft und den christlichen Anspruch auf Gleichheit. Paulus bittet Philemon, die Flucht des Sklaven zu verzeihen – und hält doch kein flammendes Plädoyer gegen die Sklaverei.

Vor allem, weil die früheren Christen das Himmelreich in greifbarer Nähe gesehen hätten, sei ihnen ein Umsturz der gesellschaftlichen Verhältnisse nicht wichtig gewesen, sagt Ingrid Laudien zu diesem aus heutiger Sicht verstörenden Versäumnis. Heute dagegen seien Taten ebenso wichtig wie Wort und Gebet. Indem sie den Brief in Zusammenhang mit Entsolidarisierung und Arbeitslosigkeit, Armut und sozialer Ungerechtigkeit setzt, macht sie deutlich, dass sich die Kirche und die Arbeit mit ihrem Auftrag geändert haben. Dazu wie auch zum Brief des Paulus passt, dass die Kollekte an den Verein „Asyl in der Kirche“ geht. Nicht jeder Flüchtling kann auf Hilfe durch einen Apostel und einen christlichen Herrn hoffen – für Onesimus, berichtet Laudien, ist die Sache gut ausgegangen. Für 70 Prozent derer, die Kirchenasyl finden, ist das übrigens ebenso. Jörg-Peter Rau

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