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Berlin: Wie der Bund mehr Verantwortung für die Berliner Kultur übernehmen kann (Kommentar)

Ja, es gibt den Berliner Mief und es ist leider wahr, dass die Umstände des Rücktritts von Kultursenatorin Christa Thoben kräftig nach ihm riechen. Es ist auch richtig, dass ihr Fall-Rückzieher eine Seite hat, auf der er ein Fall Diepgen ist; er hat mit den auch andernorts bekannten fatalen Folgen einer langen Amtsführung zu tun.

Ja, es gibt den Berliner Mief und es ist leider wahr, dass die Umstände des Rücktritts von Kultursenatorin Christa Thoben kräftig nach ihm riechen. Es ist auch richtig, dass ihr Fall-Rückzieher eine Seite hat, auf der er ein Fall Diepgen ist; er hat mit den auch andernorts bekannten fatalen Folgen einer langen Amtsführung zu tun. Es gibt in Berlin zudem eine heruntergewirtschaftete Kulturverwaltung, eine Kulturpolitik, die hauptstädtisch zu nennen eine arge Übertreibung wäre, und kulturelle Institutionen, die das berühmte Ende der Fahnenstange erreicht haben. Aber es gibt daneben noch ein paar kleine sachliche Probleme, die mit Berlin als Hauptstadt und seiner Kultur zu tun haben. In ihrem Mittelpunkt steht die Erkenntnis, dass es so nicht weitergeht.

Natürlich kann man der Stadt-Regierung vorhalten, dass sie eine Politik des Sich-Durchwursteln betrieben hat und ein überzeugendes Konzept schuldig geblieben ist. Aber der Zustand der Kultur, der Intendanten zum Aufstand und Senatorinnen zum Rücktritt treibt, ist nicht allein der Sparwut der Politik und einem gewissen Banausentum anzulasten, das es unter Politikern gibt. Und selbst der frühere Kultursenator ist nicht an allem schuld.

Denn der Offenbarungseid der Kulturpolitik, der der Stadt abgefordert wird, passt vorzüglich - zumal dann, wenn damit der alte Vorwurf verbunden wird, Kultur käme in dieser Stadt zuletzt - zum Offenbarungseid des Kulturmilieus, das zwar gerne Sozialdramen spielt und der Gesellschaft den Spiegel vorhalten will, aber den Blick auf den maroden Zustand vieler Schulen oder die Problemviertel der Stadt scheut. Es ist ja richtig, dass die Kultur die größte Potenz der Stadt ist, aber das setzt Adam Riese und die Demokratie nicht außer Kraft. Und Unzulänglichkeiten der Berliner Kulturpolitik ändern nichts daran, dass der Grund für den beklagten und beklagenswerten Zustand der Kultur eine strukturelle Notlage ist.

Eine kurze Decke bleibt zu kurz, wie sehr man auch an ihr zieht. Die Kultur, die der Stolz Berlins ist, mit der sie gar nach dem Attribut einer Kulturhauptstadt greifen will, ist zu groß für die Möglichkeiten der Stadt. Das Erbe erst von Preußen-Deutschland, dann von zwei Hauptstädten, der "Hauptstadt der DDR" Ost-Berlin, und West-Berlin, der "Hauptstadt im Wartestand", liegt jetzt auf den Schultern eines kleinen Landes. Fatalerweise ist der Aufstieg zur Hauptstadt auch noch zusammengegangen mit einem tiefen Sturz: von der Höhe des Sonderstatus, mit dem Berlin am Tropf des Bundes die Nachkriegszeit überlebte, in den Status eines mittelgroßen, an Mitteln armen Stadtstaates.

Das kann nicht gut gehen. Es geht ja auch nicht gut. Doch der jetzt laut gewordene Ruf nach dem Bund ist diesmal nicht die wohlfeile Flucht aus der Verantwortung, sondern die notwendige Konsequenz aus einer veränderten Situation. Kultur war ja in Berlin in Wahrheit nie nur Ländersache. Sie war immer auch eine Art Treuhänderschaft für jene verlorene Hauptstadt, die nun wieder gewonnen ist. Nur kann das stärkere Engagement des Bundes sich jetzt nicht mehr allein in der Bereitstellung von mehr Mitteln erschöpfen. Es muss eine ganz neue Form der Zusammenarbeit zum Ziel haben. Gefordert ist gemeinsame Verantwortung.

Das verlangt viel vom Bund und von Berlin, vor allem die höchste Kunst der Politik: über den eigenen Schatten zu springen. Denn für Berlin bedeutet es, dem Bund eine Mitsprache bei Kultur-Einrichtungen einzuräumen, mit denen die Stadt doch gern selber prunkt. Der Bund dagegen muss die Allüre des generösen Gebers ablegen und sich zur Mitverantwortung bekennen. Er muss die Praxis aufgeben, vom Engagement für Berlin zu sprechen, sich dann aber doch nur die Philharmonie oder das Jüdische Museum herauszupicken und die Stadt mit ihrer Gesamtverantwortung für die Breite der Kultur, die doch eine Kulturstadt trägt, allein zu lassen. Die schöne Lakonie der Berliner Lebensart: Keine Socken, aber Gamaschen, kann keine Empfehlung für die Berliner Kultur sein. Ohne eine Form von Verantwortungsgemeinschaft von Bund und Berlin gibt es keinen Weg aus der Misere.

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