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Berlin: Wie ein Sechser im Lotto

Sechs Beispiele, wie Menschen, Firmen und Institute Dresden voranbringen – und die Lehren für Berlin

Dresden gehört die Zukunft – wie Forscher, Firmengründer und Manager die ostdeutsche Provinz zur Boomtown machen.

Königliche Manufaktur

Der große Garten in Dresden ist 155 Hektar groß und nicht weit vom Stadtzentrum entfernt. Im Herzen der Anlage steht das königliche Palais, ein barockes Schloss aus dem 17. Jahrhundert, umgeben von acht Pavillons. In der Nähe steht ein gewaltiger Palast mit riesenhaften Zylindern und Trichtern, stählernen Pfählen und einer durchsichtigen Front. Es ist die „gläserne Manufaktur“. Hier fertigt Volkswagen den Phaeton. Die gläserne Manufaktur ist ein Symbol für den Automobilbau in Sachsen: Hohe Produktivität erlaubt die Fertigung von Luxuslimousinen im Hochlohnland Deutschland. Porsche hat eine seiner rentabelsten Fabriken in Sachsen, BMW fertigt hier.

Ein typisches Schicksal

Er war 50 als er gefeuert wurde, weil die Backwarenfabrik abgewickelt wurde. Er hätte sich durchmogeln können bis zur Rente. Doch für ihn, an Hindernisse und Rückschläge gewohnt, kam das nicht in Frage. Im verlassenen Hof, inmitten des ausgemusterten Inventars, stand die Gebäckmaschine. Er hatte das Gerät selbst entworfen und vor seiner Entlassung bauen lassen. Er schleppte es vom Hof, trommelte 13 Kollegen zusammen und gründete eine Firma. Heute, 16 Jahre später, zählt die Backfabrik Dr. Quendt 100 Mitarbeiter. Die Dresdner Stollen von Quendt füllen die Regale westdeutscher Konzerne wie Metro. Die Maschine, die Quendt zu DDR-Zeiten für das Backwaren-Kombinat bauen ließ, läuft immer noch: „Russisch Brot“ stößt sie aus, wie „Dominosteine“ und Stollen Spezialitäten des Hauses. Unternehmertum und Ideen, das sei den Dresdnern eingeimpft – Sachsen sei immer schon das Innovationszentrum Deutschlands gewesen. Schokolade sei hier erfunden worden und der Teebeutel. Nur die Zeitläufe - Krieg, Sozialismus und Privatisierungen nach der Deutschen Einheit - hätten die Erfolgsgeschichte unterbrochen. Vorübergehend, sagt Quendt. Es klingt wie eine Kampfansage.

Dresden-Porto-Malaysia und zurück

Durch den Flur im sechsten Stock des „Advanced Mask Technology Center“ schwebt sie: schlank, blond, ein sommerleichtes Kleid aus schwarzem Stoff und ein breiter weißer Gürtel um die Taille. Mit Mitte Dreißig ist Sabine Nitzsche kaufmännische Direktorin einer Firma mit 150 Mitarbeitern aus 14 Nationen. Die Firma stellt Schablonen aus Quarzglas für die Chipproduktion her; 1000 dieser „Masken“ entstehen jährlich für die drei in Dresden ansässigen Firmeneigentümer: Chip-Gigant AMD, Infineon und Toppan aus Japan. Nitzsche hat eine „Ost-Biografie“: Zu DDR-Zeiten studierte sie Wirtschaftswissenschaften – das Examen machte sie aber nach der Wende. Dann folgten Wanderjahre: Der erste Job in München bei Siemens, Stationen in Portugal, USA und Malaysia. Dann kam das Angebot, das Zentrum aufzubauen. Dass ihre Heimatstadt Standort der neuen Fabrik werden würde, war lange nicht klar. „Am Ende hat sich die Dresden-Fraktion durchgesetzt“, sagt Nitsche. Die Sachsen stachen Taiwan und die USA aus. Die Nähe zu den Fabriken der Firmenmütter AMD und Infineon war ein Argument. Noch wichtiger: Die investorenfreundliche Verwaltung. Baugenehmigungen würden in kürzester Zeit erteilt - „schneller als für ein Einfamilienhaus“. Auch der Anschluss der Fabrik ans Busnetz kam auf Zuruf. Und natürlich gab es Subventionen.

Ein Franzose in Dresden

„447 Franzosen sollen in Dresden registriert sein“, sagt Gildas Sorin. Der Mann aus Paris ist Chef von Novaled. Die Firma wurde von Wissenschaftlern der Technischen Universität gegründet und will neuartige Leuchtdioden an den Markt bringen. „Als ich das Angebot bekam, dachte ich: Dresden? Da ist doch alles kaputt!“, sagt Sorin. Jetzt schwärmt er von der Elbstadt. Zuvor hatte Sorin bei den Konzernen Philips und Thomson Plasma-Bildschirme entwickelt. Der alte Fuchs aus der Branche schwört auf die neuen organischen Leuchtdioden von Novaled. Diese würden sich bei Handy- und Computerbildschirmen durchsetzen, weil sie weniger Strom verbrauchen, gleichmäßiger leuchten, einen höheren Kontrast und neue Produkte ermöglichten: leuchtende Tapeten oder Autokarosserien. Das überzeugte auch Finanzinvestoren: 15 Millionen Euro steckten sie Ende 2005 in die Firma. Stadt und Land Sachsen helfen auch: Novaled kam im Biotechnologiezentrum unter und zahlt wenig Miete für gut ausgestattete Räume. Zum Einzug schaute der sächsische Wirtschaftsminister vorbei. Politik, Wirtschaft und Wissenschaft, sagt Sorin, ziehen an einem Strang: „Technische Universität, elf Fraunhofer Institute, fünf Leibniz-Institute, die vielen High-Tech- Firmen - sie alle bilden ein dichtes kreatives Netzwerk“, sagt er.

Mit Netz und doppeltem Boden

Eines der wichtigsten Netzwerke in Dresden ist der bundesweit größte Industrieverband der Mikroelektronik: 220 Firmen sind „Silicon Saxony“ beigetreten, sie beschäftigen 17 000 Menschen, die jedes Jahr drei Milliarden Euro umsetzen. Ein Universitätsprofessor gründete das Netzwerk: Johann Bartha. Ohne diesen Verbund säße er fast allein in seinem Institut für Mikroelektronik: Denn zwanzig seiner 25 Stellen verdankt er Drittmitteln aus der Wirtschaft. Alle paar Jahre muss er wieder neues Geld heranschaffen, um die Forscher zu halten und die Projekte zu retten. „Das ist ein mühseliges Geschäft“, sagt Bartha. Andererseits werde so die Kluft zwischen Wirtschaft und Wissenschaft nicht zum Graben. Durch Netzwerke wie Silicon Saxony wächst die Zahl der Kooperationen rasant: So gründete die Technische Universität mit der früheren Siemens/Infineon-Tochter Qimonda eine gemeinnützige Gesellschaft zur Erforschung von Nanomaterialien. Ein Reinraum wurde am Institut eingerichtet - ohne das Geld der Wirtschaft wäre der nicht zu finanzieren.

Im Fluge produziert

„Die Luftfahrt stampft man nicht aus dem Boden“, sagt Horst Emker. Er ist Geschäftsführer der Elbe Flugzeugwerke. Die Dresdner Firma beschäftigt über 1000 Mitarbeiter und ist eine der erfolgreichsten Töchter des Airbus-Konzerns EADS. Emker glaubt: Hätten Dresdener Firmen nicht seit 1955 Flugzeuge entwickelt und gewartet, dann hätte es auch nach der Wende den erfolgreichen Ausbau nicht gegeben. Und jetzt geht es steil aufwärts: In diesem Jahr wurde für zehn Millionen Euro eine neue Halle gebaut - neue Jobs für 175 Menschen, 90 davon waren zuvor arbeitslos. Möglich wurde das nur durch Zugeständnisse der Gewerkschaft: Die Arbeitsverträge sind auf drei Jahre befristet, und die Leute arbeiten 38 Stunden in der Woche. „Das bringt uns einen Kostenvorteil“, sagt Emker. Der Tarifvertrag sieht das eigentlich nicht vor. „Aber ohne diese Einigung mit den Tarifparteien hätten wir hier nicht gebaut“, sagt Emker, „dazu sind wir viel zu abhängig von internationalen Nachfragezyklen“. Die Elbewerke können jährlich 20 Airbusse zu Frachtflugzeugen umrüsten. Die Nachfrage ist gut. Deshalb drängen nun auch die Chinesen in den Markt. Emker ist zuversichtlich, dass er mit der Erfahrung den Angriff parieren kann. Und so viel billiger seien Fachkräfte und Ingenieure in China auch nicht zu haben.

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