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Widerstandsfähige Stadt. Trotz der Pandemie-Folgen blicken Jürgen Allerkamp und Ramona Pop positiv in die Zukunft: Es gebe Hoffnung auf einen Aufschwung.

© Stefanie Loos/AFP

Wie entwickelt sich die Hauptstadt?: „Berlin ist smart und sexy – trotzt Corona“

Der Chef der Förderbank IBB geht in den Ruhestand. Zusammen mit der Wirtschaftssenatorin Ramona Pop blickt er auf die Lage Berlins. Ein Gastbeitrag.

Jürgen Allerkamp, 64, hat sechseinhalb Jahre die Investitionsbank Berlin (IBB) geleitet. Zuvor war er Vorsitzender des Vorstandes der Deutschen Hypothekenbank AG in Hannover.

Ramona Pop, 44, ist seit 2016 grüne Wirtschaftssenatorin und Bürgermeisterin von Berlin sowie von Amts wegen Verwaltungsratsvorsitzende der Investitionsbank Berlin (IBB).

Berlin überholt Bundesland für Bundesland. Die früher geteilte Stadt, als Hauptstadt der Arbeitslosigkeit und Haushaltsmisere verschrien, wird zur wachsenden Stadt. Menschen, Unternehmen, Gründer:innen zieht es an die Spree. Die Berlinerinnen und Berliner übertreffen mit ihrer wirtschaftlichen Aufholjagd bei der Pro Kopf Wertschöpfung den Bundesschnitt. Das Ziel: Berlin soll Nettozahler im Länderfinanzausgleich werden.

Und mitten in diese Erfolgsstory platzt Corona. In der ersten gemeinsamen Krisensitzung zwischen der Senatsverwaltung für Wirtschaft, der IBB und Vertreter:innen der Berliner Wirtschaft war das die zentrale Befürchtung.

Berlin, seit einigen Jahren erfolgreich dabei, seinen wirtschaftlichen Entwicklungsrückstand gegenüber dem Bundesgebiet aufzuholen, wird durch die Coronakrise besonders hart getroffen und die wirtschaftlichen Erfolge zunichte gemacht. Mit Blick auf Berlins Dienstleistungsgewerbe, die Gastronomie, der Tourismus und die Kreativwirtschaft, die eine weit überdurchschnittliche Bedeutung haben, nicht unberechtigt.

Alles Branchen, die Berlin gut durch die Finanzkrise von 2008 brachten. Doch Covid-19 ist anders. Die Lockdowns und Kontaktbeschränkungen treffen die Branchen besonders hart, in denen Berlin traditionell sehr stark war. Auch die kleinteilige Wirtschaftsstruktur Berlins mit den vielen Gründungen und Soloselbstständigen nährten unsere Zweifel, da kleine und junge Unternehmen, die sich noch keine Puffer zulegen konnten, naturgemäß krisenanfälliger sind als etablierte.

Nie intensiver zusammengearbeitet, als am Anfang der Pandemie

Und doch sehen wir uns heute, gut ein Jahr und mehr als vier Milliarden Euro Hilfszahlungen später in einer Situation, in der das Institut der deutschen Wirtschaft (IW), Köln, titelt: „Berliner Wirtschaft: resilient aber sexy?“ und zu dem Fazit gelangt, dass der ehemalige Slogan „arm aber sexy“ zunehmend als „aus der Zeit gefallen“ wirke. Manche reiben sich angesichts dessen verwundert die Augen.

Nie haben wir intensiver zusammengearbeitet als in den ersten Wochen der Coronakrise im Frühjahr des vergangenen Jahres. Tag und Nacht und an den Wochenenden wurde beraten und es wurden gemeinsame Entscheidungen getroffen.

Noch bevor die Bundeshilfen verfügbar waren haben wir in Berlin mit den Soforthilfen I ein Darlehensprogramm für akute Notlagen angeboten und mit der Soforthilfe II eine schnelle Hilfe für Kleinstunternehmen und Solo-Selbstständige. Berlin definiert den Begriff Team so: Together everyone achieves more.

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Das IW wiederum formuliert mit Fragezeichen, denn leider liegt die Krise noch nicht hinter uns und bietet weitere Unwägbarkeiten, von denen wir hier nur die Delta-Virusvariante erwähnen wollen.

Aber es gibt deutliche Anzeichen dafür, dass Berlin nur mit ein paar Blessuren davonkommen könnte und sogar besser durch die Krise kommt als viele andere Bundesländer mit ihrer traditionelleren und vermeintlich auch stabileren Unternehmensstruktur. Die wirtschaftliche Basis der Stadt hat das Land Berlin durch massive und besonders in der Anfangszeit schnelle Hilfsprogramme zusammen mit dem Bund gestützt. Durch gezielte und teils sofort verfügbare Hilfen durch die Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe und IBB, konnten mehr als 440 000 Arbeitsplätze durch die Corona-Pandemie hindurch gesichert werden.

Der Rückgang des Bruttoinlandsprodukts viel deutlich geringer aus als im Bundesvergleich

Die Berliner Wirtschaft hat zwar im Jahr 2020 mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 3,3 Prozent auch einen Dämpfer erlitten, aber der Rückgang fiel deutlich geringer aus als im Bundesvergleich, wo die Wirtschaft um 4,9 Prozent einbrach. Inzwischen stehen die Zeichen in Berlin wieder auf Wachstum. So gehen wir derzeit davon aus, dass das Berliner BIP 2021 um gut drei Prozent steigen wird. Trotz einer höheren Arbeitslosigkeit setzt sich der Beschäftigungsaufbau in der Krise fort.

Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten stieg im März im Jahresvergleich sogar um 8 550 auf 1,57 Millionen. Damit lag Berlin 0,5 Prozentpunkte über dem deutschen Schnitt. Ein kräftiges Wachstum verzeichnen aktuell die Auftragseingänge in der Berliner Industrie (+12,2 Prozent) und die Exporte mit gut elf Prozent. Die Berliner Wirtschaft zeigt sich also deutlich krisenfester als von vielen erwartet.

Jürgen Allerkamp.
Jürgen Allerkamp.

© Britta Pedersen/dpa

Der Grund liegt in einer neuen Widerstandsfähigkeit neuer und spezialisierter Berliner Wirtschaftszweige. Berlin ist mittlerweile viel mehr als Gastro, Hotel und Tourismus – auch, wenn diese Branchen wichtig bleiben. Zu Berlin gehören insbesondere die Gesundheitswirtschaft, die Digitalwirtschaft sowie freiberufliche und technische Dienstleistungen. So verzeichnen 2020 neben der pandemiebedingt starken Gesundheitsbranche vor allem die Branchen Informationsdienstleistungen (+11,5 Prozent) und Informationstechnologie (+3,0 Prozent) deutlich steigende Umsätze gegenüber dem Vorjahreszeitraum.

Ebenso stemmen sich Post- und Kurierdienste (+14,8 Prozent), Architekturbüros und Labore (+2,8 Prozent) sowie Unternehmensberatungen (+7,8 Prozent) gegen den Trend. Die Berliner Industrieunternehmen konnten ihre Umsätze 2020 sogar um 2,1 Prozent steigern, während sie deutschlandweit um 8,8 Prozent fielen.

Die Krise traf das Gastgewerbe mit voller Wucht

Auch das Bauhauptgewerbe konnte seine Umsätze um 6,6 Prozent auf 4,8 Milliarden Euro steigern. Während der pandemiebedingten Schließungen von Gastronomie und Schulen wurden die Zeit oft für Bau- und Renovierungsmaßnahmen genutzt, und die Arbeit auf den Baustellen lief meist weiter. Erwartungsgemäß trifft die Krise das Berliner Gastgewerbe leider weiter mit voller Wucht. Die Umsätze sanken in 2020 um 49 Prozent, im ersten Quartal 2021 sogar um knapp 70 Prozent.

Aufgrund des wiederholten Stillstands des nationalen und internationalen Tourismus brachen die Gästezahlen von Januar bis April sogar um 83 Prozent ein. Dass diese Rückgänge durch die positive Entwicklung in anderen Branchen nahezu kompensiert werden konnten, ist für die betroffenen Gastronomie- und Beherbergungsbetriebe nur ein schwacher Trost. Diese hart getroffenen Branchen erholen sich durch die Öffnungsschritte, benötigen aber dennoch weiterhin unsere solidarische Unterstützung.

Die Überbrückungshilfe III und die Neustarthilfe laufen bis August

Die Überbrückungshilfe III und die Neustarthilfe laufen noch bis Ende August. Hier sind Unternehmen grundsätzlich antragsberechtigt, wenn sie vor dem 31. Oktober 2020 gegründet wurden. Der Härtefallfonds und ergänzende Angebote in einigen Ländern sind eingeführt. In Berlin ist die Neustarthilfe des Bundes um eine „Neustarthilfe Berlin“ in Höhe von 150 Millionen Euro aufgestockt worden, auch um den vielen Soloselbstständigen und Kleinstunternehmen einen besseren

Start aus der Krise zu ermöglichen. Sieht die Neustarthilfe des Bundes einen Fördersatz von 50 Prozent des Referenzumsatzes vor, liegt die Berliner Förderung für Soloselbstständige bei 75 Prozent. Damit unterstützt das Land Berlin insbesondere Soloselbstständige, die im Jahr 2019 niedrige Umsätze erwirtschaftet haben. Der maximale Fördersatz bleibt bei 7500 Euro.

Ramona Pop.
Ramona Pop.

© Britta Pedersen/dpa

Wie wird es nach der Corona-Krise weitergehen? Die Long-Covid-Folgen für breite Teile der Wirtschaft wie nachlaufende Insolvenzen, weitergehender Strukturwandel und die steigende Verschuldung der Staats- und Landeshaushalte, werden sich nach dem Abklingen der akuten Symptome erst nach und nach zeigen. Die Förderpolitik des Landes und der IBB wird sich jeweils flexibel darauf einstellen. Konjunktur- und Innovationsförderprogramme werden zunehmend die Hilfsprogramme ersetzen, um Wachstumsimpulse zu geben.

Denn die Krise hat vor allem auch gezeigt: Die Ausrichtung der Berliner Wirtschaft ist grundsätzlich richtig und erfreulich resilient. Das Abklingen der Krise und eine rasche Erholung der Wirtschaft dürfte die Zuwanderung junger Arbeitskräfte aus den europäischen Nachbarländern wieder befördern. Davon wird dann vor allem die Hauptstadt profitieren, wo weiterhin gut ausgebildete Fachkräfte händeringend gesucht werden, zum Beispiel in der boomenden Digitalwirtschaft.

Die gemeinsame Innovationspolitik mit Brandenburg hat sich ausgezahlt

Warum ist Berlin resilienter? Es hat sich in der Krise ausgezahlt, dass sich die gemeinsame Innovationspolitik in Berlin und Brandenburg unter dem Motto „Stärken stärken“ gezielt auf die Entwicklung zukunftsfähiger Strukturen in fünf Clustern konzentriert hat. Neben dem Bereich „IKT, Medien Kreativwirtschaft“ sind dies die Gesundheitswirtschaft, der Bereich „Verkehr, Mobilität und Logistik“, die Energietechnik sowie „Optik und Photonik“.

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Berlin hat in den vergangenen Jahrzehnten mit der Ausrichtung auf diese Zukunftsfelder auf die richtigen Wirtschaftsbereiche gesetzt und verfügt heute über ein diversifiziertes und in Teilen krisenresistentes Dienstleistungsspektrum. Vor allem die Digitalwirtschaft hat mit einem überproportionalen Wachstum in der letzten Dekade einen entscheidenden Beitrag geleistet. Nirgendwo ist die Zusammenarbeit von Wirtschaft, Wissenschaft und Kreativbranche ausgeprägter.

Die Berliner Wirtschaft lebt von ihrer Diversität, die immer wieder Raum für Neues zulässt. Hier sind auch die Ansätze für eine Weiterentwicklung nach der Krise zu suchen. Wir blicken positiv in die Zukunft. Dank fortschreitender Impfkampagne und sinkenden Infektionszahlen gibt es für die Berliner Wirtschaft Hoffnung für einen spürbaren Aufschwung. Die Erfolgsgeschichte unserer Stadt wird auch nach der Pandemie weitergehen.

Ramona Pop, Jürgen Allerkamp

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