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Akten des Verbrechens. Die Ausstellung über das SS-Amt Unter den Eichen bietet viel Lesestoff.

© Thilo Rückeis

Wie funktionierte die NS-Verwaltung?: Staatsterror, sauber abgeheftet

Eine Ausstellung in Steglitz über Hitlers Schreibtischtäter zeigt den Angestellten-Alltag im Dienst der NS-Staatsverbrechen. Erstaunlich deutlich wird, wie die Mitarbeit in der Verwaltung eines Verbrechersystems es erleichtert, individuelle Verantwortung zu verdrängen.

Die Bürogeschichte spielt vor rund 70 Jahren. Grau marmorierte Stellwände mit der Anmutung von Leitzordnern geben als nischenbildende Paravents der Dokumentation Struktur. Auf solch einer Wand blicken den Besucher 22 Porträts an, darunter Bürorufnummern der Männer, Lebensdaten, Ziffern ihrer Amtszimmer in einem riesigen Gebäudekomplex, an den Adressen Schlossstraße 60–62, Unter den Eichen 126, Begonienplatz, Botanischer Garten ... Die Angestellten sind uniformiert oder in Zivil, sie tragen Schlips oder Fliege, wirken smart, verwegen, bullig, nett, schlitzohrig oder kantig. Gelernt hatten sie Kaufmann, Bäcker, Arzt, Bankbeamter, Ingenieur, Schreiner, Anwalt oder Notar. Ihre Karriere fanden sie in dem Lichterfelder Verwaltungszentrum.

„Hitlers Schreibtischtäter. Das SS-Amt Unter den Eichen“ heißt die vom Kulturamt Steglitz-Zehlendorf realisierte Ausstellung. Dass Angestellte des SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamtes (WVHA) als Arbeitgeber und Vermieter von 500 000 KZ-Häftlingen, als Manager von 60 Einzelunternehmen, als Organisatoren der Bauten in 650 Haupt- und Nebenlagern, als KZ-Inspekteure und Verwerter des Häftlingsbesitzes an Verbrechen gegen die Menschheit beteiligt waren, wurde nach 1945 zunächst kaum verstanden. Wenige wurden verurteilt.

Controlling des Sklaven-Imperiums

1951 suchte eine hochrangige Bundestagsdelegation gegen das einzige im WVHA-Prozess gefällte Todesurteil beim Hohen US-Kommissar eine Begnadigung zu erwirken: Vor Gericht hatte der WVHA-Chef, SS-Gruppenführer und Generalleutnant der Waffen-SS Oswald Pohl sich als unschuldigen, überforderten Pflichterfüller dargestellt, die Deutschen waren auf seiner Seite. Die Ausstellung präsentiert nicht nur das ab 1938 sich bildende Immobilienreich, in dem Pohls Verwaltung des Staatsterrors logierte. Sie vermittelt eine Ahnung davon, wie administrative Abstraktion es den Mitwirkenden eines Verbrechersystems erleichtert, persönliche Verantwortung zu verdrängen.

Büro-Alltag vermischt sich mit dem Controlling eines Sklaven-Imperiums, mit kultureller Promotion für eine Mörderideologie. Auf dem Geburtstagskalender der Chefsekretärin stehen Spitznamen wie „Rickipitzi“ (für den Auschwitz-Kommandanten Richard Baer) oder „Hiddipitzi“ (dessen „1. Freundin“) oder „Vorgartenzwerg“ (für Hans Baier, Spitzenmanager vieler SS-Firmen). Verkaufsartikel der Porzellanmanufaktur Allach, wie der im KZ Dachau gefertigte Julfestleuchter, werden als „Schönheit mit der SS-Rune“, als Ersatz für Kirchenmythen empfohlen. Unter den Eichen 126 residierte auch die Sudetenquell GmbH, Mineralwasserfabriken der SS, die beim Ausbau ihrer Brunnen Zwangsarbeiter und Häftlinge einsetzte und drei Viertel des Marktes beherrschte.

Agitationsbücher des Nordland-Verlages

Neben dem auf KZ-Plantagen erzeugten „Prittlbacher Gewürz mit Pfeffergeschmack“ der Deutschen Versuchsanstalt für Ernährung und Verpflegung sind Agitationsbücher des an der Stresemann (damals: Saarland-)straße logierenden, SS-eigenen Nordland-Verlages zu sehen. Dazwischen: Briefe der Deutschen Ausrüstungswerke GmbH (DAW), die für Baracken- und Möbelbau Gefangene in Auschwitz, Buchenwald, Dachau, Fürstenwalde, Lemberg, Lublin, Neuengamme, Ravensbrück, Sachsenhausen, Stutthoff beschäftigte. Eine Ende März ’45 in Weimar aufgesetzte bizarre „Bilanz des Werkes Auschwitz“ demonstriert, wie der unterzeichnende Obersturmführer als Konzern-Apparatschik gegenüber dem WVHA-Generalbevollmächtigten Josef Overbeck beklagt, dass „die gesamten kaufmännischen Arbeiten in diesen Werken jeder Beschreibung spotten“. Der verantwortliche Buchhalter dürfe „nach Beendigung des Krieges“ nicht mehr als solcher bei der DAW eingesetzt werden.

Overbeck selbst wurde nie angeklagt, arbeitete bald wieder als Prokurist und Direktor. Die Zwei-Zimmer-Ausstellung zeigt dem, der sich Zeit zum Lesen nimmt, wie Menschen funktionieren. Zwischen den Zeilen steht die Frage, wie man eigentlich sicher sein kann, sich im Fall der Fälle anders zu verhalten.

Hitlers Schreibtischtäter. Das SS-Amt Unter den Eichen. Schwartzsche Villa, Grunewaldstr. 55, Di–So, 10–18 Uhr, bis 23.2.2014

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