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Berlin: Wie im Bilderbuch

Ein Kiez stellt sich aus und zeigt seine Kunst: Galeristen laden heute zum Schöneberger Art Walk.

Kleine Boutiquen, gemütliche Cafés, Kunst- und Antiquitätenhändler, eine lebendige Schwulen- und Lesbenszene. Der bunte Kiez im Schöneberger Norden ist längst kein Geheimtipp mehr. Seit einigen Jahren öffnen auch wieder vermehrt Kunstgalerien. Einige von ihnen haben sich zusammengeschlossen und bieten jeden letzten Sonnabend im Monat einen Kunst- und Kulturspaziergang durch den Kiez an, den Schöneberger Art Walk.

Ein Flyer lotst die Kunstinteressierten von Galerie zu Galerie, zehn Stationen junger Kunst gibt es insgesamt. In der Mianki-Galerie von Andreas Herrmann in der Kalkreuthstraße hängt farbiges Garn in den Raum hinein, Künstlerin Claudia Kallscheuer hat aus den Fäden alltägliche, scheinbar belanglose Dinge auf Leinwände gestickt, eine Frau am Strand, schier endlose Berliner Wetterberichte in Schreibschrift. In der Galerie von Kit Schulte in der Winterfeldtstraße hängen die abstrakten Farbstudien aus Metall von David Buckingham aus Los Angeles und Papierkollagen auf Holz und Leinwand von Rex Ray aus San Francisco. Die Idee brachte Schulte aus San Francisco mit, wo sie jahrelang lebte und eine Galerie hatte. Den Art Walk hatte sie bereits dort veranstaltet. Bei der Rückkehr nach Berlin war dann Schöneberg dran, bei einem Frühstück in Schultes Galerie im vergangenen Frühjahr beschlossen die Galeristen die Umsetzung, am 1. Juli war dann Premiere. „Wir sind alles junge Galerien und möchten uns die Gäste hin- und herschicken“, sagt Herrmann.

Auch viele andere Bezirke lassen sich anhand von Kunstspaziergängen entdecken. Am 1. und 2. September findet zum dritten Mal „Artkreuzberg“ statt, ein Rundgang durch mehr als 70 Ateliers und Galerien im Graefe- und Bergmannkiez. „Die Künstler, die hier leben und arbeiten, sollen sich zeigen können“, sagt Organisator Kurt Schwarzmeier. Viele hätten sonst nur wenig Publikumsverkehr. Der kostenlose Rundgang sei in den Vorjahren sehr gut angenommen worden. Die Künstlerszene in den Kiezen kämpfe mit den steigenden Mietpreisen. „Viele geben ihre Ateliers auf“, sagt Schwarzmeier. Dafür würden in der Katzbachstraße, im Westen des Viktoriaparks, viele neue öffnen.

In Charlottenburg tun sich jedes Frühjahr über 30 Galerien für den „walkaroundcharlottenburg“ zusammen, und selbst in Schöneberg gibt es mit dem „Schöneberger Galerierundgang“ im Herbst noch einen weiteren dieser Spaziergänge für Kunstinteressierte.

Das Besondere am Art Walk von Herrmann und Schulte ist die Kiezbezogenheit. Wer die Gegend nicht selbstständig entdecken möchte, kann sich geführten Rundgängen anschließen. Zwei Routen gibt es zu verschiedenen Galerien, einmal 900 Meter lang, einmal 1,9 Kilometer. Kunsthistorikerin Constanze Musterer bringt die Gäste dann nicht nur zu den Galerien, sondern erzählt auch über den Kiez, dessen Geschichte und Gegenwart. Dass zum Beispiel Maler Edwin Dickmann in einer kleinen Atelierwohnung in einem Hinterhof der Kluckstraße 35 gelebt hatte, dass Else Lasker-Schüler in der Motzstraße wohnte, dass es in der Pohlstraße 72 den Ruinengarten „Die Schröders sind eingezogen“ von Dieter Fenz und Ladislaus Pradl gab. Musterer erzählt auch über den Club Goya am Nollendorfplatz und über die nur 2,9 Kilometer lange U-Bahn-Linie 4, die Anfang des 20. Jahrhunderts gebaut wurde, als Schöneberg noch nicht zu Berlin gehörte. „Was interessant ist, was die Stadt eben ausmacht“, sagt Musterer. „Schöneberg war schon immer ein Künstlerbezirk.“

In den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts vergnügten sich Marlene Dietrich, Wilhelm Bendow oder Claire Waldorff nächtelang im Tanzlokal Eldorado, Liza Minnelli drehte im Kiez die Musicalverfilmung „Cabaret“. Später veränderte sich der Kiez, in den 80er Jahren kamen die Hausbesetzer, dann die bürgerlichen Bewohner. „Als ich vor vier Jahren die Galerie öffnete, sagten die Leute, ich sei wahnsinnig, weil es da keine Galerien gab“, sagt Herrmann. Nun würden es immer mehr, auch an der Potsdamer Straße. „Im Schöneberger Norden findet ein Umbruch statt.“ Neue Geschäfte, junge Leute und eben Galerien. „Hier gibt es aber keinen Bevölkerungsaustausch wie in Mitte und Prenzlauer Berg“, sagt Herrmann. Den werde es auch nicht geben, glaubt Schulte. „Die Struktur ist hier zu gewachsen.“ Die Macher des Art Walks planen, künftig Gespräche mit den Künstlern in die Tour einzubinden. Und sie wünschen sich die Unterstützung des Bezirks.

Schöneberger Art Walk, am heutigen und jeden letzten Sonnabend im Monat, 11-18 Uhr, Führungen 11-13 Uhr, 15-17 Uhr für 10 Euro, bis 13 Jahre gratis, Informationen im Netz unter www.schoenebergerartwalk.de

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