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Kiunderfüße brauchen zur Entwicklung vor allem Platz. Also so oft wie möglich barfuß laufen.

© picture alliance / dpa

Wie kaufe ich richtige Kinderschuhe?: Erste Schritte ins Leben

Kinderfüße sind bei der Geburt noch nicht fertig, sondern formbar. Das Skelett entwickelt sich erst später. Deshalb ist es wichtig, darauf zu achten, was die Kleinen unten tragen. Ein paar Hinweise für den richtigen Schuhkauf.

Gut 15 Jahre dauert es im Durchschnitt, bis ein Fuß fertig ist. Kommt ein Kind auf die Welt, sind die Knochen in seinen Füßen noch Knorpelgewebe, also weich und formbar. Schutz bietet allein eine dicke Fettschicht. Sie lässt die Kinderfüße so kompakt und knuffig aussehen, dass Eltern die Füße des Sprosses gerne fotografisch festhalten. Erst nach und nach entwickelt sich hier das Skelett. Wenn die Kleinen mit dem Stehen und Laufen beginnen zum Beispiel, bilden sich das Längs- und das Quergewölbe des Fußes aus.

Die allermeisten Kinder werden mit gesunden Füßen geboren. Tritt in seltenen Fällen doch einmal eine Fehlbildung auf, handelt es sich dabei häufig um genetische Ursachen. Für alle anderen Fehlstellungen und Anomalitäten, die sich in den ersten Lebensjahren bilden, gibt es hauptsächlich drei Ursachen: schlechtes Schuhwerk, mangelnde Bewegung und Übergewicht.

„Kinderfüße sind aufgrund ihrer anatomischen Beschaffenheit noch ein Stück weit modellierbar“, sagt Tanja Kostuj von der Deutschen Assoziation Fuß und Sprunggelenk (D.A.F.). „Mit den Schuhen kann man tatsächlich einiges falsch machen und mitunter auch einen dauerhaften Schaden anrichten. So weiß man inzwischen, dass zu enge und zu kurze Schuhe die Entwicklung von Krallenzehen oder eines Hallux Valgus, also einer oft schmerzhaften Fehlstellung des großen Zehs, begünstigen können.“

Spielarten der Natur

Die ersten Merkwürdigkeiten fallen Eltern meist dann auf, wenn die Kinder ihre ersten Schritte zurücklegen: Der eigene Sohn läuft nur auf den Zehenspitzen, sein Kumpel vom Spielplatz hingegen balanciert auf den Außenkanten der Füße, die Tochter der Freundin hat scheinbar überhaupt kein Fußgewölbe. Hier ist es ein Leichtes, in Panik zu verfallen und schnell einen Termin beim Kinderorthopäden auszumachen. Doch Experten wie Tanja Kostuj raten zu Geduld: „Das sind Spielarten der Natur, und die allermeisten davon verschwinden von ganz alleine wieder, bis das Kind in die Schule kommt.“

Damit sich Kinderfüße gesund entwickeln können, brauchen sie vor allem eines: Platz. Die luxuriöseste Variante dafür ist das Barfußlaufen. So oft wie nur irgend möglich sollten Kinder auf nackten Sohlen unterwegs sein. „Das kräftigt die Fußmuskeln und stärkt die Sensorik des Fußes“, sagt Kostuj. Wenn der Fußboden daheim im Winter zu kalt ist, helfen sogenannte Stopper- oder Anti-Rutsch-Socken. Die halten den Fuß warm und verhindern Rutschunfälle. Barfuß laufen beeinflusst auch das Wachstum der Fuß- und Beinknochen positiv: Durch die permanenten Stoß- und Druckimpulse am Fuß bekommen die Knochen die Info, dass sie hier an dieser Stelle gebraucht werden, sie bauen ihre Strukturen also besonders dicht. Ein großes Plus, von dem die Kinder im Alter zehren können, wenn die Knochendichte wieder abnimmt und Brüche wahrscheinlicher werden. Dass der Spruch „Form follows function“ bei der Entwicklung der Füße eine Rolle spielt, beobachten Wissenschaftler weltweit schon lange mit großer Faszination. So haben afrikanische Kinder beispielsweise andere Fußformen als schwedische – sie haben sich an die unterschiedlichen topographischen Bedingungen und das häufigere Barfußlaufen angepasst.

Inzwischen gibt es einige Hersteller sogenannter Barfußschuhe, die nur dünne Sohlen haben und dem Barfußlaufen so recht nahekommen. Generell gilt: Eine dicke Dämpfung ist bei Kinderschuhen nicht nötig. Werden die Füße zu sehr geschont, lernen sie nicht, die ihnen von Natur aus zugedachten Aufgaben zu übernehmen. Schuhe, da sind sich die Experten einig, können ein normales Gehen auch verändern und so in späteren Jahren zu Knie-, Hüft- und Rückenproblemen führen. Die Füße sind die Basis unseres Skeletts, kommt es hier zu Fehlhaltungen, setzt sich das sukzessive im gesamten Körper fort.

Wie schwierig es ist, bei Kinderschuhen die richtige Wahl zu treffen, haben Schweizer Wissenschaftler bereits vor zehn Jahren bewiesen. „Unsere Arbeit damals hat heftige Wellen geschlagen“, erinnert sich Norman Espinosa, Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Medizin und Chirurgie des Fußes. Die Mediziner haben die Füße von 250 Kindern vermessen und mit der von den Herstellern für diese Länge angegeben Schuhgröße verglichen. Das Ergebnis: 80 bis 90 Prozent der Schuhe waren falsch deklariert. „Wo also eine 31 drauf stand, war nur eine 28 oder 29 drin“, sagt Espinosa.

Bei den Schuhgrößen herrscht international Chaos

Erschwerend kommt hinzu, dass es kein international einheitliches System für Schuhgrößen gibt. In Kontinentaleuropa basieren Schuhgrößen auf dem „Pariser Stitch“. Ein Pariser Stitch entspricht zwei Drittel Zentimeter, gerundet also 6,67 Millimeter. Für einen 15 Zentimeter langen Kinderfuß ergibt das also – plus 15 Millimeter Zugabe und dann geteilt durch 6,67 Millimeter – die Schuhgröße 24,74. Da es bei uns keine halben Größen gibt, Größe 25. Die Briten legen ihren Schuhgrößen ein Gerstenkorn, englisch barley corn, mit einer angenommenen Länge von einem Drittel Zoll, also 8,46 Millimeter, zugrunde. In diesem System hätte das Kind die Schuhgröße 19 ½.

Auch die Amerikaner berechnen theoretisch im Gerstenkorn-System, legen aber bei Kinder-, Männern- und Frauenschuhen unterschiedliche Nullpunkte fest – und ab hier wird es dann sehr unübersichtlich. Umso mehr, wenn man auch noch Schuhe eines japanischen Herstellers kaufen möchte. Experten raten davon ab, einfach Umrechnungstabellen à la „eine deutsche 25 ist eine britische 19 ½“ zu Rate zu ziehen, da sich bei derlei Umrechnungen und Verschiebungen teils minimale Unterschiede ergeben können, die eine große Auswirkung auf die Passform haben. Norman Espinosa rät dringend dazu, vor jedem Schuhkauf die Füße des Kindes neu zu vermessen.

Ist vorne noch Luft? – fragt Mama und drückt einmal ordentlich auf die Schuhspitze. „Was sie dabei nicht mitbekommt: Der Spross zieht reflexartig die Zehen zurück. Der Eindruck, ach, da ist noch Platz, täuscht also oft“, sagt Espinosa. Noch ein Argument dafür, die Füße ordentlich zu messen und die obligatorische Zugabe von 12 bis 15 Millimeter hinzuzurechnen.

Wer sich an die Expertenempfehlungen hält und dafür Sorge trägt, dass Kinderfüße oft barfuß auf Tour gehen können und andernfalls richtig gebettet sind, der muss sich wenig Gedanken machen. „Das Potential der Natur, Dinge zu korrigieren, ist enorm, das sollte man nicht unterschätzen und bei der kleinsten Anomalie mit Einlagen oder einer Therapie beginnen“, sagt Espinosa. Ein großes Problem der Neuzeit sei die Überbehandlung, er rät Eltern wie auch Ärzten und Therapeuten zu mehr Gelassenheit. „Ein Knick-Senk-Fuß mit Schmerzen ist natürlich behandlungsbedürftig, aber es gibt durchaus Kinder, die diese Fehlstellung haben und ohne Schmerzen laufen können, die brauchen erst mal keine Therapie.“

Das beste Training für gesunde Füße ist es, sie zu benutzen. Und zwar weit über den Schulweg und den Gang vom Kinderzimmer in die Küche hinaus. Springen, rennen, schleichen, balancieren, trippeln, tanzen, sprinten – das tut Füßen gut!

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Claudia Füssler

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