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Berlin: Wie man Risiken verschiebt

Neues Kapitel im Bankenskandal: erstmals zwei frühere LBB-Vorstände vor Gericht

So ein Bankvorstand hat ständig wichtige Papiere zu unterschreiben. Die Unterschriftenmappe wird ihm vorgelegt, er signiert, dann nimmt die Sekretärin die Mappe wieder mit und legt sie in einen Verteilerschrank, wo sie der Bote abholt und weiterträgt. Da kann sich der Vorstand nicht jedes Schriftstück so genau angucken und sich schon gar nicht alles merken. Auf diese schlichte Version läuft hinaus, was zwei frühere Bankvorstände gestern vor dem Berliner Landgericht zu ihrer Entlastung vortrugen. Vieles haben sie vergessen, anderem keine Bedeutung beigemessen.

Angeklagt sind der 60-jährige Ulf-Wilhelm Decken, früher Vorstandschef der Landesbank Berlin (LBB), und der 63-jährige Jochem Zeelen, einst Immobilien-Vorstand der LBB. Gegen sie begann gestern vor einer Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts der Prozess, weil sie die Lage ihrer Bank in drei Jahresabschlüssen unrichtig dargestellt haben sollen.

Die Vorgeschichte: In den 90er Jahren stieg die LBB in das Geschäft mit Immobilienfonds ein. Sie versprach Anlegern Traumbedingungen, wie es sie noch nie gegeben hatte – alle Risiken trug die Bank. Die Nachfrage war riesig, und sie konnte nur befriedigt werden, indem immer mehr Häuser dazugekauft wurden. Doch dafür brauchte man Geld. Für jedes neue Haus wurde eine eigene Objektgesellschaft gegründet, die neue Kredite aufnahm. Nur wollte natürlich niemand persönlich dafür verantwortlich sein, dass die Kredite auch zurückgezahlt würden. Deshalb ließen sich die Gesellschafter intern von der Haftung freistellen, das bekamen sie schriftlich. Und einige dieser Freistellungserklärungen tragen die Unterschriften der Angeklagten.

Deswegen stehen die nun vor Gericht – dabei wollen sie gar nicht verantwortlich sein. „Das Immobiliengeschäft fiel nicht in meinen Geschäftsbereich“, sagt Decken, und Zeelen, der immerhin im Vorstand für Immobilien zuständig war, betont, dass er sich nicht für kompetent hält. Er sei weder Jurist noch Bilanzspezialist.

Die Freistellungserklärungen – das ist der Vorwurf – hätten dazu führen können, dass die Bank bis zu 7,7 Milliarden Euro zahlen muss. Das hätte nach Ansicht der Staatsanwaltschaft im Jahresabschluss der Bank erwähnt werden müssen – wurde es aber nicht. Für die Ankläger steht fest: Schulden gehören über den Strich einer Bilanz, Risiken – also drohende Forderungen an die Bank – mindestens in den Anhang darunter. Nichts davon sei hier geschehen. Das sei strafbar nach dem Handelsgesetzbuch. Obendrein hätten die Angeklagten dieses Milliardenrisiko bewusst geheim gehalten.

Decken und Zeelen geben eine Erklärung ab, jeder für sich. Sie weisen die Vorwürfe zurück. „Ich habe nichts verheimlicht“, sagen sie nacheinander. Es ist das erste Mal, dass sie sich zur Sache äußern. Vor dem Untersuchungsausschuss des Abgeordnetenhauses hatten sie mit Blick auf das laufende Verfahren die Aussage verweigert. Decken sagt vor Gericht, er fühle sich vorverurteilt. „Ich lebe seit drei Jahren mit dem Vorwurf, den Bankenskandal mitverursacht zu haben, mit enormen Folgen für den Steuerbürger.“ Jetzt wolle er sagen, wie es wirklich war. Alle Risiken seien in den Abschlüssen enthalten gewesen. Die Freistellungserklärungen hätten überhaupt nicht in die Bilanz hineingehört, weil durch sie keine weiteren Risiken begründet worden seien. So oder so hätte am Ende die Bank für ihre Tochtergesellschaften gehaftet. Niemand habe damals den Erklärungen größere Bedeutung beigemessen.

Ob die von ihm unterzeichneten Freistellungserklärungen bei der Bilanzabteilung eingegangen seien, habe er nicht überprüft, sagte Decken. Darauf habe er sich einfach verlassen. Gegenüber den Wirtschaftsprüfern habe er irrtümlich angegeben, dass es keine Freistellungserklärungen gebe: „Ich hatte die Erklärungen schlicht und einfach vergessen.“

Neben den erwähnten Fondsgesellschaftern wurden auch die persönlich haftenden Gesellschafter der Weberbank von der Haftung freigestellt, ohne dass dies im Jahresabschluss aufgetaucht wäre, auch darauf erstreckt sich die Anklage. „Die Landesbank stand doch ohnehin für die Weberbank gerade“, sagte Zeelen dazu. Außerdem könne kein Mensch im Ernst davon ausgehen, dass Einzelne für Milliarden-Risiken haften würden – das sei nicht lebensnah. Beide Angeklagten sagen, schon seit 1991 seien Freistellungserklärungen erteilt worden, ohne dass jemand das beanstandet hätte, und das werde bis heute so gehandhabt.

Dies ist der erste Strafprozess gegen frühere Chefs der Landesbank, die zur Berliner Bankgesellschaft und damit zum Komplex des Bankenskandals gehört. Entsprechend hoch sind die Erwartungen. Im Saal B 129, der im Neubau des Gerichtskomplexes in Moabit liegt, ist es heiß und stickig. Decken hat eine Wasserflasche und Pappbecher dabei. Die Öffentlichkeit hat hohe Erwartungen an diesen Prozess, das weiß er.

Die Immobiliengeschäfte seiner Bank waren eine der Ursachen für die Schieflage der Bankgesellschaft, die nur vor der Pleite gerettet wurde, weil das Land Berlin die Risiken übernahm. In den Augen der Öffentlichkeit stellt sich das dann so dar: Bankmanager verursachen Millionenlöcher im Landeshaushalt, auf der anderen Seite werden Kitaplätze gestrichen, Stellen abgebaut, Schulen verrotten.

„Decken und Zeelen gehören zu den Erfindern der Rundum-Sorglos-Garantien“, sagte der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses, Frank Zimmermann, der allerdings beim Prozess nicht anwesend war. Aus Zimmermanns Sicht waren die Objektgesellschaften bloße Vehikel zur Kreditbeschaffung, die Gesellschafter Strohmänner, die Freistellungserklärungen geheim gehaltene „Tresorvereinbarungen“. So habe verschleiert werden sollen, dass man das Kreditrisiko auf die Bank und damit auf den Steuerzahler abgewälzt hatte.

Der Prozess wird am Montag fortgesetzt. Die Tatsachen sind relativ klar, ihre Bewertung völlig unklar. Welche Bedeutung hat eine Freistellungserklärung? Gehört sie in die Bilanz oder nicht? Damit muss sich das Gericht nun befassen, ohne dass es sich an einer bestehenden Rechtsprechung orientieren könnte.

Fatina Keilani

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