zum Hauptinhalt

Berlin: Wie Moses ins Quoten-Schlamassel geriet

Vor der Akademie des Jüdischen Museums entsteht ein Platz: Dafür sucht der Bezirk den Namen einer Frau. Am Donnerstag tagt die Benennungskommission.

Kreuzberg bekommt einen schönen neuen Platz: Gegenüber dem Jüdischen Museum (JMB), auf der anderen Seite der Lindenstraße, entwickelt sich am spektakulären zweiten Libeskind-Bau von Berlin ein interessanter Ort, der einen passenden Namen erhalten soll. Einen Frauennamen, sagen Bezirkspolitiker. Den Quotenansatz findet allerdings die Programmdirektorin des JMB, das der einzige Anrainer dieser Adresse sein wird, weniger gut. Cilly Kugelmann hat nichts gegen Frauennamen, meint aber, hier müsse auch die Meinung des Museums eine Rolle spielen.

Straßennamen erzählen Geschichte. Der Tag, an dem die Quote als Korrektur der Berliner Vergangenheit Geschichte zu machen begann, war der 17. Juni 2004. Damals genehmigte die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Mitte eine Ergänzung ihres einstimmigen Beschlusses vom Juni 2002, der besagt hatte, künftig sollten für Plätze und Straßen „Frauen, die gegenüber Männern in der Benennung immer noch die Minderheit sind“, besonders berücksichtigt werden. Dieses Kriterium, lautete die Präzisierung 2004, sei „so lange in Anwendung zu bringen, bis ein Gleichstand zwischen den Geschlechtern in der Benennung von Straßen und Plätzen“ erreicht sei.

Seitdem haben auch andere Bezirke solche Regeln erlassen, mit unterschiedlichen Erfahrungen. Der Pankower Bezirksstadtrat Jens-Holger Kirchner kritisiert die Linie nicht, macht aber die Erfahrung, dass ihm zu wenig passende Frauen vorgeschlagen werden. Dagegen bekräftigt Christiane Hoff, Vorsitzende des Ausschusses für Bildung und Kultur der BVV Mitte, ihr lägen genug Namen vor: „Wenn wir die alle verwenden, müssten wir die gesamte historische Mitte neu benennen.“ Der Beschluss werde nicht starr umgesetzt, doch müsse im Falle begründeter Ausnahmen – so bei der auf Wunsch des Senats eingeführten Yitzhak-Rabin-Straße – die BVV zustimmen. Hoffs ungetrübte Sicht auf das Quotenwesen im Stadtbild teilt allerdings der Bürgerdeputierte Volker Hobrack, als langjähriger Vorsitzender der Gedenktafel-/Straßenbenennungskommission Mitte, seit 2001 beteiligt an 32 Entscheidungen für weibliche Namen, nicht. Frauen hätten de facto früher öffentlich weniger in Erscheinung treten können: Das werde bei der Quotenfixierung auf historische Frauenpersönlichkeiten übersehen und mache den Suchprozess oft zur Posse. „Politische Entscheidungen gehen nicht unbedingt konform mit der historischen Wahrheit.“

Dass Markierungen des öffentlichen Raumes gern von politischen oder ideologischen Absichten der Geschichtsdeuter bestimmt werden, ist jedoch kein Novum der Gleichstellungsepoche. Als der 1908 angelegte Reichskanzlerplatz im Westend 1933 zum Adolf-Hitler-Platz mutierte, war die Bevölkerung daran so wenig beteiligt wie an dessen Rückbenennung im ganz reichskanzlerlosen Jahr 1947; sechs Tage nach dem Tod des ersten Bundespräsidenten wurde daraus 1963 der Theodor-Heuss-Platz. Fünf Jahre später scheiterte dann nebenan die Umbenennung des Kaiserdamms in „Adenauerdamm“: an 140 000 Bürger-Unterschriften, und an der Stimmung jener Zeit. Eine „Komödie“ nannte der „Spiegel“ das Machtspiel zwischen oben und unten. Keinen Streit gab es indes 2004, als Teilstücke eines zentralen Straßenzugs nach großen israelischen Politikern benannt wurden: Yitzhak Rabin (am Reichstag) und Ben Gurion (am Potsdamer Platz). Dass diese „Doppelung“ nicht nur als Völkerversöhnungszeichen, sondern aufgesetzt, da im Gesamtbild unproportioniert wirken könnte, hat niemand öffentlich thematisiert.

In Friedrichshain-Kreuzberg, sagt Kulturstadträtin Monika Herrmann, werden Benennungen demokratisch entschieden. Richtschnur ist der BVV-Beschluss (2005) zur angestrebten geschlechtlichen Parität. Straßen und Plätze wurden seitdem benannt nach Hedwig Wachenheim, Helen Ernst, Marianne von Rantzau, Mildred Harnack, Tamara Danz, Valeska Gert, Wanda Kallenbach, Caroline Herschel, Dora Benjamin, Pauline Staegemann, May Ayim und Annemirl Bauer. Entscheidendes Kriterium, so Herrmann, sei der Bezug zum Bezirk und dass die Namensgeberin tot sei: „Eine Brigitte-Bardot-Straße wird es bei uns nicht geben“.

Sie widerspricht der Unterstellung, hier projiziere die Politik, entgegen dem historischen Befund, aktuelle Zielsetzungen als Wunschdenken auf die Vergangenheit. Die Kriterien Bedeutung oder Bekanntheit seien fragwürdig, Frauen hätten ebenso oft Geschichte gemacht, deren Biografien seien nur unerforscht, man müsse „vieles noch ausbuddeln!“ Ausnahmen von der Quotierungsstrategie – Rudi Dutschke auf Vorschlag der taz, Silvio Meier aufgrund einer Bürgerinitiative – sieht sie eher skeptisch und plädiert für gezielte Umbenennungen. Würde am liebsten gleich mit einem 20-Straßen-Paket starten: bis der Gleichstand der Geschlechter erreicht sei.

Namensideen legt die Kreuzberger Gedenktafelkommission der BVV zur Abstimmung vor. Am Donnerstag behandelt die Kommission unter Top 6 den „Vorplatz am Education Center des Jüdischen Museums“. Vorplatz-Kandidatin ist Alisa Fuss, eine linke, ziemlich israelkritische, jüdische Pädagogin und Menschenrechtsaktivistin. Der Vorschlag des JMB sei „Mendelssohn“, sagt Monika Herrmann, was sie „nicht so spannend“ findet. Dass hier nicht der getaufte Musiker, sondern ein Initiator deutsch-jüdischer Geschichte, der im 18. Jahrhundert berühmteste Jude Europas gemeint ist, dem Berlin eine Würdigung als Platz- oder Straßenpatron bislang versagt, wäre auch der BVV noch zu vermitteln. Ignorieren werde man JMB-Wünsche nicht! versichert die grüne Politikerin.

Favorit Nr. 1 für die JMB-Direktorin Kugelmann, der ein Fuss-Platz als Adresse wenig klangvoll erscheint, ist übrigens, vor Mendelssohn, der zweitberühmteste Moses: der spanische Ägypter, Kulturtransformator und Religionsphilosoph Moses Maimonides. Ein weltstädtischer, Horizonte öffnender Vorschlag, im Berliner Quoten-Mustopf ohne Chance.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false