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Mit seiner Schwaben-Schelte hat Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse heftige Reaktionen provoziert.

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Wie Schwaben auf die Thierse-Schelte reagieren: „Gottsallmächtiger Grasdaggel!“

Schwäbisches Handwerk gegen preußischen Militarismus: Mit einer originellen Geschichtsdeutung antwortet der Schwabe Ulrich Kienzle auf die Lästereien von Bundestags-Vize Wolfgang Thierse. Und auch andere Schwaben finden deutliche Worte.

Für Ulrich Kienzle ist die aktuelle Debatte eine mögliche Spätfolge der Schlacht bei Königgrätz. Damals, 1866, als die Preußen die Österreicher besiegten – und auch die Schwaben. „Königgrätz geistert wohl noch immer durch Ihren Kopf“, schreibt der Schwabe Kienzle jetzt in einem öffentlichen Brief an Wolfgang Thierse, Vize-Bundestagspräsident, SPD-Abgeordneter und Initiator eines seit Tagen tobenden „Schrippenkriegs“, wie ihn zumindest Kienzle nennt.

Thierse bekundete kürzlich in einem Interview seinen Ärger über den aus seiner Sicht fehlenden Integrationswillen schwäbischer Zuwanderer in seinen Kollwitzplatz-Kiez in Prenzlauer Berg. Aus Kienzles Sicht gibt es dafür nur eine Erklärung: Der Zuspruch zu schwäbischer Lebensart in Berlin werde von Thierse offenbar als bedrohlicher „Triumph des schwäbischen Handwerks über die letzten Reste des preußischen Militarismus“ erlebt. Dabei sei „die Schmach von Königgrätz“ doch längst getilgt, schreibt Kienzle. Und belegt Thierse mit einem nach seinen Worten im Schwabenland verbreiteten Schmähwort: „Gottsallmächtiger Grasdaggel!“

Erst kürzlich veröffentlichte Kienzle, der als Moderator des „Auslandsjournals“, von „Frontal“ und „Wiso“ bekannt wurde, ein Interviewbuch zur kulturellen Identität von 17 Mit-Schwaben. Sein Brief ist nun der jüngste Beitrag zu einer Debatte, die mit ihrem Ernst und ihrer Heftigkeit nicht nur den Auslöser überrascht hat. Thierse wollte dazu am Donnerstag erst mal nichts mehr sagen: Er hat sich für ein paar Tage in den Neujahrsurlaub verabschiedet. Allerdings nicht nach Baden-Württemberg, wohin es ihn in den vergangenen Jahren nach eigenen Worten ein paar Mal geführt hat. Sondern an die Ostsee. Im bevorstehenden Sommer allerdings, so kündigte Thierse vor der Abreise via „Stuttgarter Nachrichten“ an, wolle er seinen Urlaub erneut im Südwesten der Republik verbringen. Und mehr noch: Er könne sich sogar „gut vorstellen, in Tübingen, Freiburg oder Konstanz zu leben“.

"Hassen dürft ihr uns, aber erst wird gevespert!"

Mit seiner Schwaben-Schelte hat Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse heftige Reaktionen provoziert.
Mit seiner Schwaben-Schelte hat Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse heftige Reaktionen provoziert.

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Eigentlich ist gerade Sozialdemokrat Thierse für seine Integrations- und Toleranzappelle bekannt. Umso mehr ärgerte sich nun so mancher, der sich von der Schwabenschelte direkt angesprochen fühlte, über Sätze wie diesen: „Ich wünsche mir, dass die Schwaben begreifen, dass sie jetzt in Berlin sind und nicht mehr in ihrer Kleinstadt mit Kehrwoche.“ Achim E. Ruppel zum Beispiel, Initiator der Schwäbischen Kulturwoche in Berlin und der Website www.schwaben-in-berlin.de, schrieb in einem am Donnerstag veröffentlichten Essay: „Integration ist ja kein Gegenstand von Worten, sondern von Handlungen“. Er lud Thierse ein, mit ihm gemeinsam ein süddeutsches Essen zu genießen, frei nach dem Motto: „Hassen dürft Ihr uns, aber erst wird gevespert.“

Der Landesvorsitzende der baden-württembergischen CDU, Thomas Strobl, belehrte Thierse darüber, „dass Multikulti mit dem Respekt vor den eigenen Landsleuten beginnt“. Zudem sollten sich die Berliner mit Blick auf den Länderfinanzausgleich gut überlegen, mit wem sie sich anlegen: „Es sollte nicht ganz vergessen werden, welch grenzenlose Solidarität gerade Berlin über Jahre erfahren hat.“

Der FDP-Fraktionschef im Stuttgarter Landtag, Hans-Ulrich Rülke, bot dem zauselbärtigen Bundestags-Vize einen Toleranz-Deal an: „Herr Thierse akzeptiert, dass die Schwaben in ihren Häusern Kehrwochen abhalten. Dafür akzeptieren die Schwaben, dass Herr Thierse Friseurdienstleistungen meidet.“ Die aus Berlin ins Schwäbische ausgewanderte SPD-Politikerin Bilkay Öney, Integrationsministerin von Baden-Württemberg, erinnerte aus der Ferne daran, dass in der Hauptstadt eigentlich immer noch der Grundsatz des „Alten Fritz“ gelte: „Jeder soll nach seiner Fasson selig werden.“

Ein 80-jähriger Unternehmer aus dem oberschwäbischen Laupheim hat angekündigt, dem Bundestags-Vizepräsidenten ein Abonnement der „Schwäbischen Zeitung“ zu schenken: „Herr Thierse soll ab sofort täglich etwas über die Schwaben erfahren und sehen, dass wir da unten auch Kultur haben“, wird der Kunstsammler und Pharma-Unternehmer Friedrich E. Rentschler von der Zeitung zitiert. Sollte der Politiker für seine Äußerungen über die Schwaben um Entschuldigung bitten, werde das Abo verlängert. Thierses Büro ließ der Zeitung daraufhin mitteilen, der Gescholtene habe „zwei schwäbische Mitarbeiter, die ihn ausreichend informieren“.

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